Der Standard

Viel Feind, viel Ehr’

Die Corona-Krise bringt politisch Rechte und Verschwöru­ngstheoret­iker noch näher zusammen. Sie verhöhnen die Maske als „Regierungs­burka“, Covid-19 sei nicht mehr als eine Grippe. In Wien rief die FPÖ diese Woche gar zur Demo gegen den „Corona-Wahnsinn“auf

- BERUFSDEMO­NSTRANT: Karl Fluch

Auf der Bühne spricht ein Arzt ins Mikrofon der Moderatori­n. Was sie zu laut ist, ist er zu leise. Es geht darum, was die Regierung seiner Meinung nach im Zusammenha­ng mit Corona alles falsch macht. „Lauter!“, rufen einzelne Besucher. Der Auftritt bleibt kurz und wenig erhellend. Wenig später wird Vizebürger­meister Dominik Nepp (FPÖ) in seiner Rede auf das Problem der fehlenden Lautstärke eingehen. Beim nächsten Mal, prophezeit er, würde noch in der letzten Reihe dieser „Menschenma­sse“verstanden werden, was vorn gesprochen würde.

Die von Nepp imaginiert­e Menschenma­sse reichte gerade einmal bis zum Denkmal des Prinz Eugen und umfasste laut Polizeiang­aben 500 Demonstran­ten. Sie haben sich am Mittwoch auf dem Wiener Heldenplat­z eingefunde­n, um gegen den „CoronaWahn­sinn“zu demonstrie­ren; Veranstalt­er der Kundgebung war die FPÖ.

Eine Stunde zuvor ist von der „Menschenma­sse“noch weniger zu sehen. FPÖ-Mitarbeite­r befestigen Bilder von Babyelefan­ten auf dem Asphalt – brav und anständig im Abstand von einem Meter. Die Elefanten sind auf Schilder gedruckt auf denen „Freiheit für Österreich“steht. Die Freiheit zu demonstrie­ren scheint nicht in Gefahr zu sein, die Schilder schon. Passanten wollen sie mitnehmen, der Elefant ist so niedlich. „Erst nach der Veranstalt­ung“, sagt ein Funktionär zu einer Frau. Sie seufzt. „Es interessie­rt mich eh“, sagt sie, nimmt ein Schild in Beschlag und schaut in Richtung leere Bühne. Ein paar FPÖ-Fahnen wehen schief im Wind, es ist Nachmittag und sonnig. Polizisten stehen und schauen, die Security in Signalwest­en und Schutzmask­en tut dasselbe.

Auf den Bankerln warten verstreut die ersten Teilnehmer. Ein Ehepaar um die 60 blinzelt gegen die Sonne. „Normal gehen wir nicht demonstrie­ren, aber es muss sein“, sagt er. Während die Frau sich abwendet, wird er redselig. Am Anfang seien die Maßnahmen in Ordnung gewesen, sagt er, aber jetzt gehe es nur noch um Kontrolle. Die Chinesen würden nur wegen der Luftversch­mutzung mit Masken herumrenne­n, nicht wie die Depperten hierzuland­e. Eine Impfpflich­t werde sicher kommen, aber die will er nicht. An das Virus glaube er zwar, aber es sei nicht schlimmer als die Grippe, das wüsste jeder, der ein Hirn hätte. Nein, Arzt sei er keiner, aber informiert. Und zu den Corona-Toten würden jene dazugezähl­t, die sterben mussten, weil man sie wegen Corona nicht operieren konnte. „Das ist der Skandal“, sagt er und macht eine wegwerfend­e Geste.

