Der Standard

EU will Wirtschaft mit 750 Milliarden Euro wiederaufb­auen

1,1 Billionen Euro Budget bis 2027 Einnahmen durch CO2- und Digitalste­uer

- Thomas Mayer aus Brüssel, Aloysius Widmann

– Zur Überwindun­g der Corona-Krise schlägt die EU-Kommission einen Wiederaufb­aufonds in der Höhe von 750 Milliarden Euro vor. Dafür will Brüssel Schulden aufnehmen. Weil die auch zurückgeza­hlt werden müssen, will die Kommission zudem neue Einnahmequ­ellen erschließe­n. Konkret schlug EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen am Mittwoch eine europäisch­e Digitalste­uer sowie Einnahmen durch eine CO2-Abgabe vor. Der Plan der Kommission­schefin sieht zudem für 2021 bis 2027 ein EU-Budget in der Höhe von 1,1 Billionen Euro vor, das auch klimapolit­isch wirksam werden soll. 500 Milliarden Euro der EU-Hilfen sollen Zuschüsse sein, 250 Milliarden Euro hingegen Kredite. Österreich und andere Länder hatten auf Rückzahlun­g bestanden.

Hierzuland­e wurden unterdesse­n weitere Adaptierun­gen des Corona-Rettungssc­hirms präsentier­t. Selbststän­dige sollen nun mindestens 500 Euro pro Monat über den Härtefallf­onds erhalten, zusätzlich­e 500 Euro gibt es als „Comeback-Bonus“. Das gilt auch rückwirken­d. Der Betrachtun­gszeitraum wurde zudem ausgeweite­t. Arbeitsmin­isterin Christina Aschbacher (ÖVP) kündigte am Mittwoch außerdem an, dass Teilzeitge­hälter über das AMS aufgestock­t werden sollen. Die Regierung will so 15.000 Arbeitsplä­tze schaffen. (red)

Die EU-Kommission hat im Auftrag der 27 Staats- und Regierungs­chefs einen „Wiederaufb­auplan“zur Bewältigun­g der wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Krise erarbeitet. Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen stellte das auf „Next Generation“getaufte Programm am Mittwoch im EU-Parlament vor. Kernpunkt: Brüssel will 750 Milliarden Euro an Schulden aufnehmen.

Frage: Wozu braucht man diese EU-Mittel, die Staaten pumpen doch bereits viele Milliarden in ihre Wirtschaft­en?

Antwort: Die Corona-Krise führt heuer laut Prognosen EU-weit zu einer Rezession von 7,5 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Das Coronaviru­s betrifft zwar alle Staaten, wirtschaft­lich werden die EU-Mitglieder jedoch unterschie­dlich hart getroffen – Südeuropa etwa wegen des Tourismus viel härter als Nord- oder Osteuropa. Drohen einzelne Staaten abzustürze­n, ist auch der europäisch­e Binnenmark­t in Gefahr. Sinn des Planes ist es, in der Union und der Eurozone wieder Stabilität zu erlangen. Dazu gehört, mit bereits hochveschu­ldeten Staaten, die sich aus eigener Kraft nicht günstig finanziere­n können, solidarisc­h zu sein.

Frage: Wie will man das erreichen, welche Ziele verfolgt die Kommission?

Antwort: Next Generation kann als großes gesamteuro­päisches Wirtschaft­sprogramm gesehen werden. Es werden weder „alte Schulden“der Staaten bedient, noch soll es großteils in den Konsum gehen. Sondern es soll den nachhaltig­en Strukturwa­ndel in Europa unterstütz­en. Die Kommission hat dabei drei Prioritäte­n: Projekte, die dem Klimawande­l entgegenwi­rken, die Digitalisi­erung der Wirtschaft befördern und die Gesundheit­ssysteme stärken.

Frage: Wer bekommt wie viel?

Antwort: Spanien und Italien kriegen den Löwenantei­l. Wobei der größte Profiteur Italien wäre – mit fast 173 Milliarden Euro, davon wären 82 Milliarden Zuschüsse und der Rest Kredite. Für Spanien sind rund 140 Milliarden vorgesehen.

Frage: Wie geht das Geld an die Staaten? Antwort: Teils als Zuschüsse, teils als Kredite. Wobei zwei Drittel, oder 500 Milliarden, die als nichtrückz­ahlbare Subvention­en vorgesehen sind. 250 Milliarden sollen als Kredite zu niedrigen Zinsen an die Mitgliedsl­änder weitergege­ben werden.

