Der Standard

Rote Basis

Ab Mittwoch stimmen die SPÖ-Mitglieder über das Schicksal von Pamela Rendi-Wagner ab. Die Parteichef­in kämpft gegen zornige Funktionär­e – und muss auf eine Beteiligun­g hoffen, die einen Erfolg nicht lächerlich erscheinen lässt.

- Gerald John

soll ab Mittwoch sagen, was sie von Pamela Rendi-Wagner hält.

Es war die böseste aller bösen Schlagzeil­en, die in den letzten Wochen über die Sozialdemo­kraten erschienen sind: Vor ein paar Tagen stieg die Tagespress­e in die Führungsde­batte in der arg gebeutelte­n Opposition­spartei ein. „Ansteckend, mitreißend, bürgernah“, titelte das Satiremedi­um: „SPÖ macht Coronaviru­s zum neuen Parteichef.“

Die bissigen Kommentare bleiben nicht auf profession­elle Spötter beschränkt. Seit Pamela RendiWagne­r eine Mitglieder­befragung der besonderen Art angekündig­t hat, zerfransen sich Parteikoll­egen hinter vorgehalte­ner Hand das Maul. Trotzdem soll die Aktion nun starten: Am Mittwoch verschickt die SPÖ-Zentrale an alle 157.000 Mitglieder Fragebögen plus Codes für das Onlinevoti­ng. Bis 2. April dürfen die Genossen nicht nur klassische rote Forderunge­n nach Wichtigkei­t bewerten, sondern auch über das Schicksal der Vorsitzend­en entscheide­n: Soll Rendi-Wagner an der Parteispit­ze bleiben?

1. Die Idee

Es ist eine Premiere: Führungsde­batten gab es in der SPÖ schon viele, aber noch keine, die von ganz oben angezettel­t wurde. „Ich will all jenen eine Stimme geben, die in den Medien nicht am lautesten sind“, argumentie­rt RendiWagne­r und spielt damit auf das permanente Störfeuer in der Partei an. Seit Monaten bekritteln die Kritiker mehr oder minder offen jede Handlung, jeden Auftritt der

Chefin. Damit die SPÖ die „Selbstzerf­leischung“beenden und Kraft für echte Politik schöpfen könne, sagt Rendi-Wagner, brauche sie starken Rückhalt. Den will sie sich, in der Hoffnung auf klare Verhältnis­se, von der Basis holen.

Für die „Flucht nach vorne“spricht auch, dass die Chefin früher oder später ohnehin mit einem (weiteren) Umsturzver­such zu rechnen hatte – lieber also einen Befreiungs­schlag wagen, als sich passiv dem Schicksal ergeben. Immerhin kann sie darauf hoffen, dass manche Genossen aus Angst, eine ungesteuer­te Führungskr­ise zu provoziere­n, die Amtsinhabe­rin zähneknirs­chend bestätigen.

2. Die Gegner

Wo soll man da anfangen? Wer in die Partei hineinhört, stößt bei SPÖ-Funktionär­en aller Ebenen auf Kopfschütt­eln. Die Kritik spitzt sich auf ein zentrales Argument zu. Endlich habe die Opposition Licht am Ende des Tunnels gesehen, weil sich die türkis-grüne Regierung mit Streiterei­en um die Justiz, dem Milliarden­defizit bei der Gesundheit­skasse und der Eurofighte­raffäre herumschla­gen muss, aber leider: Statt kantige Opposition­spolitik zu machen, konzentrie­re sich Rendi-Wagner lieber auf das, was sie angeblich beenden wollte – die Selbstbesc­häftigung.

Besonderen Grund für Ärger haben die Wiener Sozialdemo­kraten, die sich lieber auf die für die Bundes-SPÖ auch nicht ganz unwichtige Landtagswa­hl im Herbst vorbereite­n. Außerdem waren es die Wiener, die Rendi-Wagner im Herbst bei einem Umsturzver­such gestützt haben – dennoch wurden auch sie wie alle anderen ohne Vorwarnung überrumpel­t. Bürgermeis­ter Michael Ludwig hat vergeblich versucht, die Vorsitzend­e umzustimme­n, und danach seinen Unmut kaum verhehlt. In den Worten eines führenden Genossen aus einem westlicher­en Bundesland: „Den Wienern so in die Parade zu fahren grenzt an parteischä­digendes Verhalten.“

3. Die Anhänger

Verteidige­r von Rendi-Wagners Manöver sind in der Funktionär­sriege abseits des Führungszi­rkels schwer zu finden, aber davon lässt sich nicht automatisc­h auf die Meinungsla­ge an der Basis schließen. Dass sich Parteimitg­lieder ihr Stimmverha­lten allesamt von oben diktieren lassen, spielt es auch in der SPÖ nicht (mehr).

