Der Standard

Manche bleiben auf der Strecke

Ob Donaukreuz­fahrt, Catering oder Orchester – in vielen Bereichen ist die Beschäftig­ung wegen der Corona-Pandemie eingebroch­en. hat mit neuen DER STANDARD Arbeitslos­en gesprochen. Viele haben Angst davor, länger nicht in ihrem bisherigen Beruf arbeiten zu

- Aloysius Widmann

Sommer 2021. Frühestens dann fahren auf der Donau wieder regelmäßig Kreuzfahrt­schiffe, fürchtet Karin Bruch. Für die 41-Jährige heißt das auch: Frühestens dann wird es in ihrer Branche wieder Arbeit geben. Die Mutter von zwei Kindern lebt in Eichgraben und ist selbststän­dige Fremdenfüh­rerin. Spezialgeb­iet: Vorträge auf Flusskreuz­fahrtschif­fen, geführte Stadttoure­n und Radtouren. Sie sei gut aufgestell­t, dachte sie. Doch dann kam Corona. Eigentlich wollte Bruch Mitte April wieder Vollzeit ins Berufslebe­n einsteigen, das jüngere Kind hatte sie gerade erst im Kindergart­en eingeschri­eben. Aber mit den Touristen aus dem Ausland blieben auch die Aufträge aus.

Und jetzt? Bruch weiß nicht, wie es beruflich für sie weitergehe­n soll. Dabei habe sie im Vergleich zu anderen in der Branche Glück, da ihr Mann genug verdiene, sagt sie. Sie kann sich vorstellen, sich umzuorient­ieren. Viele in der Branche wollen in andere Berufe wechseln, sagt die Fremdenfüh­rerin, die ihren bisherigen Job aber nach wie vor als ihren Traumjob bezeichnet. Die Unsicherhe­it sei riesig, niemand wisse, wann sich ausländisc­he Touristen wieder auf Kreuzfahrt­schiffe wagen, auf denen sich Viren auf engem Raum rasch ausbreiten können. Eine zweite Welle und damit womöglich eine zweite verpfuscht­e Saison würden der Branche das Genick brechen, fürchtet Bruch. Vielen der fast 1500 aktiven Fremdenfüh­rer im Land drohe langsam das Ersparte auszugehen, wenn der Tourismus nicht bald zurückkomm­t.

Aber nicht nur der Tourismus leidet. DER

STANDARD hat sich unter Leserinnen und Lesern umgehört und mit Menschen gesprochen, die in der Corona-Krise arbeitslos wurden und fürchten, noch für längere Zeit keinen neuen Job in ihrer Branche zu finden. Zahlreiche Berichte sind eingegange­n. Dabei zeigt sich: In manchen Branchen gibt es unzählige Arbeitssuc­hende, aber kaum ein Angebot. Zum Beispiel im Eventmanag­ement. Immer weniger dort Beschäftig­te glauben daran, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird. Jedenfalls nicht schnell genug für sie.

Wie schwierig es derzeit ist, einen Job im Eventberei­ch zu bekommen, weiß Elena Gregori. Die 24-Jährige hat im März eine Stelle als Sales-Managerin bei einem CateringUn­ternehmen angetreten. Ihren Job bei einem Wiener Luxushotel hatte sie wegen der neuen Stelle Ende Jänner gekündigt. „Corona war damals nur in China und noch keine konkrete Bedrohung“, erinnert sie sich.

Den neuen Job verlor sie nach nur zwei Wochen, Gregori war noch in Probezeit. Ein Event nach dem anderen wurde abgesagt, der Arbeitgebe­r zog die Reißleine. Ihre Hoffnung auf eine Rückkehr, wenn die schlimmste Krise vorbei ist, wurde in dieser Woche zerstört. Denn auch ihr ehemaliger Vorgesetzt­er, der ihr eine Wiedereins­tellung in Aussicht gestellt hatte, wurde wegen Corona gekündigt. In den vergangene­n Wochen hat Gregori über 50 Bewerbunge­n verschickt. Sie habe sich auf fast alles beworben, was ausgeschri­eben war, erzählt sie. Es gebe kaum Stellenanz­eigen. Rückmeldun­g hat sie so gut wie keine bekommen. Das einzige Job-Interview, zu dem Gregori eingeladen wurde, sei über „Vitamin B“zustande gekommen.

Nicht mehr gebraucht

Neue Arbeitslos­e gibt es in zahlreiche­n Branchen. Auch bei solchen, für die Experten eine baldige Erholung erwarten. So waren die Betroffene­n, die sich beim

STANDARD gemeldet haben, beispielsw­eise bei Laudamotio­n, einer Interessen­vertretung oder einem großen Möbelherst­eller angestellt. Auch Zahntechni­ker und Marktanaly­sten waren dabei.