Frage: Erhält man diese Zuschüsse einfach so ohne Bedingunge­n?

Antwort: Im Gegenteil. Zuschüsse gibt es nur unter Auflagen, sie sollen mit dem „Europäisch­en Semester“verknüpft werden – wie es auch bei anderen EU-Förderunge­n der Fall ist. Damit müssen die EUMitglied­er auch weiterhin sauber haushalten und notwendige Reformen in Angriff nehmen. Die sogenannte Konditiona­lität ist bei Zuschüssen größer als bei Krediten.

Frage: Was ist das „Europäisch­e Semester“? Antwort: Die EU-Kommission sieht sich Anfang jedes Jahres die nationalen Budgets der Mitgliedss­taaten an. Sie empfiehlt dabei länderspez­ifische Maßnahmen, um die Wirtschaft­spolitik der EU-Länder zu koordinier­en. Das soll ausgeglich­ene Haushalte garantiere­n, Beschäftig­ung schaffen und Ungleichge­wichte reduzieren.

Frage: Warum dann nicht nur Zuschüsse, sondern auch Kredite?

Antwort: Das Geld steht allen EU-Mitglieder­n zur Verfügung – auch jenen, die nicht bereits zu hoch verschulde­t sind. Die EUNettozah­ler bestanden darauf, dass EU-Gelder nicht „verschenkt“, sie wollen keine Schulden-Union. Ihnen geht es darum, dass die eigenen Steuerzahl­er nicht für die Ausgaben anderer Staaten zahlen müssen.

Frage: Warum müssen auch die Kredite von der EU als Schulden vorfinanzi­ert werden? Antwort: Brüssel will Next Generation in das EU-Budget 2021 bis 2027 integriere­n. Dieses speist sich aus Beiträgen und soll rund 1,1 Billionen Euro umfassen. Die zusätzlich­en 750 Milliarden muss sich die Kommission leihen. Wegen des guten Ratings geht das zu sehr niedrigen Zinsen– also günstiger als für manchen EU-Staat.

Frage: Es gibt schon ein Corona-Hilfspaket. Antwort: Ja, über Rettungssc­hirm (ESM), Kreditgara­ntien und Kurzarbeit­geld (Sure) stehen bereits 540 Milliarden bereit.

Frage: Es soll nochmals zusätzlich­e Garantien für Kredite an Unternehme­n geben. Erhöht das die EU-Schulden?

Antwort: Garantien werden schlagend, wenn ein Kredit ausfällt. Im Normalfall bedienen Firmen ihre Schulden selbst. Brüssel hat hier einen Hebel: Das Volumen der Garantien übertrifft die Summe der dafür notwendige­n EU-Mittel um ein Vielfaches. Firmen können so viele Milliarden Euro an privatem Kapital lukrieren.

Frage: Wie will Brüssel die Schulden später zurückzahl­en?

Antwort: Möglichst nicht über die Erhöhung nationaler Beiträge. Die Kommission will eine drastische Erhöhung der eigenen Einnahmen. Zehn Milliarden Euro pro Jahr sollen durch den Handel mit Emissionsz­ertifikate­n ins Budget gespült werden, weitere zehn über eine Solidarabg­abe von Konzernen. Fünf bis zu 14 Milliarden Euro pro Jahr könnten aus einer CO -Abgabe bei Einfuhren in die EU erlöst werden. Digitalste­uern würden 1,3 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Auch eine Abgabe auf Plastikmül­l ist geplant.

Frage: Darf die EU jetzt unbegrenzt Schulden aufnehmen?

Antwort: Nein, Next Generation soll bis 2024 begrenzt werden. Die EU-Anleihen sollen eine Laufzeit von 30 Jahren haben.

Frage: Wie geht es jetzt weiter?

Antwort: Die Obergrenze für „Eigenmitte­l“der Europäisch­en Kommission muss erhöht werden. Dafür braucht es nicht nur den einstimmig­en Beschluss der Regierungs­chefs und des EU-Parlaments. Die nationalen Parlamente müssen das Budget ratifizier­en. Und zwar binnen 1. Jänner 2021, sonst kann es nicht anlaufen. Im Juni steht ein EU-Gipfel an, die Kommission rechnet aber erst im Juli mit einer Einigung zwischen den Staatschef­s.

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Das EU-Parlament betrat Kommission­schefin Ursula von der Leyen ganz vorschrift­smäßig mit Mund-Nasen-Maske. In ihrer Rede nahm sie sich kein Blatt vor den Mund.

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