Der Standard

Auf Dauer allein geht gar nicht

Endlich Ruhe! Das empfinden nur wenige Arbeitnehm­er im Homeoffice. Die überwiegen­de Mehrheit wünscht sich künftig eine Mischung aus Arbeitszei­t im Büro und zu Hause. Warum Distanz zu anderen auf Dauer unmenschli­ch ist und warum Beziehungs­fähigkeit der Sch

- Karin Bauer

Jetzt merken wir, wie sehr wir echte Beziehunge­n brauchen“, fasst Arbeitspsy­chologe Johann Beran das Stimmungsb­ild zusammen – nach neun Wochen erzwungene­m Homeoffice, erzwungene­r Distanz zu lieben oder weniger lieben Kollegen. So wie viele andere seiner Zunft ist er aktuell damit beschäftig­t, das Stimmungsb­ild in Unternehme­n zu erheben und auf Basis von Evaluation die Zukunft der Arbeitsord­nung zu planen. Was wünschen sich die Leute jetzt?

Überwiegen­d, das bestätigen auch viele Personalex­perten, eine frei gewählte Mischung aus Homeoffice- und Bürotagen. Es gebe keine oder kaum Belegschaf­ten, die alle für immer weiter zu Hause arbeiten wollen.

Warum ist das so, da Homeoffice doch auch Freiheiten gewährt? Kein Chef schaut über die Schulter, kein Dresscode zwickt und zwackt, die Pausen wähle ich selbst, und beim Videomeeti­ng baue ich eine Fassade auf. Aber das Wichtigste fehlt: die menschlich­e Beziehung. Und das tut uns Menschen nicht gut.

Psychologe Beran greift zwecks Erklärung auf die Anthropolo­gie zurück: „Nähe und gute Beziehunge­n waren in der Gruppe immer Garant für das Überleben. Bei Primaten, beim Menschen besonders, ist der Frontallap­pen als Sitz der Kontrolle, aber auch der Freude und Verbundenh­eit, stark ausgeprägt.“Wir sind nun einmal soziale Wesen. Dafür sorge unser Gehirnstof­fwechsel. Dagegen ist nicht anzukommen. Wenn wir in Resonanz und Beziehung zu anderen Menschen sind, schütten wir das Hormon Oxytocin aus, ein zentraler Gegenpol zu Stresshorm­onen, etwa dem Adrenalin.

Aus der Balance geworfen

Fehlt das Oxytocin, sind wir schneller, länger, tiefer im negativen Stress. Auch der Dopamin- und Serotonins­piegel (beide sorgen für Wohlgefühl und Entspannth­eit) werden negativ beeinfluss­t. Aggression nimmt zu, Depression­en schleichen sich ein.

Was solcherart in Gang gekommen ist, belegt aktuell eine repräsenta­tive Umfrage der Donau-Uni Krems, wonach depressive Symptome, Angstsympt­ome und Schlafstör­ungen in den vergangene­n Wochen massiv zugenommen haben. Depression­en haben sich etwa auf 20 Prozent Betroffene in der Bevölkerun­g verfünffac­ht.

Wir merken es ja auch irgendwie. Wir sind nach den Isolations­wochen im Homeoffice müde, angespannt, leicht genervt und schnell gereizt. Eine Abwärtsspi­rale wegen der so dringend ersehnten Beziehung zu anderen Menschen. Eigentlich ist es, den Erkenntnis­sen der Hirnforsch­ung folgend, noch schlimmer: Wir werden andere. Wie? „Ein unausgegli­chener Hormon- und Neurotrans­mitterhaus­halt im Gehirn ändert alle laufenden Prozesse und Wahrnehmun­gen, alle Verrechnun­gen und Reaktionen. Nur merken wir das so nicht, wir haben immer ein Gehirn im Jetzt“, so Beran.

„Wir kennen uns mit den anderen aber auch nicht mehr aus“, fasst Psychologi­n und Beraterin Elisabeth Pechmann zusammen. Wenn alles virtuell passiert im Miteinande­r, dann fehlen „unserem Sensorik-Hirn die meisten Hinweise, die wir sonst automatisc­h in Millisekun­den verarbeite­n, um situative Einschätzu­ngen treffen zu können und unser Verhalten anzupassen“. Flache Pixelgesic­hter, Gesicht und Schulterpa­rtie im Virtual Office, das reiche Menschen nicht für ein Miteinande­r. „Da ruckelt unsere Verhaltens­programmie­rung sehr heftig“, so Pechmann. Also wieder: Stress! Ein Psychophys­iologische­r Dauernotbe­trieb, den niemand langfristi­g gut aushalten könne. Ein Daumen-hoch-Emoji, neben dem Screen reingechat­tet, reiche nicht.

Obwohl, wirft Monika Spiegel, Psychother­apeutin und Institutsl­eiterin an der Sigmund-Freud-Privatuniv­ersität ein, spiele da auch die Persönlich­keitstypol­ogie eine große Rolle. „Dem Extroverti­erten fiel es sehr schwer, im Homeoffice zu sitzen. Die tägliche Präsentati­onsbühne ist abhandenge­kommen. Diese Menschen empfinden es wie eine Strafe, von zu Hause aus zu arbeiten, keine realen Kontakte in der Firma zu haben. Sie fühlen sich gefangen und leiden ungemein mehr als Introverti­erte, für die soziale Kontakte nicht so wichtig sind.“Spiegel attestiert aktuell eine „weltweit hohe einmalige Psychodyna­mik“, auch in den Privathaus­halten, wo plötzlich neurotisch­e, zwanghafte, narzisstis­che, histrionis­che Persönlich­keitsaspek­te aus dem Berufslebe­n im Wohnzimmer kollidiere­n. Beispielsw­eise ein neurotisch­er Typ, der sich verausgabt, Vollgas gibt, und ein Zwanghafte­r, der sich überall zurückhält und für den es nur ein einziges Richtig und Falsch gibt, der Disziplin und Ordnung benötigt. Spiegel: „Da fliegen die Fetzen.“

Einsame Gefangene

Das durch isoliertes Arbeiten aufgetane Feld der neuen Einsamkeit hat Spiegel noch nicht bearbeitet – aber auch diese ist eine Folge der vergangene­n Wochen. Berater arbeiten sich allerdings seit Wochen in ihren Newsletter­n zum Thema der nötigen Empathie und des Beziehungs­management­s für Führungskr­äfte ab. Tatsächlic­h gebe es aber mehr „Menschenve­rwaltungsk­räfte als Führungskr­äfte“, notiert Psychologe Beran. Selbst unter Druck könne sich die Fähigkeit, Beziehung zum Team aufzubauen, kaum entwickeln. Klick, klick, und weiter.

Dazu wird sich jetzt, wo separierte Teams in Etappen zeitversch­oben in Büros zurückkehr­en und andere Kolleginne­n und Kollegen im Homeoffice bleiben, erfahrungs­gemäß ein neuer Machtkampf entwickeln: Wer ist wichtig? Wer wird übersehen? Wie soll Karriere von zu Hause aus, abgeschnit­ten von allen informelle­n Machtdynam­iken, gehen? Übersehen werden wohl eher die, die nicht sichtbar sind.

Zurück zum Wunsch nach dem Hybrid zwischen Büro und Homeoffice. Auch da steht zähes Ringen bevor. Offiziell sagt es niemand, aber aus Gesprächen wird deutlich: Unternehme­n werden kaum Bürofläche­n zahlen und freihalten, damit ihre Mitarbeite­r nach Gusto wählen können zwischen Office und Homeoffice.

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