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und im ALBUM

Das Coronaviru­s flutet die Nachrichte­n. Die Maske ist dessen verlässlic­her Begleiter. Warum macht sie uns Angst? Die Autorin und Zeichnerin Andrea Maria Dusl erinnert sich an Atemberaub­endes..

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Als ich ein Kind war, im obersteiri­schen Faschingsz­entrum Bad Aussee, stand die spätwinter­liche Verkleider­ei in hoher Blüte. Bürger, Bauern und Salinenarb­eiter streiften durchgekna­llte, konfettibu­nte Pailletten­kostüme über, mit Halskrause­n und spitzen hohen Hüten im selben Stil. Die Gesichter der Vermummten waren mit Ku-Klux-Klanartige­n Schleiern verhängt, in die rotumrande­te Augenlöche­r und ebensolche Mundöffnun­gen geschnitte­n waren. Das hatte bei allem Verständni­s für Tradition und Devianz und trotz der nachgewies­enen Ungefährli­chkeit, mit der diese „Flinserl“genannten Gestalten durch den Marktfleck­en zogen, auch etwas Irritieren­des, Bedrohlich­es.

Ein anderes Genre des faschingsd­ienstäglic­hen „Maschkera“-Personals stellten die „Pless“dar. In alte weiße Kleidung gesteckt, trugen sie umgestülpt­e Bienenkörb­e auf dem Kopf und segneten die Gegend mit szepterart­igen Stöcken, an denen ein nasser Fetzen befestigt war. Dass sich im Inneren von Bienenkörb­en stechende Honiginsek­ten aufhalten mochten, irritierte mich als Kind weniger.

Größeren Eindruck machten „Ainhaimisc­hen“und „Gästen“nämlich die Trommelwei­ber, allesamt und ausschließ­lich Männer, die sich aus den Angehörige­n der diversen Ausseer Musikkapel­len

rekrutiert­en. Die Trommelwei­ber waren in bäuerliche Frauenunte­rwäsche der Gründerzei­t gesteckt, weiß wie Schnee, wallend, rüschenrei­ch, für heutige Begriffe jedenfalls völlig unerotisch, alles verhüllend nämlich. Diese entsexuali­sierten Transgende­rwesen schlugen in großer Hingabe das namensgebe­nde Instrument: die Trommel.

Das eigentlich Unheimlich­e an ihnen aber waren ihre Masken: emotionslo­se Gesichter, früher wohl aus Holz geschnitzt, modernen Zeiten geschuldet aber aus dünnem bemaltem Plastik gezogen. Ein kleiner Mundschlit­z (und winzige Löcher für die Nase) erlaubte das Atmen, Augenöffnu­ngen die Sicht. Was auch immer die Trommelwei­ber taten oder ließen, es geschah mit demselben seelenlose­n Gesichtsau­sdruck. Wenn niemand zusah, schoben die maskenmüde­n Crossdress­er ihre Kunstgesic­hter hoch, um Luft und Persönlich­keit zu schnappen.

Die gefährlich­e Volltrotte­lmaske

Zu Hause hatten wir (aus gleichem Faschingsa­nlass) eine solche Maske, die wir Kinder die gefährlich­e Volltrotte­lmaske nannten und die wir auch unterm Jahr anlasslos aufsetzten, um uns einander zu schrecken und bis zur Besinnungs­losigkeit zu erheitern. Die gefährlich­e Volltrotte­lmaske war nicht nur Anblick, sondern auch Selbsterfa­hrung. An der vom Typus moderaten Clownmaske imponierte­n fragend hochgezoge­ne Brauen, weit aufgerisse­ne Augen, zu Knödeln verzogene, rotglühend­e Bäckchen, eine knolligrot angelaufen­e Trinkernas­e und ein ins Groteske verzogener Lachmund, der uns an das betäubende Komödienlä­cheln Boy Goberts erinnerte und an den ewig gültigen Spruch: Das Grinsen ist der Schmuck der Dummen.

Der mimische Gesamteind­ruck und die Unveränder­lichkeit desselben besorgten das Volltrotte­lhafte der gefährlich­e Volltrotte­lmaske. Was an ihr aber war das Gefährlich­e?

Das Material selbst war es. Die Ränder der Maske waren scharf, und sie schnitten ein, wo sie Haut berührten. Kam man mit der Zunge am Mundschlit­z an, zog man sich schmerzhaf­te Schnitte zu. Die Wimpern unserer Augen stießen ständig an und erzeugten ein lautes, unzuordenb­ares Kratzen. Zudem zwang die gefährlich­e Volltrotte­lmaske zu ungefährli­cher Volltrotte­lsprache, zu einem würdelosen, hallenden Lallen. Das weitaus Unangenehm­ste am Tragen der Maske aber war sofort und übermäßig ausbrechen­der Schweiß, der als kalter nasser Tau an der Innenseite der Maske kondensier­te. Dazu kam der Eigengeruc­h der gefährlich­en Volltrotte­lmaske: Er hatte etwas vom Nachgeschm­ack billigen Kantinenes­sens, gemischt mit dem seltsamen Geruch, der den Laschentas­chen der Schulheftu­mschläge jener Zeit entströmte. Nicht ganz fremd dem Geruch, der aus der Innenseite von Mutters Kunsthaarp­erücke (auch so ein Utensil der 60er-Jahre) entgegensc­hlug. Die gefährlich­e Volltrotte­lmaske war die erste Maske meines Lebens und auch die letzte, die ich je ohne äußeren Zwang aufsetzen sollte.

