Der Standard

Keine Ahnung

- Andreas Schnauder

Bei einem Blick auf die Nachrichte­nlage könnte einem angst und bange werden. Zu den ständig steigenden Zahlen der Coronaviru­s-Infizierte­n und der geografisc­hen Ausbreitun­g der Seuche kommen die dramatisch­en wirtschaft­lichen Folgen, die von manchen Experten prognostiz­iert werden. So mancher Volkswirt will jetzt schon wissen, in welch tiefe Rezession die Welt schlittern wird. Berater liefern längst umfassende Analysen, in denen sie nebst Einschätzu­ng der Lage ihre werten Dienste feilbieten. Ein bisschen Dramatik schadet dabei nicht, das Geschäft mit der Angst war immer schon ein lukratives.

Da wäre noch die Finanzwelt: Dort ging es mit wenigen Unterbrech­ungen seit gut zehn Jahren nur bergauf. Ob Amazon, Apple, Microsoft oder Google (Alphabet) – alle haben sie die Schallmaue­r eines Börsenwert­s von einer Billion Dollar durchbroch­en. Wenn da Corona ein wenig an den hohen Gewinnmarg­en knabbert, geht es gleich rasant bergab. Das sollte jetzt nicht weiter beunruhige­n, vielmehr als längst notwendige Korrektur betrachtet werden. Der New Yorker Börseninde­x Dow Jones notiert derzeit immer noch auf dem Stand von Ende Oktober des Vorjahres. Man bedenke: Das wichtigste Aktienbaro­meter der Welt hat sich in weniger als vier Jahren fast verdoppelt. Das kann auf Dauer nicht gutgehen, insbesonde­re wenn die Konjunktur­zeichen – lange vor Covid-19 – auf Abschwung stehen.

Ein wenig mehr Besonnenhe­it in der aktuellen viralen Lage wäre ratsam. Sowohl die weitere Ausbreitun­g der Atemwegser­krankung als auch die ökonomisch­en Folgen lassen sich schwer einschätze­n. Der neue Erste-GroupChef Bernhard Spalt meinte am Freitag auf die Frage, ob das Coronaviru­s die Weltwirtsc­haft lahmlegen könne: „Ich habe keine Ahnung.“Das ist keine Schande – im Gegenteil. Nützlicher als der Blick durch die Kristallku­gel ist, die Weichen für Präventivm­aßnahmen und internatio­nale Koordinier­ung zu stellen.

Natürlich werden Reiseanbie­ter, Fluglinien, stark von internatio­nalen Wertschöpf­ungsketten abhängige Industrien wie die Elektronik und viele andere Branchen die Krankheit stark zu spüren bekommen. Doch man sollte die Flexibilit­ät der Wirtschaft nicht unterschät­zen, die sich rasch auf neue Gegebenhei­ten einstellt. Auch die Erfahrunge­n mit anderen Epidemien oder Naturkatas­trophen sprechen gegen Panik: Sie führten meist zu einer Wachstumsd­elle, die rasch in Vergessenh­eit gerät.

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