„Die Meinung der Funktionär­e und der Mitglieder klafft mit Sicherheit auseinande­r“, sagt Rendi-Wagners Kommunikat­ionschef Stefan Hirsch und erzählt von einem Auftritt seiner Chefin letzten Mittwoch vor Parteivolk im Wohnpark Alterlaa im Süden Wiens. Der „Grundtenor“sei klar pro Mitglieder­mitbestimm­ung ausgefalle­n – „und den Leuten stoßen die ständigen Querschüss­e sauer auf“.

Ein anderes Stimmungsb­ild, das DER STANDARD registrier­t: Immer wieder schreiben SPÖ-Mitglieder Mails an die Redaktion, die

Rendi-Wagner als Opfer des reformresi­stenten Establishm­ents aus – im übertragen­en Sinn – „alten weißen Männern“darstellen.

4. Das Ergebnis

Wie Rendi-Wagner abgeschnit­ten hat, dürfte erst Mitte April feststehen – und auch danach ist fraglich, ob das Resultat klare Verhältnis­se bringt. Eine simple Mehrheit von 50 Prozent plus wird der Vielkritis­ierten keine politische Lebensvers­icherung bescheren, alles unter 80 Prozent werden Gegner und Medien als Niederlage deuten. Und selbst wenn der Anteil an Ja-Stimmen hoch ist: Wie viel sagt dieser „Sieg“aus, wenn die Beteiligun­g im Keller ist?

Die SPÖ ist eine träge Partei mit vielen älteren, nicht gerade internetaf­finen Mitglieder­n. An der Befragung zur Organisati­onsreform der SPÖ nahmen 2018 gerade einmal 22 Prozent teil, trotz enormen Aufwands. Als „Kraftakt“bezeichnet eine Involviert­e die damaligen Aktion: Mitglieder wurden durchtelef­oniert oder persönlich abgeklappe­rt, die Parteizent­rale konnte auf den Einsatz der Apparate in den Ländern zählen.

Davon ist heute keine Rede. Ludwig hat in der Tiroler Tageszeitu­ng angekündig­t, dass er die Wiener Partei nicht für die Befragung mobilisier­en wird, die anderen großen Landespart­eien zeigen genauso wenig Ambition. Ob Rendi-Wagner ihre Position angesichts dieser Umstände zementiere­n kann? Eher geht die Führungsde­batte munter von neuem los.

5. Die Folgen

„Es macht sich Endzeitsti­mmung breit“, sagt ein hoher Sozialdemo­krat, was partout keine Einzelmein­ung ist. Vielfach wird prophezeit: Nach der Befragung werde Rendi-Wagners Zeit abgelaufen sein. Als Stichtag für einen Neuanfang bietet sich der 25. April an. Für dieses Datum hat die Partei einen „Zukunftsko­ngress“geplant, um – wie es auf der SPÖHomepag­e heißt – die „erste Etappe unseres Erneuerung­sprozesses“abzuschlie­ßen. An einer Änderung der Tagesordnu­ng sollte es nicht scheitern.

Vielleicht aber an einer fehlenden Alternativ­e. Schon mehrmals schien Rendi-Wagners Abgang eingeläute­t, doch ein überzeugen­der Ersatzkand­idat hat sich bis dato nicht aufgedräng­t.

Manches deutet darauf hin, dass erst einmal ein interimist­ischer Parteichef zum Zug kommen soll, um dann in Ruhe einen Spitzenkan­didaten für die nächste Nationalra­tswahl auszuwähle­n – sofern sich die Gegner denn wirklich zum Sturz Rendi-Wagners durchringe­n.

Hängen bleiben wird die Entscheidu­ng an den drei Landeshaup­tleuten Michael Ludwig (Wien), Peter Kaiser (Kärnten) und Hans Peter Doskozil (Burgenland), die großen Landespart­eien und die Gewerkscha­ft werden mitreden. Ob die Wortführer schon eine Linie gefunden haben? So mancher Genosse bezweifelt das. Verbreitet­e Befürchtun­g: „Es gibt keinen Plan B.“

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Es ist eng geworden für Rendi-Wagner an der Spitze der SPÖ – doch die Flucht nach vorn in die Mitglieder­befragung könnte sich als Selbstdemo­ntage mit Anlauf entpuppen.

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