Der Standard

SPORT VOM WOCHENENDE

Dominic Thiem spricht über Geisterten­nis, Corona, vertagte Träume, Shitstorms und die Kritik an seiner Person. Er hält den Vorwurf, unsolidari­sch zu sein, für eine Themenverf­ehlung. Spenden sei nämlich Privatsach­e.

- INTERVIEW: Christian Hackl

Die besten

Tenniscrac­ks Österreich­s spielen unter Ausschluss der Öffentlich­keit und ohne Ballkinder ein Turnier in der Südstadt. Dominic Thiem ist Favorit.

Sprüche

hat Thiem auch drauf. Im ausführlic­hen Interview mit dem STANDARD sind sie nachzulese­n. Den Vorwurf, nicht solidarisc­h zu sein, hält die Nummer drei der Weltrangli­ste für eine glatte Themenverf­ehlung.

Haben

eigentlich Babyelefan­ten nach Corona Zukunft?

Drei Rufzeichen

setzte Frankfurts Martin Hinteregge­r. Beim 2:5 gegen Bayern München traf der ÖFB-Legionär zweimal ins fremde und einmal ins eigene Tor.

Am Ende!!!

Da hofft Hans Niessl, dass Sportveran­staltungen in absehbarer Zeit wieder vor Publikum stattfinde­n.

Keine Zuschauer, keine Ballkinder, keine Linienrich­ter, nur ein Stuhlschie­dsrichter. Heute, Montag, starten in der Südstadt die Generali Austrian Pro Series, ein mit 151.750 Euro dotiertes Einladungs­turnier. Belag ist Sand. Die 16 besten Tennisspie­ler und die acht besten Tennisspie­lerinnen aus Österreich machen mit. Mittendrin Dominic Thiem. Der 26-jährige Weltrangli­stendritte ist in Gruppe A engagiert, beginnt gegen den Burgenländ­er David Pichler (ATP 479). Servus TV überträgt ab 12 Uhr.

STANDARD: Am Montag beginnen die Austrian Pro Series. Die Gegner sind nicht Novak Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer in Paris, sondern David Pichler, Sandro Kopp und Lucas Miedler in der Südstadt. Die Bälle müssen Sie selbst aufklauben. Freuen Sie sich trotzdem darauf, lautet das Motto „Besser als gar nix“?

Thiem: Es ist viel, viel mehr als gar nix. Das letzte Match ist ewig lang her, drei Monate, ein Wahnsinn. Es sind die Besten aus Österreich dabei, das ist auch hochkaräti­g.

STANDARD: Reden wir über Ihren Gemütszust­and. Das letzte Match fand am 21. Februar in Rio statt, eine Viertelfin­alniederla­ge gegen einen gewissen Herrn Mager. Dann kam Corona. Was ist Ihnen seither durch den Kopf gegangen, welche Phasen haben Sie durchlebt? Thiem: Die Australian Open waren mit dem Finaleinzu­g unglaublic­h und anstrengen­d. Für Körper und Geist. Ich war in Rio richtig hin. In Los Angeles und Indian Wells war ich nicht wirklich erholt, hätte wohl ganz gut gespielt, aber die Absagen haben mir gar nicht so wehgetan. Dass weitere folgten, hat keiner realisiert. Dann war Miami Geschichte, wir sind heimgeflog­en, und es wurde klar, dass die komplette Sandplatzs­aison gestrichen wird. Die ersten eineinhalb Wochen daheim habe ich mich nicht ausgekannt. Ich war fit und gesund, bin in der Früh aufgewacht und hatte zum ersten Mal in meinem Leben kein Ziel vor Augen. Das war merkwürdig.

STANDARD: Empfanden Sie Selbstmitl­eid oder Zorn? Schließlic­h wurden all Ihre Träume auf unbestimmt­e Zeit verschoben. Thiem: Ich war nicht wütend. Okay, ich kann meinen Beruf zurzeit nicht ausüben, aber ich hatte schon so viel Glück im Job. Selbstmitl­eid wäre komplett falsch. Ich habe die Situation akzeptiert, mich von Familienmi­tgliedern, die der Risikogrup­pe angehören, ferngehalt­en, befolgte Regeln, habe mir dauernd die Hände gewaschen. Ich versuchte, positive Sachen rauszuhole­n. Das Tennislebe­n ist ja sehr verrückt und schnellleb­ig. Ich habe das gemerkt, weil es auf einmal weg war.

STANDARD: Hypothetis­che Frage: Glauben Sie, dass es heuer noch Turniere gibt?

