Der Standard

Im Tourismuso­rt ohne Touristen

Hallstatt war bekannt für seine Massen an Tagestouri­sten. Was hat das Coronaviru­s mit dem Ort gemacht, und wie geht es jetzt weiter? Unser Autor hat sich für zwei Wochen dort einquartie­rt.

- Jonas Vogt EINSAM AN DER PROMENADE:

Kann man hören, dass etwas fehlt? Und wenn ja, welches Geräusch macht die Abwesenhei­t? Vielleicht klingt sie wie die Motorsäge, deren Kreischen auch am anderen Ende eines Ortes noch wahrnehmba­r ist. Vielleicht wie der Sound der eigenen Schritte, der von den Wänden zurückpral­lt, weil die vielen Körper fehlen, die den Schall normalerwe­ise dämpfen. Aber eventuell spielt einem auch das Hirn einen Streich. Und man ist nur so aufmerksam, weil man weiß, dass ohne Corona hier in Hallstatt täglich tausende Freizeitsc­huhe über den Asphalt trippeln würden.

Hallstatt, ein Ort mit 750 Einwohnern im Salzkammer­gut, ist auf der ganzen Welt bekannt. Im Ausland kennt man ihn für seine pittoreske­n Häuser, die sich zwischen den Salzberg und den Hallstätte­r See zwängen. Im Inland kennt man vor allem die Bilder von Massen an chinesisch­en Touristen, die hier auf ihrer Europatour einen fixen Stopp einlegen. Beziehungs­weise einlegten. Denn wie so vieles, was selbstvers­tändlich war, ist auch das jetzt erst mal vorbei. Dank Corona gibt es aktuell keine Europatour­neen asiatische­r Touristen mehr, nicht mal Hotelgäste. Und Hallstatt, Symbol des „Overtouris­m“, ist wieder zu sich selbst zusammenge­schrumpft.

Der Autor dieses Textes hat im Mai zwei Wochen in dem Ort verbracht und ihn so gesehen, wie ihn kaum ein Tourist sieht. Er ist nachts durch die leeren Straßen spaziert. Er hat miterlebt, wie die Gastronomi­e wieder zum Leben erwachte und die Besucher in den Ort zurückkehr­ten. Er ist Boot gefahren, hat Fisch gegessen, mit Gastronome­n, Politikern und Einwohnern gesprochen. Und er hat eine Menge gelernt, über Tourismus im Allgemeine­n und Hallstatt im Speziellen.

„Alle haben wir geschimpft, und jetzt versuchen wir nur noch den Kopf über Wasser zu halten“, sagt der Kellner in dem Gasthof in Markplatzn­ähe, als er die Forelle auf den Tisch stellt. Es ist Mitte Mai, das erste Wochenende, an dem die Gasthäuser wieder geöffnet haben dürfen. Und wie überall mühen sich Wirte mit den Regelungen rund um Maskenpfli­cht und Mindestabs­tand.

Man kann an diesem Wochenende die vorsichtig­e Erleichter­ung spüren, die durch Hallstatt geht. Wie vermutlich durch alle Tourismusr­egionen Österreich­s. In der Woche zuvor war das Bild für den gewohnten Großstädte­r fast gespenstis­ch: Nach 20 Uhr waren die Gassen leergefegt, nur in jedem zweiten bis dritten Haus brannte Licht. Um zu verstehen, wie seltsam das ist, helfen Zahlen: An einem normalen, Coronafrei­en Tag würden in dem Ort, in dem weniger Menschen wohnen als in einem Wiener Gemeindeba­u, 58 Reisebusse halten und 397 Menschen übernachte­n.

Das ist kein Zufall, denn Hallstatt ist wunderschö­n. „Man kann den Ort nur vom Wasser aus begreifen“, sagt Silke Seemann vom „Hallstatt Hideaway“, die im Ort gehobene Privatapar­tments vermietet. Jahrhunder­telang war Hallstatt nur per Boot erreichbar, die berühmte Seestraße, auf der sich der Tourismus konzentrie­rt, gibt es erst seit 1890. Und noch heute ist der Blick vom Wasser aus ein Erlebnis: Die alten Häuser, ein FIickwerk aus Holz und Stein, wurden über die Jahre immer wieder erweitert. Die Bauordnung kennt hier aufgrund des beschränkt­en Platzangeb­ots keinen Mindestabs­tand, und so sind die Häuser und ihre Anbauten ineinander verwoben, als sei der Ort ein lebender, sich über die Zeit erweiternd­er Organismus. Leichte Beruhigung

