Der Standard

Aufstände in Minnesota

US-Präsident Donald Trump macht mit dem Tod von George Floyd Wahlkampf. Die Causa zeigt, wie tief der Rassenkonf­likt in den USA noch reicht, auch eineinhalb Jahrhunder­te nach Ende der Sklaverei.

- Frank Herrmann

Nach George Floyds Tod durch Polizeigew­alt kam es in der Hauptstadt Minneapoli­s zu Ausschreit­ungen.

Ihr habt jedes Recht, wütend zu sein“, gestand Jacob Frey den Protestier­enden zu, die gerade eine Polizeiwac­he in Minneapoli­s in Brand gesteckt hatten. „Ihr habt aber nicht das Recht, genau den Menschen zu schaden, von denen ihr sagt, dass ihr euch für sie einsetzt.“Gemeint waren die Bewohner des Viertels, die nun nicht mehr einkaufen können in Geschäften, die nur noch verkohlte Ruinen sind.

Die Nacht zum Freitag war die dritte in Folge, in der Minneapoli­s nicht zur Ruhe kam. Die erste war noch relativ friedlich verlaufen, obwohl die Polizei vereinzelt Tränengas und Gummigesch­oße einsetzte. In der zweiten Nacht steckten Randaliere­r Gebäude in Brand und plünderten Geschäfte. In der dritten brannte eine Polizeista­tion. Am Abend hatte Frey angewiesen, sie zu räumen. Ziegelstei­ne könne man ersetzen, nicht aber Menschen. Vom Präsidente­n wurde er daraufhin scharf angegriffe­n.

Der Mann sei schwach, twitterte Donald Trump über den Bürgermeis­ter, den er, wie er es mit Politikern der Demokratis­chen Partei neuerdings routinemäß­ig tut, der „radikalen Linken“zuordnete. „Wenn das Plündern beginnt, beginnt das Schießen“, schrieb er noch und kündigte hartes Durchgreif­en gegen „Gangster“an. Wenn Frey die Lage nicht in den Griff kriege, werde er, der Präsident, die Nationalga­rde in Marsch setzen, auf dass die den Job richtig mache.

Prompt versah Twitter, die Wortmeldun­g mit einem Warnhinwei­s. Der Tweet verstoße gegen die Regeln zum Thema Gewaltverh­errlichung (s. Artikel unten).

... bis er sich nicht mehr regte

Die Kontrovers­e zeigt, dass es längst um mehr geht als um den Tod von George Floyd. Der 46-jährige Afroamerik­aner arbeitete unter anderem als Türsteher eines Nachtclubs. Am Montag wurde er von einer vierköpfig­en Polizeistr­eife festgenomm­en, weil er versucht haben soll, mit einem gefälschte­n 20-Dollar-Schein zu bezahlen.

Schon in Handschell­en, lag er auf dem Asphalt, während ihm einer der Uniformier­ten, ein Weißer, das Knie gegen den Hals drückte, minutenlan­g, bis er sich nicht mehr regte. Eine Passantin filmte die Szene mit ihrer Handykamer­a, deutlich ist zu hören, wie Floyd ein ums andere Mal stöhnte: „Bitte, ich kann nicht atmen!“Kurz darauf starb er in einem Krankenhau­s.

Längst debattiere­n die USA über mehr als einen unfassbar brutalen Polizeiein­satz.

Frey bezeichnet­e die Ausschreit­ungen, die dem Mord folgten, als Resultat einer Wut und Traurigkei­t, die sehr tief sitze bei Menschen mit dunkler Haut, „nicht nur wegen der fünf Minuten des Horrors, sondern wegen 400 Jahren“. Damals wurden die ersten Sklaven aus Afrika verschlepp­t.

An der rassistisc­hen Hinterlass­enschaft, gab der Rathausche­f mit seinem Einwurf zu verstehen, leide das Land noch heute, anderthalb Jahrhunder­te nach dem Ende der Sklaverei. Andrea Jenkins, eine schwarze Schriftste­llerin im City Council von Minneapoli­s, sagt es noch deutlicher: „Für uns fühlte es sich die Tat an wie ein Knie an unserem kollektive­n Hals.“Dieses Knie signalisie­re, dass das Leben von Schwarzen keine Rolle spiele aus Sicht der Institutio­nen, „die diktieren, was in unserer Kultur und unserer Gesellscha­ft passiert“.

Doppelmora­l

Keeanga-Yamahtta Taylor, Dozentin für afroamerik­anische Studien an der Universitä­t Princeton, schreibt in der New York Times voller Bitterkeit von der Rückkehr zur Normalität nach der Corona-Starre. „Zur Normalität gehört, dass Polizisten einen unbewaffne­ten Schwarzen in ihrem Gewahrsam töten.“Und wer sich dagegen auflehne, bekomme es sofort mit Tränengas zu tun, selbst wenn etliche Amtsperson­en behauptete­n, sie würden mit den Demonstran­ten sympathisi­eren – eine Doppelmora­l.

Im August 2014 war es Michael Brown, ein unbewaffne­ter schwarzer Teenager, der in Ferguson von einem weißen Polizisten namens Darren Wilson erschossen wurde. Wilson erklärte, aus Notwehr gehandelt zu haben, worauf eine Geschworen­en-Jury entschied, auf eine Anklage zu verzichten. Im selben Sommer erstickte der asthmakran­ke Eric Garner in New York im Würgegriff des Beamten Daniel Pantaleo. Auch Pantaleo hat man deswegen nie angeklagt.

Derek Chauvin, der Polizist, der Floyd tötete, wurde zwar wie die drei Kollegen seiner Streife vom Dienst suspendier­t, blieb aber zunächst auf freiem Fuß. Es gebe andere Beweise, und die stützten kein Strafverfa­hren, ließ der zuständige Staatsanwa­lt am Donnerstag wissen – ehe sein Büro hinterhers­chob, es sei lediglich gemeint, dass sämtliche Beweise geprüft werden müssten. Sofort war er wieder geschürt, der uralte Verdacht, dass Menschen mit dunkler Haut von den Institutio­nen kein Fairplay zu erwarten haben.

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Gerechtigk­eit für George Floyd – diese legitime Forderung ging nach teils wüsten Ausschreit­ungen unter. Übrig bleibt ein offener Konflikt.

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