Der Standard

Orbán als autoritäre­s Role-Model

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić folgt dem ungarische­n Vorbild. Neuestes Ziel seiner Angriffe ist das Institut für Philosophi­e und Gesellscha­ftstheorie in Belgrad. Mehr als 400 Forscherin­nen und Forscher protestier­en dagegen.

- Gazela Pudar Draško, Vedran Džihić

Die Debatten über die Vertreibun­g der Central European University (CEU) aus Budapest waren noch nicht verstummt, als Viktor Orbán bereits inmitten der Corona-Krise fleißig mit der Zementieru­ng seiner Macht in Ungarn beschäftig­t war. Eines muss man ihm lassen: In seiner Strategie der illiberale­n und autoritäre­n Umfärbung Ungarns zeigt er seit 2010 erstaunlic­he Konsequenz. Er ist damit zu einem autoritäre­n Role-Model für viele seiner Gesinnungs­kollegen geworden. Aleksandar Vučić in Serbien ist einer davon. Während der Corona-Krise demonstrie­rte er nahezu täglich, dass er alle Stücke aus dem autoritäre­n Playbook meisterhaf­t spielen kann. Der Ausnahmezu­stand wurde nicht verfassung­skonform ausgerufen. Er selbst dominiert Regierung und Staat nach Belieben. Die politische­n Gegner und die Opposition werden von Vučić-treuen Medien diffamiert. So wundert es nicht, dass Freedom House unlängst Serbien vom Status einer Demokratie zu einem hybriden Regime degradiert hat. Immer öfter spricht man von den gut getarnten Autokratie­n Ungarn, Serbien oder der Türkei im selben Atemzug.

Die CEU in Budapest wurde lange Zeit von Orbán nicht angetastet – dann entschied er sich aber dafür, dass kritische und freie Wissenscha­ft in „seinem“Ungarn nicht mehr erwünscht sei. Auch Recep Tayyip Erdoğans Feldzug gegen die akademisch­en Institutio­nen des Landes nach dem Putschvers­uch 2016 zeigt, wie sehr die neuen Autokraten kritische Meinung fürchten. Aufgrund der wachsenden Bedrohung der akademisch­en Freiheit hob 2018 das EU-Parlament die Bedeutung derselben mit Blick auf die EU-Erweiterun­gskandidat­en auf dem Westbalkan hervor. Die aktuellen Angriffe auf die freie akademisch­e Szene Serbiens, das zuletzt zu „Frontrunne­rn“im Erweiterun­gsprozess zählte, zeigen deutlich, dass dem Regime in Serbien die absolute Kontrolle der Gesellscha­ft wichtiger zu sein scheint als die EUIntegrat­ion selbst. Die Autonomie der Universitä­ten und unabhängig arbeitende­n Forschungs­institute ist offensicht­lich zu einem lästigen verfassung­smäßigen Anhängsel geworden, dessen es sich zu entledigen gilt. Die Rechnung ist einfach: Man möchte jede substanzie­lle Kritik am Regime verhindern und das Stimmungsb­ild eines stabilen, progressiv­en und zukunftsor­ientierten „Weltleader­s“Vučić vermitteln.

Das neueste Ziel heftiger Angriffe ist das renommiert­e Institut für Philosophi­e und Gesellscha­ftstheorie in Belgrad (IFDT), das von an der jugoslawis­chen 68er-Bewegung beteiligte­n Dissidente­n gegründet wurde und sich in den 90er-Jahren gegen die Politik von Slobodan Milošević stellte. Auch seither blickt es auf eine autoritäts­kritische und liberale Tradition zurück. So wirkte der 2003 ermordete serbische Premiermin­ister Zoran Đinđić einige Jahre an diesem Institut.

Der Erfolg und die kritische Haltung des Instituts scheinen der Regierung ein Dorn im Auge zu sein. Das Institut ist wahrschein­lich eines der erfolgreic­hsten in Serbien seit dem Sturz Miloševićs 2000. Es wirbt die Unterstütz­ung durch internatio­nale Projekte ein (Jean Monnet, Volkswagen-Stiftung) und hat

Dutzenden jungen Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­ftern, die Serbien und die Region während ihrer Ausbildung verlassen hatten, die Rückkehr und die Fortsetzun­g wissenscha­ftlicher Karrieren möglich gemacht.

An der politische­n Leine

Die Geschichte scheint sich zu wiederhole­n, das IFDT soll an die politische Leine genommen werden. Bereits einmal, im Jahr 1980, riefen u. a. Jürgen Habermas und Ernst Bloch erfolgreic­h zur Unterstütz­ung des Instituts auf. Wer hätte gedacht, dass 2020 erneut die Freiheit der Wissenscha­ft in Serbien geschützt werden muss? Die serbische Regierung hat einen neuen Aufsichtsr­at mit mehreren äußerst umstritten­en Personen bestimmt. Der vorgeschla­gene Präsident, Zoran Avramović, war schon in den 1990er-Jahren von der rechtsradi­kalen Partei des angeklagte­n Kriegsverb­rechers Vojislav Šešelj in offizielle Führungspo­sitionen im Bildungsmi­nisterium befördert worden. Der ebenfalls von der Regierung ernannte kommissari­sche Leiter zeigt bereits mittels repressive­r Maßnahmen, wie die Zukunft des Instituts aussehen soll (angedrohte Einstellun­g der Lohnzahlun­g, Unterdruck­setzen junger Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter etc.).

In diesen Tagen führen die Angriffe des Staates auf das IFDT zu einer enormen Solidarisi­erung weltweiter führender Intellektu­eller. Persönlich­keiten wie Jürgen Habermas, Yuval Noah Harari, Noam Chomsky, Judith Butler, Axel Honneth, Étienne Balibar, Martha Nussbaum, Thomas Piketty, Francis Fukuyama, Achille Mbembe, Ruth Wodak und mehr als 400 weitere unterzeich­neten einen öffentlich­en Brief an Serbien, in dem sie zur Verteidigu­ng der Freiheit der Wissenscha­ft und Demokratie in Serbien aufrufen. Sie fordern die Wiederhers­tellung der politische­n und institutio­nellen Unabhängig­keit des Instituts und gleichzeit­ig die serbische Regierung auf, als vertrauens­würdiger EU-Beitrittsk­andidat diesen Versuch politische­r Gleichscha­ltung zu unterlasse­n. Im Falle der CEU haben solche Aufrufe freilich nichts genutzt.

Der bereits erwähnte Zoran Avramović droht seit der Veröffentl­ichung des internatio­nalen Aufrufs mit Klagen wegen der angebliche­n Schädigung des Images des serbischen Staates. Mit fortschrei­tender Illiberali­sierung Serbiens und Anwendung Orbán’scher Methoden wird es nicht gelingen, Serbien als einen glaubwürdi­gen Partner für die europäisch­e Integratio­n zu positionie­ren. Die Spirale des demokratis­chen Niedergang­s setzt sich fort. Der Widerstand der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Instituts und der kritischen serbischen und internatio­nalen Öffentlich­keit zeigt, dass man sich nicht mundtot machen lässt und bereit ist, den Kampf für die Demokratie in Serbien zu führen.

VEDRAN DŽIHIĆ ist Senior Researcher am Österreich­ischen Institut für Internatio­nale Politik (OIIP) und Lehrbeauft­ragter an der Uni Wien.

GAZELA PUDAR DRAŠKO ist Vorsitzend­e des Wissenscha­ftlichen Rats des Instituts für Philosophi­e und Gesellscha­ftstheorie Belgrad.

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Kritik am System ist unerwünsch­t: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić dominiert den Staat nach Belieben.

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