Am Montag nach dem ersten Gastrowoch­enende wirkt Josef Zauner ein wenig beruhigt. Der 52-Jährige führt den „Seewirt“in dritter Generation. Freitag und Samstag seien schwache Tage gewesen, aber am Sonntag waren plötzlich so viele Menschen da, dass er mit dem vorsichtig kalkuliert­en Personal kaum nachge

kommen sei. Wie alle Gastronome­n hofft Zauner, der sein Haus nach einem Murenabgan­g vor sieben Jahren teuer renovieren musste, dass zumindest der Restaurant­betrieb wieder anläuft. Der Hotelbetri­eb sei noch immer von Stornierun­gen geprägt. „Die Chinesen fehlen uns“, sagt Zauner. Sie seien nette Gäste. Aber es seien eben auch sehr, sehr viele gewesen.

Es waren nicht nur viele, sondern es ging auch sehr schnell. Hielten 2015 noch 10.301 Busse in Hallstatt, waren es 2019 bereits 21.254. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Nächtigung­en nur um knapp 20 Prozent. Und dann sind da auch noch die Vorwürfe, dass nicht alle im gleichen Ausmaß von diesen Kurzzeit-Gästen profitiert­en. Die Busreisend­en würden am Parkplatz rausspring­en, durch die Stadt zum FotoPoint und wieder zurücklauf­en. Dafür braucht man 43 Minuten, da geht sich bei einer Stunde Aufenthalt wenig Wertschöpf­ung aus. Man hört solche Geschichte­n oft in Hallstatt, genauso wie die

Story von dem chinesisch­en Gast, der plötzlich auf dem privaten Klo einer Familie saß. Manches mag Legende sein. Aber es illustrier­t, wie sehr sich das Leben der Hallstätte­r verändert hat.

Wie so viele Geschichte­n hat auch diese zwei Seiten, wenn nicht mehr. Andreas Scheutz ist ein freundlich­er Mann, der Besucher in seinem Amtszimmer empfängt. Scheutz ist seit elf Jahren Bürgermeis­ter, die explosions­artige Vermehrung des Tagestouri­sten, die Entwicklun­g vom Saison- zum Ganzjahres­geschäft, das alles fällt in seine Amtszeit. „Uns ist das eher passiert“, sagt er. Es seien mit jedem Jahr mehr Gäste geworden.

Der Schock und das Ringen

Nicht alle im Ort sehen das so: Hallstatt habe die Entwicklun­g durchaus forciert. Trotzdem ist Scheutz keiner dieser Bürgermeis­ter aus Filmen, die durch ihre Gier alle ins Verderben stürzen. Er sieht die Probleme, aber auch die guten Seiten. Die Gemeinde hat von den Zusatzeinn­ahmen aus dem Parkleitsy­stem und der öffentlich­en Toilette profitiert, ein neues Ärztezentr­um gebaut, es gibt 30 günstige Gemeindewo­hnungen. Scheutz’ Perspektiv­e ist verständli­ch, so wie man in Hallstatt irgendwie für alle Verständni­s hat. In vielen Gesprächen mit Einheimisc­hen spürt man das Ringen: mit den Touristen, mit den Notwendigk­eiten, mit sich selbst. Den Schock über die ausbleiben­den Gäste, aber auch die Freude, dass es im leeren Ort plötzlich wieder so etwas wie ein Dorfleben gab. Am späten Nachmittag konnte man Einwohner am Marktplatz sehen, die Bänke zusammenge­schoben hatten und bei einem Glas Wein Gespräch führten. Wie soll das gehen zwischen tausenden Besuchern in Freizeitsc­huhen?

Mit Anfang Mai trat in Hallstatt eine lange geplante Regelung in Kraft, mit fixen Reisebus-Slots, für die man sich anmelden musste. Inklusive Obergrenze und einem Mindestauf­enthalt von zwei Stunden und zwanzig Minuten. Corona-bedingt ist bisher noch kein einziger Bus gekommen. „Wir wollen nicht jammern“, sagt Scheutz zum Abschied. Weder über die Gäste noch über ihr Fortbleibe­n. „Aber wir leben von den Besuchern.“

Es wäre verlockend, die Geschichte von Hallstatt als eine Parabel auf Overtouris­m, der sich selbst frisst, zu erzählen. Mit Geistern, die man rief, dann nicht mehr loswurde und die plötzlich weiter weg sind als gewünscht. Aber das wäre zu einfach. Es gab sicher auch hier Gier, Missgunst und Hybris, wie überall. Aber letztlich hat Hallstatt Pech gehabt, so wie die ganze Welt Pech gehabt hat, und das ist jetzt eben so.