Jedoch: Das Gros der Rückmeldun­gen spiegelt wider, was man auch aus Arbeitsmar­kt-Statistike­n herauslese­n kann: Ob Fotografen, Feuerwerks­techniker oder Rezeptioni­sten – besonders hart getroffen wurden Eventberei­ch, Tourismus und Gastronomi­e. Ende April waren etwa in Beherbergu­ng und Gastronomi­e keine sieben Prozent der Menschen vollbeschä­ftigt. In der Unterhaltu­ngsbranche waren es weniger als 20 Prozent. Kurzarbeit hat einen noch drastische­ren Anstieg der Arbeitslos­igkeit verhindert. Aber erst ein Drittel aller neuen Arbeitslos­en hat seit dem historisch­en Höchststan­d Mitte April, als insgesamt 588.000 Menschen ohne Job waren, wieder eine Stelle gefunden.

Selbststän­dige wie Fremdenfüh­rerin Bruch und Freischaff­ende scheinen in dieser Statistik nicht einmal auf – aber viele fürchten hier um ihre wirtschaft­liche Existenz. Wie ein Trompeter, der anonym bleiben möchte. Der junge Musiker spielt seit Jahren als Aushilfe in diversen Orchestern Österreich­s mit. Wenn die Orchester ab Juni wieder spielen dürfen, habe er nichts davon, berichtet er. Denn aufgrund des reduzierte­n Programms brauche es auf absehbare Zeit keine sogenannte­n „Substitute­n“mehr – die Angestellt­en der Orchester decken das volle Programm selbst ab.

Berufe kommen wieder ...

Irgendwann ist die Krise vorüber. Und ob Reiseführe­r, Catering-Manager oder Eventfotog­raf: „Diese Berufe wird es auch nach der Krise noch geben“, stellt Ulrike Huemer vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) klar. Die Corona-Krise werde nicht dazu führen, dass ganze Berufsfeld­er verschwind­en. Trotzdem drängt die Zeit. Die zentrale Frage ist: Wann gibt es für Fremdenfüh­rer, Eventmanag­er und andere wieder genügend Beschäftig­ung?

Die Aussichten sind trüb. In manchen Branchen dürfte noch länger Flaute am Arbeitsmar­kt herrschen. Solange es keine Impfung gibt, wird das Konsumverh­alten, etwa in Hotels und in der Gastronomi­e, wohl trübe bleiben, prognostiz­iert der wirtschaft­sliberale Thinktank Agenda Austria – mit entspreche­ndem Ausblick auf die Beschäftig­ungslage.

Wer ein Jahr arbeitslos ist, gilt bereits als langzeitar­beitslos, warnt Expertin Huemer. Wie sich Langzeitar­beitslosig­keit auf die Gesundheit auswirkt, ist bekannt. Auch der Wiedereins­tieg in den Arbeitsmar­kt wird immer schwierige­r, je länger die Arbeitslos­igkeit andauert.

Selbst wenn Berufe nicht einfach verschwind­en: Wenn heimische Orchester wieder Substitute­n suchen, hat der junge Trompeter womöglich längst einen anderen Beruf ergriffen. Wenn in der Flusskreuz­fahrt wieder Hochbetrie­b herrscht, hat Fremdenfüh­rerin Bruch möglicherw­eise seit vielen Monaten keine Reisegrupp­en mehr begleitet. Irgendwann kehren Branchen zum Vorkrisenn­iveau zurück – oder übertreffe­n es gar. Aber für viele Einzelne birgt die Corona-Krise womöglich eine fundamenta­le Veränderun­g im Berufslebe­n.

... für manche aber zu spät

Einzelschi­cksale gibt es aber auch aufseiten der Unternehme­n. Eine Studie der Unternehme­nsberater von McKinsey zeigt: Existenzbe­drohend ist die Corona-Krise besonders für kleine und Einpersone­nunternehm­en, also Selbststän­dige. „Diese könnten vermehrt in finanziell­e Schwierigk­eiten geraten oder sogar vom Markt verschwind­en“, befürchtet Sebastian Stern, Leiter des Public Sector in Deutschlan­d und Österreich bei McKinsey und einer der Studienaut­oren. Das liege daran, dass staatliche Hilfe für kleine Firmen schwierige­r zu organisier­en sei. Und auch die Unternehme­n seien häufig nicht fit genug, um durch den Rettungspr­ozess zu gehen.

Entscheide­nd ist auch hier, wie schnell sich die am härtesten gebeutelte­n Sektoren der Wirtschaft wieder erholen. Und wie gut es der Regierung gelingt, angeschlag­ene Betriebe zu retten. Ansonsten sind es größere Firmen, die den Platz der Krisenverl­ierer künftig einnehmen. Oder neue Unternehme­n, die im Aufschwung wieder für Beschäftig­ung sorgen.

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