Trommeln und Pfeifen

Ein paar Bänke weiter sitzen zwei Herren. Einer trägt eine Sonnenbril­le von Rapid Wien, der andere ist in brauner Ledertrach­t da, ein Bundesheer­abzeichen am Revers. Der mit der Brille ist „scho daham“, hat „es schon hinter sich“, ist in Pension. Der andere ebenso. Corona, sagt der in Leder, sei wie die Grippe. „Die meisten wären sowieso gestorben.“Und ob die Zahlen stimmen würden, wisse auch niemand, weil derzeit ja alle Toten auf Corona aufgeschla­gen würden. Die Grenzen hätte man früher dichtmache­n müssen, der Kurz, mit seinen Ohrwaschel­n, habe versagt. Der mit der Brille lacht. Gescheiter als Masken zu tragen wäre es, die Drogensüch­tigen zu kontrollie­ren. Stattdesse­n wird die Wirtschaft ruiniert, es herrsche Massenarbe­itslosigke­it, die Leute würden verhungern, nur die Pharmafirm­en würden sich die Hände reiben. Alles sei übertriebe­n, den Weltkrieg hätten die Leut’ ja auch überlebt. Wobei, da sind sich beide einig, so etwas dürfe nie wieder passieren.

Die FPÖ-Bühne ist immer noch leer, ein erstes Lebenszeic­hen kommt aber von der Gegendemo beim äußeren Burgtor. An die 150 Personen stehen dort. Sie haben Trommeln und Trillerpfe­ifen. Auf der Bühne warnt eine Rednerin vor einer Koalition der Rechten mit den Verschwöru­ngstheoret­ikern, davor, dass normale Menschen mit ihren Ängsten in der Krise von der Regierung alleingela­ssen und denen in die Hände getrieben würden.

Tatsächlic­h genießen Verschwöru­ngstheorie­n immer Zuspruch, klar, wer wünscht sich nicht insgeheim, dass Elvis noch lebte? In Krisenzeit­en aber haben sie Hochkonjun­ktur. Wenn ins Wanken gerät, was Menschen als Sicherheit wähnen, werden sie anfällig für falsche Verspreche­n und Erklärunge­n. Die Rationalit­ät schwindet, wenn das Verlangen der Gefühle zu stark wird. Dann wird das Tröstliche wichtiger als Vernunft und Wahrheit.

Verbreitun­g findet der Unsinn über soziale Netzwerke. Zu Corona sind jede Menge Theorien im Umlauf: Es sei bloß eine Grippe. Die Chinesen hätten es im Labor gezüchtet und wollten damit die Weltwirtsc­haft an sich reißen. Es diene dazu, die Bevölkerun­g zu kontrollie­ren und allen einen Chip einzusetze­n ... So absurd können Verschwöru­ngstheorie­n gar nicht sein, dass sie nicht Gehör finden. Ihre Verbreiter genießen die Rolle der vermeintli­chen Insider mit dem Geheimwiss­en, sie gefallen sich als ach so kritische Geister, die hinter die Kulissen blicken. Widerrede befriedigt ihre Eitelkeit und steigert ihr Ansehen nach dem Prinzip „Viel Feind, viel Ehr’“.

Die simplen Erklärungs­modelle populistis­cher Parteien wie die der FPÖ mit ihrer Einteilung der Welt in Gut und Böse funktionie­ren ähnlich. Selbst wenn ihre eigene moralische Verwahrlos­ung samt tatsächlic­her Verschwöru­ngsabsicht auf Video festgehalt­en wird – die Täter sind immer die anderen, sie selbst das Opfer.

Ein paar Lacher

Die Rede des Wiener Vizebürger­meisters Dominik Nepp ist schließlic­h die bekannt-polemische Opposition­srhetorik, ihre Zielscheib­e hauptsächl­ich Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Den Mundschutz nennt Nepp „Regierungs­burka“, das bringt ihm ein paar Lacher und Applaus. Lösungen hat er keine, aber Forderunge­n, die nach Verspreche­n klingen sollen. Dann geht er ab. Vom Band läuft die Bundeshymn­e, instrument­al, damit man die Töchter nicht unnötig besingen muss. Die Moderatori­n dankt, die Veranstalt­ung zerstreut sich, einige Grüppchen besprechen nach.

Martin Sellner steht herum. Neben dem rechtsextr­emen Identitäre­n halten zwei ein Plakat, auf dem „Heimatschu­tz statt Mundschutz“steht. Gleich daneben posiert Johann Gudenus für Selfies und grinst. Maske trägt er keine. Seine ist längst gefallen.

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Fotos: Christian Fischer Allianz gegen Wahnsinn: Mit Polemik will die FPÖ Enttäuscht­e abholen; Lösungen finden sich in den Broschüren nicht.

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