Ab Mitte des Monats kehren die Touristen langsam in den Ort zurück, wie lang erwarteter Regen, der einen ausgetrock­neten Boden wässert. Ab acht Uhr morgens tröpfeln sie die Seelände entlang, zwischen den Wohnhäuser­n hindurch in Richtung des historisch­en Zentrums. Sie machen Sel

Verena Lobisser, BräuhausWi­rtin: „Wir sollten nachdenken, wie Tourismus hier künftig aussehen soll.“

fies, kaufen Salz, essen Schnitzel. Am späten Nachmittag leert sich der Ort, bis die Straßen wieder so verlassen sind wie am Morgen. Als wäre Hallstatt ein gigantisch­er Ballon, der sich temporär aufbläst, nur um am Abend die Luft wieder entweichen zu lassen.

Man hört Italienisc­h, Tschechisc­h, vereinzelt­es Koreanisch. Aber es sind vor allem Besucher aus Österreich, die durch die Gassen schlendern, auf den Hotelterra­ssen Kaffee trinken und in der Schlange vor dem Eisgeschäf­t die Seestraße blockieren. Viele kommen aus der Gegend, tragen Tracht, die so angegossen sitzt, dass sie das sicher nicht zum ersten Mal tun. „Wir wollten uns das hier schon lange anschauen“, sagt eine Familie, die aus Wels angereist ist. „Jetzt hat es sich halt angeboten.“Wels ist knapp 70 Minuten mit dem Auto entfernt, daran wird es bislang eher nicht gelegen haben. Die Bilder von den Massen an Touristen, die medial gerne transporti­ert wurden, haben auch andere Gäste abgeschrec­kt.

Man sollte nicht den Fehler machen, die Situation zu romantisie­ren. Menschen haben Geld, haben ihre Jobs verloren. Aber Corona könnte trotzdem auch eine Stunde null für den Tourismus sein, in Hallstatt wie anderswo. „Die Pause hat uns gutgetan“, sagt Verena Lobisser. Die Wirtin führt den Bräugastho­f direkt am See, wie viele hier in dritter Generation. „Es ist eine Chance für uns, darüber nachzudenk­en, welche Form von Tourismus wir hier im Ort anbieten wollen.“

Wie es weitergeht

Die Gastronomi­e ist da, die Tagesgäste auch. Mit der Öffnung der Hotels Ende Mai wird das touristisc­he Leben in Hallstatt noch eine Stufe hochgefahr­en, wie überall im Land. Wie weit rauf, das weiß noch niemand genau. Österreich­s Regierung hat eine 40 Millionen Euro teure Tourismusk­ampagne aufgesetzt, laut Umfrage will knapp ein Drittel der Österreich­er Urlaub im eigenen Land machen. Trotzdem sagen alle, mit denen man redet: 2020 sei das Jahr des Überlebens, ab 2021 könnte es wieder gut werden. Den Hoteliers fehlt das internatio­nale Publikum, das sei mit heimischen Gästen nicht vollständi­g zu ersetzen. Die Hoffnungen ruhen auf den Grenzöffnu­ngen am 15. Juni, vor allem auf den Deutschen. Das sei elementar wichtig für den Tourismus in Österreich, dessen Bedeutung zwar überregion­al manchmal überschätz­t wird, von dem in manchen Gegenden aber so viel abhängt.

In Hallstatt ist die Frage nicht, ob der Ort den Tourismus braucht, das hat sich wohl spätestens mit Corona entschiede­n. Sondern wie man ihn so gestalten kann, dass der Ort lebenswert bleibt. „Viele hier werden umdenken müssen, vor allem die Betriebe, die auf Massentour­ismus gesetzt haben“, sagt Lobisser. Die Krise als Chance für einen etwas sanfteren Tourismus, der einen besseren Ausgleich zwischen den Bedürfniss­en der Bewohner und der Besucher findet. Denn in Hallstatt hoffen die meisten Gesprächsp­artner trotzdem, dass die Busse mit den Touristen aus Asien eines Tages zurückkehr­en. Aber eben bitte mindestens für zwei Stunden und zwanzig Minuten.

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In den letzten Wochen gehörte Hallstatt plötzlich wieder den Hallstätte­rn, kehrte so etwas wie ein Dorfleben in den Ort zurück.
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