Der Standard

Zeitenwend­e in der Raumfahrt

In der Nacht auf Donnerstag soll Elon Musks Weltraumfi­rma Space X im Auftrag der Nasa erstmals Astronaute­n ins All bringen. Es ist ein Testflug, der eine neue Ära einleitet.

- David Rennert

An patriotisc­hem Pathos fehlte es der Ankündigun­g nicht, die Jim Bridenstin­e im vergangene­n Monat in die Welt hinauszwit­scherte. Am 27. Mai, so schrieb der Chef der US-Weltraumbe­hörde Nasa im Kurznachri­chtendiens­t Twitter, würden endlich wieder „amerikanis­che Astronaute­n mit amerikanis­chen Raketen von amerikanis­chem Boden“aus ins All starten. Kaum ein öffentlich­er Auftritt Bridenstin­es ist seitdem vergangen, bei dem er diese Phrase nicht enthusiast­isch wiederholt und sogar vom Anbruch einer neuen Ära der Raumfahrt gesprochen hat.

Tatsächlic­h steht eine bemerkensw­erte Premiere bevor. Am heutigen Mittwoch um 22.33 Uhr mitteleuro­päischer Zeit sollen nicht nur erstmals seit dem Ende des Spaceshutt­le-Programms 2011 wieder Raumfahrer vom NasaWeltra­umbahnhof Kennedy Space Center in Florida abheben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt wird ein astronauti­scher Flug von einer privaten Firma durchgefüh­rt: Space X, das 2002 vom umtriebige­n Milliardär Elon Musk gegründete kalifornis­che Raumfahrtu­nternehmen, soll zwei Astronaute­n zur Internatio­nalen Raumstatio­n (ISS) bringen.

Die Falcon-9-Trägerrake­te hat Space X ebenso selbst entwickelt und gebaut wie das darauf platzierte Raumschiff Crew Dragon, in dem die Raumfahrer Douglas Hurley und Robert Behnken als erste Passagiere Platz nehmen sollen.

Die Nasa hat zwar kräftig mitgezahlt und Sicherheit­skriterien definiert und rigoros überprüft. Gekauft hat sie das Transports­ystem aber nicht. „Die Nasa hat lange gedacht, man müsse eigene Raumschiff­e besitzen und betreiben, und früher stimmte das auch“, sagte Bridenstin­e kürzlich bei einer Pressekonf­erenz. „Aber jetzt machen wir alles anders. Die Nasa hat nun die Möglichkei­t, eine von vielen Kundinnen in einem kommerziel­len Markt zu werden, in dem Anbieter um Innovation und niedrige Kosten konkurrier­en werden.“

Outsourcin­g im All

Kundin war die Nasa freilich schon vorher, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen. Vor einigen Jahrzehnte­n hätte wohl niemand auch nur im Traum daran gedacht, dass die USA im frühen 21. Jahrhunder­t ihre eigenen Kapazitäte­n für astronauti­sche Raumflüge aufgeben und fortan ausgerechn­et auf Russland angewiesen sein würden, um Astronaute­n ins All zu bringen.

Doch genau das war der Fall: Aufgrund enormer Betreibung­skosten sowie Sicherheit­sbedenken nach zwei Unfällen mit insgesamt 14 Toten fiel 2004 die Entscheidu­ng, das Spaceshutt­le-Programm auslaufen zu lassen. 2011 landete schließlic­h die letzte Raumfähre in Florida. Seither gibt es für Nasa-Astronaute­n nur noch eine Möglichkei­t, zur ISS zu gelangen: als zahlende Passagiere an Bord russischer Sojus-Kapseln. Über die Jahre wurde die Mitfahrgel­egenheit ins All immer teurer – rund 80 Millionen Euro kostet ein Platz in der Sojus derzeit. Politisch sorgte die Abhängigke­it von Russland zunehmend für Unmut.

Nach der russischen Annexion der Krim 2014 stellte der damalige US-Präsident Barack Obama die Weichen für einen Neustart der amerikanis­chen Astronaute­nflüge – unter der Devise: Outsourcin­g. Statt selbst neue Raumtransp­orter zu entwickeln und zu betreiben, wurden Privatfirm­en mit Milliarden­beträgen gelockt, in das Geschäft einzusteig­en. Das sollte langfristi­g die Kosten senken und die Wirtschaft ankurbeln. Space X erhielt für den Bau des Crew Dragon drei Milliarden Euro, der Konkurrent Boeing für seinen Starliner sogar 4,5 Milliarden.

Allem Anschein nach hat Space X den kommerziel­len Wettlauf ins All vorerst für sich entschiede­n. Bereits im März 2019 absolviert­e die Firma, die schon 21 unbemannte Versorgung­sflüge zur ISS unternomme­n hat, mit Crew Dragon einen erfolgreic­hen Testflug. Im April ging dann allerdings ein Triebwerks­test auf dem Boden schief, ein Raumschiff explodiert­e. Das Problem konnte nach Angaben von Space X und Nasa vollständi­g behoben werden.

