Unbehagen in Mittel- und Osteuropa
Corona-Fonds könnte neue Nettozahler bringen
Einmal mehr ist es eine Krisensituation, die althergebrachte Bilder von der Europäischen Union radikal infrage stellt. Waren es nach 2004, dem Jahr der großen EU-Erweiterung, die damals neuen Mitgliedsländer Mittel- und Osteuropas, die vor allem über ihren wirtschaftlichen Aufholprozess gegenüber den alten EU-Staaten definiert wurden, so änderte die Eurokrise ab etwa 2010 die Lage fundamental: Plötzlich galten Länder wie Griechenland, Italien oder Spanien als ökonomische Sorgenkinder. Der alte West-OstGegensatz trat in den Hintergrund, mit einem Mal drehte sich alles um einen neuen Graben zwischen Nord und Süd.
Für so manchen Politiker in jenen osteuropäischen Staaten, die bis heute nicht der Währungsunion beigetreten sind, dienten die Krise und der für die Eurostaaten kostspielige Euro-Rettungsschirm als Argument gegen die Einführung der Gemeinschaftswährung. Gleichsam durch die Hintertür wurde so also doch wieder die Skepsis gegenüber den älteren Mitgliedern und einer tieferen europäischen Integration genährt.
Die Ähnlichkeit mit der Corona-Krise des Jahres 2020 liegt auf der Hand. Erneut sind es die südeuropäischen Länder, die unter den Folgen der Pandemie besonders leiden und nun unterstützt werden sollen. Nicht nur von den „Sparsamen Vier“Österreich, Dänemark, Schweden und den Niederlanden, sondern auch aus Mittel- und Osteuropa kommt daher Kritik am deutsch-französischen Vorstoß für EU-Corona-Hilfen im Umfang von 500 Milliarden Euro, die als Zuschüsse ausgezahlt werden sollen – einem Plan, der je nach Ausgestaltung manche Staaten der Region von Nettoempfängern zu Nettozahlern machen könnte.
„Für Erfolg bestraft“
Tschechiens Premierminister Andrej Babiš etwa ist gegen die Aufnahme von Schulden durch die EU als Ganzes, um das geplante Hilfsprogramm zu finanzieren. Zudem stößt er sich am Prinzip der Umverteilung an die am stärksten betroffenen Staaten: „Es wäre ungerecht, wenn wir dafür bestraft würden, dass wir (bei der Bekämpfung des Coronavirus, Anm.) erfolgreich gewesen sind“, sagte Babiš vorige Woche nach einer Unterredung der Regierungschefs der vier Visegrád-Staaten Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.
Auch in Polen wurden „ernsthafte Zweifel“am deutsch-französischen Vorstoß laut. Europaminister Konrad Szymański jedoch zeigte sich im öffentlichrechtlichen Rundfunk zurückhaltend und verwies darauf, dass Details zur Vergabe des Geldes noch fehlen würden (siehe links). Hier liege die „Schlüsselentscheidung, von der abhängt, ob Polen und Mitteleuropa einen solchen AntiKrisen-Mechanismus der EU unterstützen werden.“
Ursula von der Leyen liebt es, mit Milliardensummen in dreistelliger Höhe, ja sogar mit Billionen von Euro nur so um sich zu werfen. Zumindest rhetorisch. Wenn die Präsidentin der EU-Kommission politische Pläne präsentiert, wird einem leicht schwindlig.
Alles ist dann groß. Maximal. So wie beim Start, als sie für den Green Deal, ein Klimarettungsprogramm warb, Europas „Mondlandungsmoment“. Leider kamen das Coronavirus, der Absturz der Wirtschaft dazwischen. Die Folgen bekommen vor allem die reicheren EU-Staaten zu spüren – die im Süden mehr als die im Norden.
Von der Leyen muss nun für den „Wiederaufbau“umdisponieren. Die Gelder sollen nach anderen Kriterien als bisher zwischen den 27 EU-Mitgliedsländern verteilt werden. Seit Tagen zanken sich die „Westler“in der Union, wie das gehen, wer wofür zahlen, wer kassieren soll. Es gibt die „Opfer“im Süden, die „geizigen“kleinen Staaten im Norden (mit Österreich), dazwischen Deutschland und Frankreich.
Eine große Gruppe kleiner EU-Staaten war auffallend still: die Mittel- und Osteuropäer. Sie profitieren stark von EU-Budgets. Verschiebungen durch Wiederaufbaugelder nach Süden gefährden das. Um all die Budgetpläne beschließen zu können, braucht es jedoch Einstimmigkeit.
Von der Leyen muss sich also auch für die „Ostler“, für deren Zustimmung, etwas einfallen lassen, damit ihre Pläne aufgehen. Das wird billionenteuer.