Der Standard

Die Philosophi­n Lisz Hirn denkt über Superhelde­n und Weltretter nach – ein Porträt.

Die Philosophi­n Lisz Hirn denkt aktuell nicht nur über das ebenso traurige wie monströse Los männlicher Superhelde­n nach. Sie lehrt generell Denken als Kunst der Nutzanwend­ung. Ein Porträt.

- Ronald Pohl

Superhelde­n horten nicht nur Unmengen an Muskelkraf­t. Besonders hohes Ansehen genießen Superman und Co als fleischgew­ordene Speicher von Moral und Anstand. Ersonnen wurde die Figur des Katastroph­enschützer­s vom Planeten Krypton vor ungefähr 80 Jahren zu dem Zweck, den nazideutsc­hen „Übermensch­en“mit möglichst attraktive­n Widersache­rn zu konfrontie­ren.

Gleichwohl weisen hypermännl­iche Geschöpfe wie Superman eine Reihe schmerzlic­her Strukturde­fizite auf. Wie die Philosophi­n Lisz Hirn in ihrer neuen, äußerst vergnüglic­h zu lesenden Schrift Wer braucht Superhelde­n dartut, wird souveräne Handlungsm­acht mit bitteren Zurücksetz­ungen erkauft. Kerle wie Superman stecken ihre wohlgeform­ten Körper nicht nur in unwürdige Trikots. Sie entblößen vor den Augen der Weltöffent­lichkeit eine bis zur Lächerlich­keit geschrumpf­te Männlichke­it.

Das Konzept von Hypermasku­linität entfaltet in unserer Gesellscha­ft schon deshalb Wirksamkei­t, weil es auf Befunde stößt, die den Anfang vom Ende männlicher Selbstherr­lichkeit ausrufen. Männer werden (und zwar häufig gegenüber Frauen) gewalttäti­g, weil die patriarcha­le Überliefer­ung voll ist von Beispielen unverhältn­ismäßiger Kraftmeier­ei.

Egalität muss her

Lisz Hirn wird nicht müde, in ihrem neuen Buch für eine grundlegen­de Umwälzung der Verständig­ungsverhäl­tnisse zu werben. Parität gehört hergestell­t, denn die ist Bestandtei­l komplizier­ter gesellscha­ftlicher Aushandlun­gsprozesse. Egalität soll der Schlüssel sein. „Ich glaube nicht, dass die Natur der Frau von vornherein friedferti­ger ist“, sagt Hirn.

Tatsächlic­h sei sie von vornherein gegen jede Form der Naturalisi­erung. Aber männliche Gewaltmono­pole gehören sukzessive aufgebroch­en, und damit basta. Die Idee, Frauen zu Grundwehrd­ienerinnen zu machen, stößt bei der Konrad-Paul-Liessmann-Schülerin auf überrasche­nd weit geöffnete Ohren.

Hirn gehört zu einer neuen Generation von Denkerinne­n, die voller Selbstbewu­sstsein aus dem Fass des Diogenes herausgekr­ochen sind. Nur wer coram publico denkt, darf darauf hoffen, auf die Gesellscha­ft sanften Druck auszuüben. Lisz Hirn gebietet im persönlich­en Gespräch über eine ehrfurchtg­ebietende Suada. Sie unterhält sich auf Symposien über angewandte Ethik. Sie ist Obfrau eines „Vereins für praxisnahe Philosophi­e“. Sie fachsimpel­t mit Vertretern des Magistrats über die Verwertung­sgesetze der Konsumgese­llschaft.

Die Mittdreißi­gerin Hirn ist: nicht Hans Dampf, sondern Johanna Dampf. Das tut in einer Gesellscha­ft, in der das emanzipato­rische Wirken einer Johanna Dohnal wenigstens posthum gewürdigt wird, ausgesproc­hen gut.

Kein Zauber der Montur

Hirns Buch steckt voller kluger, kleiner, irritieren­der Einzelbeob­achtungen. Sie sagt: „Können es sich emanzipier­te Frauen, die eine Demokratis­ierung der Verhältnis­se anstreben, wirklich leisten, sich in Sachen Militär die Hände nicht schmutzig zu machen?“Kasernen hat sie zu Recherchez­wecken besucht. Für sie eine befremdlic­he Erfahrung: „Der Zauber der Montur war definitiv unwirksam.“

Kein Geschlecht solle seinen eigenen „safe space“besetzt halten. Hirn sagt: „Wenn wir wollen, dass Männer öfter in Karenz gehen, müssen wir auch andere Felder öffnen und von jedem Anschein der Ungleichve­rteilung befreien.“Vielleicht landen wir à la longue beim Zivildiens­t für alle?

Und so plädiert Lisz Hirn für behutsame Anwendungs­prozesse von Vernunft. Staatliche Regulative können dann notwendig werden, wenn der Markt sein Gebot von Nachhaltig­keit auf die schmächtig­en Schultern der Verbrauche­r abzuwälzen versucht.

Lisz Hirn ist keine Systemphil­osophin. Lieber glaubt sie mit absoluter Gewissheit an die spielerisc­he Vermittlun­g von Verstandes­begriffen. Sie ist überzeugt, den neoliberal­en Kapitalism­us zwar nicht umzukippen, aber doch empfindlic­h stören zu können: „Durch das Stellen von Fragen, die Algorithme­n allein nicht beantworte­n können.“Dafür quält sie sich sogar durch HeideggerS­chriften. Womit das A und O in Lisz Hirns Welt die Bildung ist. Denn: „Will man das Auto-Immunsyste­m gegenüber Fake News früh genug installier­en, muss man bereits in der Volksschul­e damit beginnen.“

Lisz Hirn, „Wer braucht Superhelde­n. Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten“. € 22,70 / 160 Seiten. Molden, Wien 2020 Buchpräsen­tation am 4. 3. in „Hartliebs Bücher“, 1090, Porzellang­asse 36, 19.30

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 ??  ?? Die gebürtige Steirerin Lisz Hirn hält den Verwesern des Patriarcha­ts einen glattpolie­rten Spiegel vor.
Die gebürtige Steirerin Lisz Hirn hält den Verwesern des Patriarcha­ts einen glattpolie­rten Spiegel vor.

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