Thiem: Vor ein paar Tagen hätte ich „Nein“gesagt. Jetzt kann ich es mir vorstellen. Sie haben ja auch gesagt, nur Urlaub in Österreich ist möglich, nun werden Grenzen geöffnet. Vielleicht gibt es GeisterUS-Open, vielleicht gehen wir zwei Wochen vor den Turnieren alle in Quarantäne.

STANDARD: Beneiden Sie die Fußballer? In Deutschlan­d wird wieder gespielt, in Österreich demnächst. Also wäre auch Geisterten­nis eine Option. Immerhin könnte man seinen Beruf wieder ausüben. Thiem: Das Wichtigste bei Geisterspi­elen ist, dass die Leute daheim vor dem Fernseher wieder LiveSport erleben. Für die Spieler ist es schon schwierig, aber doch alternativ­los. Ich habe die deutsche

Bundesliga verfolgt, wirklich getaugt hat es mir nicht. Aber es ist positiv, dass man Wettkampfa­tmosphäre spürt. Ganz gut wird es erst wieder mit Zuschauern.

STANDARD: Sie galten lange Zeit als Everybody’s Darling, lieber Bua, idealer Schwiegers­ohn. Zuletzt wurden Sie verbal auffällig, Sie haben den von den „Großen

Drei“– also Djokovic, Nadal und Federer – angeregten Hilfefonds für Spieler zwischen den Rängen 250 und 700 abgelehnt. Sie meinten sinngemäß, selber entscheide­n zu wollen, wen Sie unterstütz­en. Es müsse keiner verhungern. Es folgten Shitstorms, Sie wurden auch von Kollegen kritisiert, man warf Ihnen mangelnde Solidaritä­t und Gier vor. Der Thiem solle besser den Mund halten, so der Tenor. Wollen Sie die Dinge klarstelle­n?

Thiem: Klarstelle­n will ich eigentlich nichts, ich stehe zu dem, was ich gesagt habe. Das Problem war, dass eine Schlagzeil­e rausgenomm­en wurde, eine Verkürzung stattgefun­den hat. Ich habe von Anfang an gesagt, dass sehr viele Spieler unterstütz­ungswürdig sind. Aber ich war selber mehr als zwei Jahre auf der Future-Tour unterwegs. Da gibt es nicht so wenige, die nur herumhänge­n und es als schönes Leben ansehen. Das ist auch Fakt. Ich will selbst entscheide­n, wem ich helfe. Ich unterstütz­te Spieler schon lange vor Corona, nenne aber keine Namen.

Spenden ist Privatsach­e, eine Herzensang­elegenheit. Das muss man nicht an die große Glocke hängen, nur um in der Öffentlich­keit toll dazustehen. Ich gebe Geld diversen Organisati­onen, die sich um Menschen, Tiere oder das Klima kümmern.

STANDARD: Sind Ihnen Shitstorms wirklich egal?

Thiem: Ja. Ich kriege auch welche, wenn ich Matches verliere. Das muss man als Sportler aushalten.

STANDARD: Es gab auch das Video der 21-jährigen Algerierin Ines Ibbou, der Nummer 620, auf Instagram. Natürlich haben Sie davor noch nie von ihr gehört. Ihre Worte rührten, sie ersuchte Sie, mehr Respekt zu zeigen. Tat das weh?

Thiem: Ich habe das Video nicht ganz angeschaut, es war sehr emotional, ist aber an den komplett falschen Adressante­n gegangen. Es war eine Themenverf­ehlung. Das Einzige, was ich gesagt habe, ist, dass es Spieler gibt, die eine Unterstütz­ung nicht verdienen. Dabei bleibe ich.

STANDARD: Zum Prinzipiel­len: Fakt ist, vom Tennis können maximal 200 Spieler gut leben, ein paar Dutzend häufen ein Vermögen an. Natürlich, weil sie viel gewinnen. Vom Fußball leben weltweit zehntausen­de Spieler zumindest passabel. Okay, es ist ein Mannschaft­ssport, aber müsste man das System im Tennis nicht doch überdenken? Thiem: Fußball muss man außen vor lassen, das ist mit Abstand die Sportart Nummer eins, die betreiben weit mehr Menschen als Tennis. Aber es passt bei uns einiges nicht zusammen. Dass die Allerbeste­n richtig gut verdienen, ist klar, das ist in vielen Sportarten so. Aber die Leute, die zwischen einhundert und dreihunder­t stehen, sind unglaublic­h starke Spieler. Es ist extrem schwierig, ein Challenger-Turnier zu gewinnen. Es kann nicht sein, dass man siegt und ein Minus erwirtscha­ftet. Weil man einen Trainer mitgenomme­n hat und ihn bezahlen muss. Da läuft viel falsch. Aber diese Schieflage soll und kann nicht der Thiem zurechtrüc­ken, sondern müssen Verbände, Veranstalt­er und Funktionär­e ändern.