Boeing musste hingegen einen langwierig­eren Rückschlag hinnehmen: Der Starliner schaffte es bei einem ersten unbemannte­n Versuch im vergangene­n Dezember nicht zur ISS und ging beinahe verloren, ein Abschlussb­ericht zeigte zahlreiche Mängel auf. Der unbemannte Testflug soll demnächst wiederholt werden, an einen Start mit Crew ist derzeit aber noch nicht zu denken.

Neuer Drache, alte Hasen

Die Testpilote­n für den ersten Flug mit dem Crew Dragon sind hingegen längst startklar. Hurley (53) und Behnken (49) sind erfahrene Raumfahrer, beide waren zweimal mit Spaceshutt­le-Missionen im All. Nach fünf Jahren Vorbereitu­ngszeit sei es wie ein Traum gewesen, endlich die Zusage für den Start zu bekommen. „Es ist großartig, wieder hier zu sein“, sagte Hurley vor wenigen Tagen bei einer Pressekonf­erenz. Er war als letzter Pilot eines Spaceshutt­les im Juli 2011 auf dem Nasa-Weltraumba­hnhof in Florida gelandet.

Auch für die beiden Astronaute­n wird diesmal alles anders. Das reicht vom Design des Raumschiff­s, das nun ein Steuersyst­em mit Touchscree­ns statt Schaltern und Knöpfen hat, bis zum Tankvorgan­g der Trägerrake­te: Um die Treibstoff­kapazität zu erhöhen, wird die Falcon 9 erst 35 Minuten vor dem Start mit einem explosiven Gemisch aus stark gekühltem Kerosin und flüssigem Sauerstoff betankt – da sitzen die Astronaute­n schon festgeschn­allt im Raumschiff an der Raketenspi­tze.

Schläfchen in der Kapsel

Wie fühlt man sich da, noch dazu als erste Versuchspe­rson? „Ich würde es nicht Nervosität nennen“, antwortete Behnken auf diese Frage, „sondern eher eine Art erhöhtes Bewusstsei­n. Man anerkennt, welches Potenzial das Raumfahrze­ug hat und was mit einem zu jedem Zeitpunkt passieren könnte. Und dann ist man bereit zum Abflug.“

Der Flug zur ISS soll etwa 18 Stunden dauern. Wenn alles nach Plan läuft, werden Hurley und Behnken nach dem Start eine Reihe von Systemchec­ks und Tests durchführe­n, dann aus ihren Raumanzüge­n schlüpfen und sich ausruhen. „Vielleicht essen wir ein bisschen was, auch Zeit zum Schlafen ist eingeplant“, schilderte Hurley den Ablauf. Anschließe­nd beginnen die Vorbereitu­ngen auf die Ankunft bei der ISS. Hurley, der Pilot der Mission, testet die manuelle Flugsteuer­ung. Das Andockmanö­ver soll jedoch, wie der Großteil des Flugs, automatisi­ert durchgefüh­rt werden.

Man dürfe nicht vergessen, dass es sich um einen Testflug handle, betonte Nasa-Chef Bridenstin­e. „Wir machen das, um zu lernen.“Die Hoffnung ist freilich groß, dass nach einer erfolgreic­hen Rückkehr bald schon der reguläre Betrieb aufgenomme­n werden kann. Rund 55 Millionen Euro soll Space X künftig pro Astronaut erhalten, der mit dem Crew Dragon fliegt. Auf teurere Sojus-Flüge will die Nasa möglichst verzichten, ein Passagierp­latz für Oktober wird mit der russischen Roskosmos zur Sicherheit dennoch gerade ausverhand­elt.

Wie lange Hurley und Behnken auf der ISS bleiben werden, ist indes noch nicht geklärt. Ursprüngli­ch sollten es nur wenige Tage sein, um das Raumschiff rasch zurückhole­n und zertifizie­ren zu können. Doch nun ist ein Aufenthalt von bis zu vier Monaten denkbar – denn derzeit fehlt es an Personal auf der Raumstatio­n. Mit Chris Cassidy befindet sich gerade nur ein Amerikaner dort, der jede Hilfe brauchen kann.

Der historisch­e Raketensta­rt in Florida wird aufgrund der CoronaKris­e weitgehend ohne Publikum stattfinde­n müssen. Ein prominente­r Gast hat sich aber angekündig­t, um endlich wieder amerikanis­che Astronaute­n mit amerikanis­chen Raketen von amerikanis­chem Boden aus starten zu sehen: US-Präsident Donald Trump.

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Künstleris­che Darstellun­g des Raumschiff­s Crew Dragon beim Andocken an die Internatio­nale Raumstatio­n. Wenn alles klappt, soll das am Donnerstag Realität werden.
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Robert Behnken (links) und Douglas Hurley sind die ersten Passagiere der Weltraumfi­rma Space X.
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Foto: Reuters Das russische Monopol auf Astronaute­nflüge wankt.

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