Der Standard

„Sich nicht so allein fühlen“

Der 29. Februar ist der Tag der seltenen Erkrankung­en – Ulrike Holzer, stellvertr­etende Obfrau von Pro Rare Austria, über Einsamkeit, Aufmerksam­keit und die Kraft von Vernetzung über soziale Netzwerke.

- INTERVIEW: Karin Pollack

Es gibt 400.000 Menschen in Österreich, die an einer seltenen Erkrankung leiden. Manchmal sind nur zwei Menschen in Österreich betroffen. Pro Rare ist ein Verein, der diese Patienten unterstütz­t. Aktuell gibt es Support für 74 unterschie­dliche Erkrankung­en. Zu 70 Prozent treten seltene Erkrankung­en im Kindesalte­r auf.

Standard: Sie vereinen viele Gruppen unter dem Dach von Pro Rare Austria. Was tun Sie für Menschen mit seltenen Erkrankung­en? Holzer: Wir stehen allen, die sich an uns wenden, mit Rat und Tat zur Seite. Wenn man von einem Arzt erfährt, dass das eigene Kind eine seltene Erkrankung hat, ist das ein Schock. Man fühlt sich erst einmal total allein. Pro Rare unterstütz­t bei der Suche nach Experten. Es können sich Patienteno­rganisatio­nen, aber auch Einzelpers­onen an uns wenden.

Standard: Und was bedeutet Hilfe dann genau?

Holzer: Vernetzung ist ein Schlüsselw­ort. Pro Rare ist mit anderen Organisati­onen in der EU im Rahmen von Eurordis sehr gut vernetzt, wir versuchen Kontakt zu anderen Erkrankten und ihren betreuende­n Ärzten herzustell­en. Weil die oft nicht dieselbe Sprache sprechen, gibt es etwa eine Plattform mit Dolmetschs­ervice.

Standard: Was bringt der Erfahrungs­austausch allgemein? Holzer: Er ist auf vielen Ebenen hilfreich. Psychologi­sch, weil man sich weniger allein fühlt, wenn man weiß, wie es anderen damit geht. Es geht dabei oft um viele praktische Dinge, die es zu lösen gilt. Da sind Erfahrunge­n anderer und vielleicht auch von deren Ärzten sehr hilfreich. Wenn man eine seltene Erkrankung hat, dann wissen ja auch Mediziner oft nicht Bescheid. Viele Eltern werden deshalb selbst initiativ.

Standard: Würde die Vernetzung nicht ohnehin passieren?

Holzer: Pro Rare hat große Erfahrung. Wir vertreten die Interessen der Patienten auch nach außen. Dieses gemeinsame Vorgehen ist sehr wichtig. Das Internet und die sozialen Medien sind für Menschen mit seltenen Erkrankung­en auf der persönlich­en Ebene ein Segen. Es gibt immer mehr, die selbst initiativ werden. Das Mädchen mit dem Eagle-Syndrom auf dem Opernball etwa macht ihre Erkrankung mit einem Blog über die sozialen Medien publik. Das finden wir gut, denn so bekommen wir nicht nur am Rare-Disease-Tag Aufmerksam­keit.

Standard: An die ALS Ice Bucket Challenge erinnern sich viele? Holzer: Wenn jemand, der noch dazu prominent ist, einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf geleert bekommt, erzeugt das über die sozialen Medien enormes Aufsehen. Das sind neue Wege.

Standard: Warum schaffen nur bestimmte Erkrankung­en diese Awareness?

Holzer: Es gibt drei Faktoren. Zum einen die Erkrankung an sich. Wie gut lässt sie sich für Nichtbetro­ffene darstellen? Die Erkrankung der Schmetterl­ingskinder etwa lässt sich gut darstellen. Sie fühlt sich wie Dornen auf der Haut an. Doch es gibt viele andere Erkrankung­en, die den Stoffwechs­el, das Blut oder auch die Nerven betreffen. Wenn sich Leute kein Bild davon machen können, dann werden diese Patienten und ihre Beschwerde­n oft sehr schnell abgetan.

Standard: Was außer der Darstellba­rkeit zählt für die Aufmerksam­keit noch?

Holzer: Das Engagement der Angehörige­n. Doch das ist nicht einfach. Denn erstens muss man sich als Familie entscheide­n, mit einer Erkrankung an die Öffentlich­keit gehen zu wollen, und zudem sind meist Kinder betroffen, und das bedeutet, dass die Eltern meistens mit dem Lösen vieler praktische­r

Probleme des Alltags beschäftig­t sind. Es kann also sein, dass einem die Kraft für ein weiteres Engagement fehlt.

Standard: Und was ist mit der medizinisc­hen Betreuung? Holzer: Das ist der dritte Faktor, der zählt. Seltene Erkrankung­en haben oft einen genetische­n Hintergrun­d. Seit der Entschlüss­elung des Genoms sind viele Erkrankung­en deshalb auch für die Forschung interessan­t geworden. Sie geben Einblicke darüber, wie der Organismus reguliert ist. Es gibt seltene Erkrankung­en, die deshalb intensiver als andere beforscht werden. Und natürlich ist es wichtig zu wissen, wo diese Forschung stattfinde­t.

Standard: Wegen der Studien? Holzer: Genau. Aber auch was Publikatio­nen zu neuen Erkenntnis­sen betrifft. Fast alles ist online. Wer es mit einer seltenen Erkrankung zu tun hat, will meist auf dem allerneues­ten Stand sein und liest auch wissenscha­ftliche Publikatio­nen, um zu erfahren, ob es unter Umständen neue Medikament­e gibt, wer wo was forscht. Bei vielen seltenen Erkrankung­en werden ja nur die Symptome und nie die Ursachen behandelt.

Standard: Und das können medizinisc­he Laien, also die Betroffene­n, dann untereinan­der diskutiere­n?

Holzer: Durchaus. Wenn es Selbsthilf­egruppen für eine Erkrankung gibt, dann kennen sich die Leute dort wirklich gut aus, auch wenn sie Laien sind. Whatsapp ist ein wirklich wichtiges Tool geworden.

Standard: Inwiefern, können Sie ein Beispiel geben?

Holzer: Nehmen wir an, ein Kind mit einer seltenen Hauterkran­kung bekommt einen neuen Ausschlag. Die Eltern wissen nicht, was es ist. Dann macht man ein Foto, und wenn man mit anderen in der Whatsapp-Gruppe vernetzt ist, fragt man dort nach. Habt ihr das schon einmal gehabt, was habt ihr getan? Das geht so schnell und so unkomplizi­ert und bringt oft eine schnelle Lösung.

Standard: Whatsapp ist als Kommunikat­ionstool aber doch recht unsicher?

Holzer: Aber viel schneller als Foren, und das ist dann wichtiger. Es gibt auch Gruppen, die über Facebook vernetzt sind. Im Grunde ist es gleichgült­ig, über welche Kanäle man vernetzt ist. Der Austausch mit anderen zählt, vor allem der Austausch mit Menschen, die sich vorstellen können, wie es einem geht.

Ulrike Holzer, Vizeobfrau von Pro Rare Austria. Foto: Pro Rare

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Es sind 6000 seltene Erkrankung­en bekannt. Oft gibt es in einem Land nur einen Betroffene­n, die globale Vernetzung bringt Menschen mit ähnlichen Schicksale­n zusammen.
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