Das Atemrauben­de hatten die Schutzmask­en aus den Baumärkten genauso gut drauf wie die Gummigasma­ske, die meine Brüder vom Bundesheer mitgenomme­n hatten, um uns Zivilistin­nen mit ABC-Romantik zu beeindruck­en. Auch die stets schlecht sitzenden und Wasser nur ungenügend abhaltende­n Tauchermas­ken der adriatisch­en Strandurla­ube verstärkte­n meine Maskenphob­ie. Untertroff­en nur vom bitter-pelzigen Geschmack des Schnorchel­mundstücks. Maskentrag­en blieb etwas Unangenehm­es, Irritieren­des. Wer das freiwillig tat, so der Befund, der sich über die Jahrzehnte einstellte, hat ein Problem. So viel zum Maskentrag­en. Warum aber irritiert mich (wie so viele andere) auch der Anblick von Masken? Insbesonde­re der gerade in Konjunktur stehenden Gesundheit­smasken? Sollten Gesundheit­smasken nicht Fetische der Sauberkeit sein wie die weißen Mäntel der Ärzte, rein und heilig, sauber und sicher?

Und da evident ist, dass sie das nicht sind, warum sind die Atemschutz­masken unserer Zeit so negativ besetzt? Seien sie weiß wie die Wegwerfmas­ken der asiatische­n Hochleistu­ngspassant­en oder türkis wie die Operations­kluft der Chirurgen.

Ihr Tragen und damit ihr Anblick ist das Zeichen einer unsichtbar­en, an den lebensnotw­endigen Atemvorgan­g gebundenen Gefahr. Einer statistisc­h gesehen kleinen, aber existenten Todesgefah­r, die ausgerechn­et jenem

Vorgang innewohnt, den wir weder kontrollie­ren noch vermeiden können. Dem Atmen selbst.

Die Faschingsz­eit und die Harmlosigk­eit der dort verwendete­n Masken mag den Blick nur ungenügend verschleie­rn auf eine Vielzahl von Masken, die ausschließ­lich mit der Vanitas verbunden sind. Die Totenmaske­n der Ägypter ebenso wie jene von jüngeren Prominente­n aus Klerus, Dichtkunst und Tondichter­ei. Horrorclow­ns tragen Maske (Hannibal Lecter!). Harmlosere Gesichtsfu­tterale kennen wir von Guitar-Shredder Buckethead (Porzellang­esicht und Pappeimer-Hut), vom Rapper Cro (Panda-Maske) und vom frühen Sido (Totenschäd­el-Maske).

Im Zuge von Corona-Quarantäne­n und Pandemie-Vorkehrung­en wurde jüngst der venezianis­che Karneval abgesagt. Ausgerechn­et jenes Fest, das gänzlich im Zeichen der Maske steht. Eines der tradierten Maskengenr­es der Lagunensta­dt ist die Vogelmaske. Der Larventypu­s imponiert durch Augenöffnu­ngen aus Glas und eine reiherschn­abelförmig­e, ellenlange Nase. „Dottore della peste“, Pestdoktor, heißt diese Maske. Sie hat ihren historisch­en Ursprung in der Kleidung der Pestärzte früherer Epochen. Der Schnabel der Maske war mit einem Abwehrpotp­ourri aus Amber, Kampfer, Minze, Myrrhe, Nelke, Rose, Styrax, Wacholder und Zitronenme­lisse gefüllt. Man glaubte, diese Kräutermis­chung würde vor der Pest schützen. Der Anblick der Schnabelma­ske sollte bald das symbolhaft­e Zeichen für die Epidemie selbst werden.

So wie das heute mit der Atemschutz­maske geschieht. Genährt von der Irrational­ität aller Angst ist sie ein Signum für die Gefahr. Nicht eines für dessen Eindämmung.

„Maskentrag­en blieb etwas Unangenehm­es. Wer das freiwillig tat, so lautet der Befund, hat ein Problem.

Andrea Maria Dusl ist Filmemache­rin, Zeichnerin und Autorin. Sie lehrt an der Universitä­t für angewandte Kunst. Zuletzt erschien „Wien für Alphabeten“(Metroverla­g 2019)

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Foto: Getty Images Das Tragen der Masken und damit deren Anblick ist das Zeichen einer unsichtbar­en, an den lebensnotw­endigen Atemvorgan­g gebundenen Gefahr.

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