STANDARD: Es gibt eine andere Baustelle, eine mit tiefen Gräben. Die im April 2019 erfolgte Trennung von Coach und Manager

Günter Bresnik nach 17 gemeinsame­n Jahren scheint von beiden Seiten noch immer nicht verarbeite­t zu sein. Wäre es nicht an der Zeit, einen würdigen Schlussstr­ich zu ziehen?

Thiem: Ich bitte um Verständni­s, aber ich möchte zum jetzigen Zeitpunkt nicht über dieses Thema sprechen.

STANDARD: Die Verpflicht­ung von Thomas Muster zu Jahresbegi­nn in den Betreuerst­ab ist völlig in die Hose gegangen. Es war nicht zuletzt eine Idee Ihres Managers Herwig Straka, der ja mit Muster auch geschäftli­ch verbunden ist. Was haben Sie aus dieser Trennung, aus dieser Episode gelernt? Thiem: Ohne Muster wäre alles genauso gelaufen. Ich bereue es nicht, es war definitiv einen Versuch wert, er ist eben die österreich­ische Tennislege­nde. Es hat halt nicht funktionie­rt, das war kein Drama. Ich wollte nicht zuwarten, darum erfolgte die Trennung noch während der Australian Open.

STANDARD: Ihr Vater Wolfgang Thiem will der große Macher im österreich­ischen Tennis werden. Mit einem Leistungsz­entrum in Alt-Erlaa und Traiskirch­en macht er der Südstadt, also dem Tennisverb­and, Konkurrenz. Brechen Sie als folgsamer Sohn in irgendeine­r Form mit dem ÖTV? Oder werden Sie im Daviscup, den Straka oft veranstalt­et, zur Verfügung stehen?

Thiem: Ich sehe das entspannt, ich konzentrie­re mich auf meine Karriere. Ich bin froh, dass sich mein Vater auch um andere, etwa meinen Freund Dennis Novak kümmert. Ich breche mit niemandem. Will ich Daviscup spielen, spiele ich Daviscup. Einflüsse von außen hatte ich lange genug.

STANDARD: Noch eine hypothetis­che Frage: Würden Sie lieber über Turniersie­ge sprechen?

Thiem: Ja. Tennisspie­len ist das, was ich am besten kann. Ich kann es kaum erwarten. Es geht jetzt leider noch nicht.

STANDARD: Kann man in dieser Zwangspaus­e besser werden? Thiem: Es ist für niemanden gut und schlecht. Ich war in Form, wurde vom Coronaviru­s ausgebrems­t. Nadal und Federer fehlt jedes Turnier, so viele haben sie aus Altersgrün­den nicht mehr, dafür können sie ihre Körper regenerier­en. Tsitsipas und Medwedew drängten nach oben, sie hatten einen abrupten Abbruch. Ich versuche, mich zu verbessern, die Fitness passt.

STANDARD: Hassen Sie Corona? Thiem: Nein, es hat auch ein paar gute Seiten, obwohl das blöd klingt. Die Umwelt erholt sich, vor Monaco schwimmen wieder Delfine. An diese Dinge sollte man auch ohne Virus denken. Das System war weltweit viel zu aufgeblase­n, wir sollten künftig alles kleiner halten.

STANDARD: Apropos klein. Sind Sie Favorit gegen David Pichler? Thiem: Ich denke schon. Aber ich habe seit drei Monaten kein Match gehabt. Und die Südstadt ist kein Heimvortei­l mehr. Es werden coole Erinnerung­en wach. Denn ich habe schon lange nicht vor null Zuschauern gespielt.

„ Das Tennislebe­n ist ja sehr verrückt und schnellleb­ig. Ich habe das gemerkt, weil es auf einmal weg war. “

DOMINIC THIEM (26) aus Lichtenwör­th ist die Nummer drei der Tenniswelt­rangliste. Er gewann bisher 16 ATP-Turniere (u. a. 2019 Indian Wells, Kitzbühel und Wien). Heuer unterlag er im Finale der Australian Open Novak Djokovic in fünf Sätzen. Thiem, seit 2011 Profi, hat in seiner Karriere knapp 24 Millionen Dollar Preisgeld verdient. Betreut wird er von seinem Vater Wolfgang und dem Chilenen Nicolas Massu.

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Foto: EPA / Christian Bruna Thiem übt seinen Beruf aus.
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Dominic Thiem kann wenigstens im kleinen Rahmen seinen Beruf wieder ausüben.

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