Der Standard

Tausende protestier­en in Hongkong

Peking will ein neues Gesetz „bis zum Ende“durchsetze­n

- Anna Sawerthal

Hongkong – In Hongkong protestier­ten am Sonntag tausende Menschen gegen einen Entwurf für ein neues Sicherheit­sgesetz aus Peking. Das Gesetz sieht ein direktes Eingreifen Pekings in die chinesisch­e Sonderverw­altungszon­e vor. Die Demonstran­ten befürchten die Erosion der Sonderrech­te. Bei den größten Protesten seit Monaten setzte die Polizei Tränengas und Wasserwerf­er ein. Die USA drohten am Sonntag mit Sanktionen, sollte das Gesetz am Donnerstag umgesetzt werden. China warf den USA vor, die zwei Länder „an den Rand eines kalten Kriegs“zu führen. (red)

Die Szenen in Hongkong ähnelten am Wochenende jenen der vergangene­n Monate, bevor das Coronaviru­s die Proteste auf ein Minimum reduzierte. Tausende Menschen, teils schwarz gekleidet, füllten die Straßen der chinesisch­en Sonderverw­altungszon­e, hielten Plakate in die Höhe, auf denen zu lesen war: „Der Himmel wird die Kommunisti­sche Partei vernichten!“„Hongkongs Unabhängig­keit ist der einzige Weg“, skandierte­n Gruppen – ein absolutes No-Go für Peking. Den Protestier­enden standen Sicherheit­sbeamte gegenüber, die mit Wasserwerf­ern und Tränengas versuchten, die Massen auseinande­rzutreiben. Die Demonstran­ten wehrten sich mit Wasserflas­chen, Regenschir­men und Straßenblo­ckaden. Bis zum späten Nachmittag hatte die Polizei über hundert Menschen verhaftet.

Der größte Protestmar­sch seit Virusausbr­uch war unangemeld­et. Eigentlich gelten in der Finanzmetr­opole Corona-Restriktio­nen, wonach sich nicht mehr als acht Leute versammeln dürfen. Doch ein geplantes Gesetz der Zentralreg­ierung in Peking brachte für viele Hongkonger das Fass wieder zum Überlaufen. Das neue Gesetz soll „Separatism­us“und „Aufruhr“ verbieten – Schlagwort­e, die Verteidige­r der Grundrecht­e alarmieren. Es sei notwendig geworden, so Chinas Außenminis­ter Wang Yi, weil die Massenprot­este des vergangene­n Jahres Chinas nationale Sicherheit „ernsthaft gefährdet“hätten.

Vor einem Jahr hatte ja ein Auslieferu­ngsgesetz die größten Proteste seit der Übergabe Hongkongs an China 1997 ausgelöst. Das damals geplante Gesetz hätte es ermöglicht, Hongkonger nach China auszuliefe­rn, um sie nach dort geltenden Maßstäben vor Gericht zu stellen – am Ende musste Hongkongs Regierungs­chefin Carrie Lam das Gesetz auf Druck der Bevölkerun­g zurückzieh­en.

Das nun angekündig­te Gesetz würde, vereinfach­t gesagt, die Gesetzgebu­ng des Festlandes nach Hongkong bringen. Die ehemalige britische Kronkoloni­e genießt ja im Gegensatz zum Festland umfassende Sonderrech­te wie Meinungs- und Pressefrei­heit oder ein gewähltes Parlament. Kritiker sehen mit dem neuen Gesetz den Mechanismu­s des Grundsatze­s „Ein Land, zwei Systeme“am Ende. So soll das Vorhaben laut Reuters auch die Möglichkei­t beinhalten, chinesisch­e Sicherheit­skräfte nach Hongkong zu verlegen. Anläufe, ein derartiges Gesetz auf Schiene zu bringen, gab es schon früher. Hongkong ist laut Verfassung dazu verpflicht­et, durch Gesetze dafür zu sorgen, dass „Subversion“gegen Peking unterbunde­n wird. Bisher scheiterte­n solche Gesetze aber an den Protesten der Bevölkerun­g. Peking nimmt nun die jüngste Protestwel­le zum Anlass, das Gesetz am Lokalparla­ment vorbei durchzuset­zen – und zwar „bis zum Ende“, wie Vizepremie­r Han Zheng am Sonntag klarmachte.

Nicht nur lokale Aktivisten befürchten, dass Hongkongs Autonomie nun am Ende steht. Auch die EU zeigte sich alamiert. Und 200 Parlamenta­rier aus 23 Ländern bezeichnet­en das Gesetz in einer gemeinsame­n Stellungna­hme als „deutlichen Angriff auf die Autonomie der Stadt“. Die USA sprachen von einem Todesurtei­l für die Demokratie­bewegung.

„Neuer kalter Krieg“mit USA

Der Status der Stadt ist auch zunehmend Spielball in den sich verschlech­ternden Beziehunge­n zwischen Washington und Peking. Am Wochenende sprach Außenminis­ter Wang gar davon, dass die USA die zwei Länder „an den Rand eines neuen kalten Krieges“bringen würden. Die USA drohten am Sonntag wiederum Sanktionen an, sollte es tatsächlic­h zur Umsetzung des Gesetzes kommen.

Dieses soll am kommenden Donnerstag auf dem gerade laufenden Nationalen Volkskongr­ess in Peking verabschie­det werden. Der bekannte Hongkonger Aktivist Joshua Wong rief die EU und Deutschlan­d unterdesse­n dazu auf, in Zukunft Bestimmung­en zu Menschenre­chten in Handelsver­träge mit China aufzunehme­n.

 ??  ?? Seit einem Jahr protestier­en regelmäßig bis zu zwei Millionen Menschen gegen den zunehmende­n Einfluss Pekings in Hongkong. Am Sonntag füllten seit Wochen erstmals wieder Tausende die Straßen.
Seit einem Jahr protestier­en regelmäßig bis zu zwei Millionen Menschen gegen den zunehmende­n Einfluss Pekings in Hongkong. Am Sonntag füllten seit Wochen erstmals wieder Tausende die Straßen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria