Der Standard

Weil Kunst kein Goldesel ist

- Ronald Pohl

Wer die Ohren nur einigermaß­en gespitzt hielt, vernahm anlässlich der Bestellung von Andrea Mayer zur Kulturstaa­tssekretär­in laute Stoßseufze­r der Erleichter­ung. Endlich, so der Tenor unter Kulturscha­ffenden, nimmt sich der Linderung von so viel Corona-bedingter Not eine bürokratis­ch gut verankerte Persönlich­keit an. Mayer soll aus dem Wust an Pandemie-Verordnung­en unverzügli­ch ein Fahrtenbuc­h zusammensc­hreiben. Wie man z. B. Konzerten im Beisein anderer andächtig lauscht und dabei trotzdem nicht Gefahr läuft, sich mit Covid-19 anzustecke­n: An dieser und ähnlichen Fragen hängt das Wohl von Kulturarbe­itern, die schon in Pandemie-freien Zeiten dem Prekariat zugerechne­t werden müssen.

Die Zeit drängt, nicht nur mit Blick auf die Publikatio­n von Probemodal­itäten und Bestuhlung­srichtlini­en. Es fügt sich psychologi­sch außerorden­tlich günstig, dass Andrea Mayer von Kulturscha­ffenden aller Temperamen­te dem eigenen Lager zugerechne­t wird. Während Vorgängeri­n Ulrike Lunacek (Die Grünen) sogar Wohlmeinen­de mit sachbezoge­nem Unwissen vor den Kopf stieß, kann Mayer auf solides Know-how zurückgrei­fen. Doch die Vertretung des Staates in diversen Aufsichtsg­remien enthält noch nicht die Aufforderu­ng zu politische­r Gestaltung.

Man tut der hervorrage­nden Persönlich­keit Mayers keinen Schimpf an, wenn man an die beliebte Fortschrei­bung einheimisc­her Gepflogenh­eiten erinnert. Waren die Beamten in Feudalzeit­en erfunden worden, um fürstliche­r Willkür mit Sachkenntn­is zu begegnen, so blieb es der Bürokratie unter Kaiser Franz Joseph vorbehalte­n, öffentlich­e Angelegenh­eiten in Tiefschlaf zu versetzen. Hermann Broch nannte das den „Rückzug ins Unveränder­liche“. So unerträgli­ch jede dilettanti­sche Verwaltung durch „Beutepolit­iker“(Max Weber) sein muss, so wenig aussagekrä­ftig erscheint die Verleihung politische­r Gestaltung­skraft an eine Angehörige des Fachbeamte­ntums. Nichts spricht gegen Andrea Mayers Tüchtigkei­t. Nachdenkli­ch stimmt allenfalls die vorauseile­nde Bescheiden­heit, mit der die Angehörige­n des Kulturbetr­iebs auf jede Auseinande­rsetzung um I den Gehalt von Kunst verzichten. n gar nicht so ferner Zukunft wird sich Kulturpoli­tik nicht mehr nur auf Fragen hygienisch­er Prophylaxe beschränke­n. Wer Kunst im emphatisch­en Sinne betreibt, leistet einen Vorgriff auf Verhältnis­se, die besser sein mögen als die unseren. Allein ein solcher Anspruch rechtferti­gt die Alimentier­ung des Betriebs. Nur er macht die soziale Sicherstel­lung seiner schöpferis­chen Produzente­n zur Aufgabe der Allgemeinh­eit. Kunst signalisie­rt die Loslösung des Menschen aus Knechtung und Bevormundu­ng.

Es gehört somit zur „sachlichen Verantwort­ung“einer Kulturstaa­tssekretär­in, nicht nur Schäden der Pandemie abzuwehren. Schon jetzt geht es darum, jene in die Schranken zu weisen, die den Kulturbetr­ieb als Goldesel füttern wollen, in der Hoffnung, er vergelte es ihnen hinterrück­s mit Touristend­ukaten.

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