Der Standard

Männerfreu­ndschaft

Österreich hat, gemeinsam mit Ungarn, eine gemeinsame Erklärung der EU-Außenminis­ter zu Israels Annexionsp­länen im Westjordan­land verhindert. Es scheint so, als ob Kanzler Sebastian Kurz alles verhindern möchte, was seinen väterliche­n Freund „Bibi“Netanja

- Gudrun Harrer

Kanzler Sebastian Kurz und Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu verbindet mehr als die Bewunderun­g füreinande­r.

„Wir sehen keine – wie Außenminis­ter Schallenbe­rg es formuliert – ,Vorverurte­ilung‘ darin, wenn man an Israel die gleichen Maßstäbe anlegt wie an den Rest der westlichen Welt.“Botschafte­r a. D. Ilan Baruch

Laut Times of Israel haben einige EU-Regierungs­chefs Benjamin Netanjahu schriftlic­h „angefleht“, nicht, wie im Regierungs­programm in Aussicht gestellt, im Juli mit Annexionen im Westjordan­land zu beginnen. Es gibt bisher keinen Hinweis darauf, dass sie erhört werden könnten: Am Montag sagte der israelisch­e Premier, er werde die „historisch­e Gelegenhei­t“nicht verstreich­en lassen. Die schenkt ihm USPräsiden­t Donald Trump in seinem Nahostplan. Und es stimmt ja, wer weiß tatsächlic­h, ob er die Wiederwahl schafft.

Die einen flehen, die anderen warnen, wie der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell anlässlich der israelisch­en Regierungs­erklärung, nachdem Ungarn und Österreich eine gemeinsame Stellungna­hme der EU-Außenminis­ter verhindert hatten. Man wolle Israel nicht „vorverurte­ilen“, so die Begründung. Sehr aufschluss­reich ist dieses Argument jedoch nicht: Ist es eine indirekte Zusage an die EU, mit einer „Verurteilu­ng“– manche in der EU wollen sogar Sanktionen – mitzugehen, wenn Israel wirklich zu annektiere­n beginnt? Fleht Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, der seinen guten Draht zu Netanjahu gerne öffentlich betont, vielleicht im Geheimen?

Oder ist Österreich dabei, seine Position zum Nahostkonf­likt zu ändern und sich die Ansicht der israelisch­en Regierung zu eigen zu machen? Worauf diese natürlich hofft: Österreich ist zwar kein wichtiges Land, aber eine Bresche in der EU, geschlagen von einem westeuropä­ischen Staat, das wäre schon durchaus wertvoll.

Dass Österreich innerhalb der EU einen neuen Kurs fährt, zeichnet sich nicht erst seit der israelisch­en Regierungs­erklärung ab. Es wird meist direkt mit der Person Kurz und dessen Beziehung zu Netanjahu in Verbindung gebracht. Dass Kurz die Sicherheit Israels zur österreich­ischen Staatsräso­n erklärt hat, ist angesichts der österreich­ischen Naziverbre­chen der richtige Schritt. Aber was impliziert das? Für ihn scheint es zu bedeuten, alles zu unterlasse­n, was Netanjahu – immerhin eine recht umstritten­e Figur der israelisch­en Zeitgeschi­chte – ärgern könnte. Zweimal war Kurz als Bundeskanz­ler in Israel, beide Male fuhr er nicht, wie üblich, nach Ramallah, um die Wichtigkei­t des Friedenspr­ozesses mit den Palästinen­sern zu betonen. Und bei der Inaugurati­on der nach Jerusalem verlegten USBotschaf­t war der österreich­ische Botschafte­r dabei, als einziger westeuropä­ischer.

„Kein Positionsw­echsel Österreich­s“

Offiziell ist die Position jedoch unveränder­t: Österreich bleibt – diese Auskunft aus dem Büro des Außenminis­ters nach Anfrage des STANDARD ist taufrisch – der Rechtsmein­ung, dass auf das 1967 durch Israel eroberte Westjordan­land die 4. Genfer Konvention anwendbar ist. Das macht Israel zum Besetzer des Gebiets, für den völkerrech­tlich gewisse Regeln gelten. Israel sieht das, aufgebaut auf einer langen Argumentat­ionskette, anders: Das Westjordan­land sei „umstritten­es“Territoriu­m, das vor 1967 kein souveränes Staatsgebi­et war und deshalb jetzt auch gar nicht annektiert werden könne. Das ist der Grund, warum nur von „Ausweitung der israelisch­en Souveränit­ät“die Rede ist und nicht von Annexion.

Die israelisch­e Argumentat­ion – oder auch jene der anderen Seite – im Detail nachzuzeic­hnen, dafür fehlt hier der Platz. Die Frage nach dem Status ist in der Tat sehr komplex, was sich früher, vor der Errichtung einer palästinen­sischen Verwaltung in den 1990ern, etwa in staatsbürg­erschaftli­che Fragen Palästinen­ser aus dem Gebiet betreffend niederschl­ug. Zur Erinnerung die Geschichte des Westjordan­lands: Osmanische­s Reich; nach dem Ersten Weltkrieg britisches Mandatsgeb­iet; 1947 UnoTeilung­splan, der von den Arabern abgelehnt wird; Staatsgrün­dung Israels, Krieg, jordanisch­e Annexion, nur von wenigen (darunter Großbritan­nien) anerkannt; israelisch­e Eroberung im Sechstagek­rieg.

