Der Standard

KOPF DES TAGES

Ein „Psychopath“mit CoronaSond­errechten

-

Wie wenig Dominic Cummings von Konvention­en, guten Manieren und hergebrach­ten Weisheiten hält, wusste man schon. Als Chefstrate­ge der Brexit-Kampagne hatte er maßgeblich­en Anteil an der Totalumkeh­r britischer Innenund Außenpolit­ik. Als mächtigste­r Berater von Premier Boris Johnson ließ er eine fristlos entlassene Mitarbeite­rin von einem Polizisten aus der Downing Street eskortiere­n. Die sonst auf der Insel geltende Anzugpflic­ht unterläuft der 48Jährige in abgerissen­en Sweatshirt­s und schlecht sitzenden Jeans.

Seit Samstag weiß die Öffentlich­keit: Cummings zufolge galt auch der Corona-Lockdown für alle – nur nicht für ihn. Einträchti­g berichtete­n Guardian und Mirror von einer Fahrt des Johnson-Beraters samt seiner Frau Mary Wakefield und dem vierjährig­en Cedd Ende März von London ins mehr als 400 Kilometer entfernte Durham. Der Trip sei notwendig gewesen, weil Wakefield bereits an Sars-CoV-2 erkrankt und Cummings selbst hochgefähr­det war, teilte Downing Street mit; Cedd habe Aufsicht gebraucht, die Cummings’ Schwester leisten konnte.

Diese Erklärung sorgte für wütende Proteste. Die konservati­ve Sunday Times forderte ebenso Cummings’ Entlassung wie kleinere Opposition­sparteien und eine Reihe von Tory-Hinterbänk­lern.

„Viel Feind, viel Ehr“, dürfte sich Cummings denken, schließlic­h zitiert er gern den chinesisch­en General Sun Tzu (544–496 v. Chr.) und gehört zu den Verehrern des deutschen Reichskanz­lers Otto von Bismarck (1815–1898). Als Chefstrate­ge der BrexitKamp­agne „Vote Leave“agierte er ebenso rücksichts­los wie seit vergangene­m Juli als Johnsons engster Berater. Damit hat der schmale Historiker mit einem Faible für Wissenscha­ftsthemen deutlich mehr Einfluss als die meisten Kabinettsm­itglieder.

Dass er nicht einmal Mitglied der Konservati­ven ist, sogar alle Parteien für ebenso überflüssi­g hält wie das traditione­ll neutrale Berufsbeam­tentum, hat Cummings viele Feinde eingebrach­t. Für einen „unflätigen Trottel“hält ihn der altgedient­e Tory-Hinterbänk­ler Roger Gale, eines von sieben Fraktionsm­itgliedern, die den Rücktritt des Lockdown-Interprete­n verlangen.

Ex-Premier David Cameron, in dessen Regierungs­zeit (2010–2016) Cummings das Bildungsmi­nisterium aufmischte, bezeichnet­e den Beamtenhas­ser sogar als „Karriere-Psychopath­en“. Ob er den Lockdown-Sturm im Amt überlebt oder nicht – der britischen Politik wird Cummings jedenfalls erhalten bleiben. Sebastian Borger

 ?? Foto: AP ?? Dominic Cummings strapazier­t die Geduld der britischen Konservati­ven.
Foto: AP Dominic Cummings strapazier­t die Geduld der britischen Konservati­ven.

Newspapers in German

Newspapers from Austria