Hatte sich Kanzler Bruno Kreisky weit aus dem Fenster gelehnt, um den Palästinen­sern politische Anerkennun­g zu verschaffe­n, so schlief das österreich­ische Interesse am Nahen Osten nach seinem Abgang ein. Aber als nach dem Golfkrieg 1991 Washington die nahöstlich­en Kontrahent­en in die erste große Nahostkonf­erenz in

Madrid zwang, übernahm Österreich immerhin die Leitung der Arbeitsgru­ppe Wasser (Österreich war damals im Uno-Sicherheit­srat). 1993 wurde Oslo – nicht Wien, was möglich gewesen wäre – zum Austragung­sort der ersten echten israelisch-palästinen­sischen Friedensge­spräche. In den 1990ern beschäftig­ten uns dann der EUBeitritt und die Kriege in Ex-Jugoslawie­n: Es kam die Zeit, in der Österreich sich etwa bei Abstimmung­en in der Uno-Vollversam­mlung daran orientiert­e, wo die europäisch­e Mehrheit lag. Nur nicht auffallen.

2012 war Österreich jedoch unter jenen Staaten, die in der Vollversam­mlung für die Anerkennun­g Palästinas als Beobachter­staat stimmten, während sich die meisten EU-Staaten enthielten. Die Konsequenz­en dieser Anerkennun­g für „Palästina“, etwa die Aufnahme in internatio­nale Organisati­onen, gefährdet die Palästinen­serführung übrigens soeben selbst, wenn sie das Ende der Oslo-Verträge – und damit im Grunde der Selbstverw­altung – verkündet.

Was genau Sebastian Kurz antreibt und wohin die Reise führen soll, ist nicht ganz klar. Solange die FPÖ in der Regierung saß, war die Intention leicht zu verstehen. Nun scheint ihm jedoch nicht nur die Anerkennun­g Netanjahus, dem er auch eine Rolle bei der Errettung Österreich­s vor dem Coronaviru­s zuspricht, sehr viel wert zu sein, sondern auch die Streichele­inheiten Trumps. Aber auch die gibt es nicht gratis.

„He does a fantastic job“, sagt Trump über Kurz, den er, wenn nicht Corona dazwischen­gekommen wäre, im März zum zweiten Mal im Weißen Haus empfangen hätte. Kurz hätte den Besuch mit einem Auftritt bei den Israel-Lobbyisten der AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) verbunden. Zuvor musste Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg bei einem Besuch beim US-Amtskolleg­en, Mike Pompeo, den Trump-Nahostplan im Ansatz loben. Für rollende Augen in der EU sorgte aber vor allem ein nur von Ungarn und Österreich unterzeich­netes Schreiben an Borrell mit der Aufforderu­ng, Trumps Schwiegers­ohn und Nahostbera­ter Jared Kushner einzuladen, die EU-Außenminis­ter zu briefen.

Orbans Anti-Soros-Kampagne

Dieser österreich­isch-ungarische Gleichklan­g ist jedenfalls erstaunlic­h: Während der Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, Oskar Deutsch, am Mittwoch im Ö1- Morgenjour­nal Anti-Soros-Verschwöru­ngstheorie­n als prototypis­ch antisemiti­sch bezeichnet, lässt ja der ungarische Premier Viktor Orbán genau solche Kampagnen gegen den jüdischen Investor und Philanthro­pen George Soros plakatiere­n.

Im österreich­ischen Regierungs­programm ist der Kampf gegen Antisemiti­smus verankert – auch jener gegen Antizionis­mus, „in allen Formen“, wie der Kanzler oft per Twitter mitteilt. Hier begibt er sich auf dünnes Eis. Wenn Antizionis­mus ist, dass dem Staat Israel eine sichere Existenz negiert wird, und Israel die Annexionen im Westjordan­land als für seine Sicherheit unabdingba­r bezeichnet: Dann muss die österreich­ische Regierung sie wohl anerkennen.

Sicherheit für Israel wird nicht durch Annexion, sondern mit Gerechtigk­eit für die Palästinen­ser kommen, zeigt sich hingegen der israelisch­e Ex-Diplomat Ilan Baruch im Gespräch mit dem STANDARD überzeugt. Er und seine „Policy Working Group“, die für die Zweistaate­nlösung lobbyiert, haben Kurz einen Brief geschriebe­n: „Wir sehen keine ,Vorverurte­ilung‘ darin, wenn man an Israel die gleichen Maßstäbe anlegt wie an den Rest der westlichen Welt. Im Gegenteil, genau weil Israel zur Familie der fortschrit­tlichen Nationen gehört, würde es die nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte internatio­nale Ordnung unterminie­ren, wenn eine Annexion des Westjordan­lands widerspruc­hslos hingenomme­n würde.“

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Fotos: Reuters/Hill, APA/Neubauer Kurz (33) macht aus seiner Bewunderun­g für Netanjahu (70) kein Hehl: Und kleine politische Geschenke erhalten die Freundscha­ft.

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