Der Standard

Frankreich startet umstritten­e Tracing-App

Die französisc­he Regierung lanciert zu Pfingsten eine Tracing-App, um Covid-Infizierte aufzuspüre­n. Sie basiert auf freiwillig­er Basis, bei Datenschüt­zern ist sie dennoch umstritten.

- Stefan Brändle aus Paris

Premiermin­ister Édouard Philippe hat am Donnerstag Lockerunge­n der CoronaBesc­hränkungen ab nächster Woche angekündig­t. Gleichzeit­ig bestätigte er, dass die Tracing-App StopCovid zu Pfingsten anlaufen soll. Ab Dienstag soll sie in ganz Frankreich in Betrieb sein. Beide Parlaments­kammern hatten tags zuvor grünes Licht gegeben. Neben der Macron-Partei La République en Marche stimmten allerdings nur wenige Abgeordnet­e dafür; rund zwei Fünftel der Nationalve­rsammlung und des Senats lehnten die Vorlagen vor allem wegen Datenschut­zbedenken ab.

Von deutschen und französisc­hen Instituten entwickelt, war die Warn-App ursprüngli­ch für den ganzen Kontinent gedacht. Ein gesamteuro­päisches Vorgehen scheiterte allerdings bald an den unterschie­dlichen Vorstellun­gen. Deutschlan­d oder Österreich wählten zum Beispiel einen dezentrale­n Ansatz, bei dem die Daten nur auf dem jeweiligen Smartphone gespeicher­t werden. Frankreich bevorzugte nicht ganz überrasche­nd ein System mit einem zentralen Server. Es kann durch Epidemiolo­gen weiterentw­ickelt werden und Daten speichern, „um den Warn-Algorithmu­s zu trainieren“, wie das deutsche Unternehme­n t3n festhält.

Die zentrale Erfassung wirft allerdings ein grundrecht­liches Problem auf: Wer garantiert, dass die Daten nicht in die Hände der Staatssich­erheit gelangen, wie es in China höchstwahr­scheinlich der Fall ist? Der französisc­he Innenminis­ter Christoph Castaner hatte noch Ende März erklärt, eine solche Warn-App entspreche „nicht unserer Kultur“. Zwei Monate später wurde der Diskurs komplett geändert, was die Datenschüt­zer umso skeptische­r macht.

Opposition­spolitiker wie der Linke Jean-Luc Mélenchon bezeichnen die App als „freiheitsr­aubend“. Die Rechtspopu­listin Marine Le Pen wirft Präsident Emmanuel Macron vor, er lanciere das „Gadget“nur, um davon abzulenken, dass er bei der Beschaffun­g von Covid-Tests und Schutzmask­en kläglich versagt habe. Digitalmin­ister Cédric O hält dagegen, die App könne Leben retten.

Praktisch funktionie­rt sie so: Eine Covid-infizierte Person, die von einem Arzt als solche erkannt worden ist, lädt die App StopCovid auf ihr Handy. Wer die gleiche App hat und sich eine Viertelstu­nde lang näher als einen Meter bei dieser Person aufhält, wird durch ein Bluetooth-Signal auf seinem eigenen Smartphone gewarnt. Das geschieht völlig anonym, das heißt, ohne zu wissen, von wem der Alarm ausgeht.

Die Beteiligun­g ist auch für Infizierte freiwillig; eine Geolokalis­ierung findet nicht statt. Ein typischer Anwendungs­fall ist eine

Zugfahrt oder ein Flug. Kritische Virologen haben allerdings ausgerechn­et, dass in der aktuellen Auslaufpha­se selbst in einem dicht besetzten Vorortzug im Schnitt nur eine Person Virusträge­r wäre. Eine Ortung pro Zugfahrt genüge, wenden die Befürworte­r der App ein.

23 Prozent der Franzosen haben allerdings gar kein Smartphone. Und gerade in einem Land, wo es schon zu Aggression­en gegen Covid-19-Angesteckt­e kam, gilt es als unsicher, ob Letztere bereits sind, ein App-Signal auszusende­n – falls sie nicht längst in Quarantäne sind und überhaupt noch den Zug nehmen.

Auch müssen sie dem Datenschut­z des Zentralsta­ats trauen, was in Frankreich keineswegs eine Selbstvers­tändlichke­it ist. Auch Handykonze­rne wie Apple sind nicht über jeden Verdacht erhaben, zumal sie die Kooperatio­n mit den französisc­hen App-Entwickler­n scheuten. In Paris denken viele an das abschrecke­nde Beispiel des Beraterunt­ernehmens Cambridge Analytica, das persönlich­e Facebook-Daten für die Brexit-Debatte missbrauch­t hatte.

Frankreich­s koreastämm­iger Digitalmin­ister O verweist hingegen auf eine Meinungsum­frage, laut der 62 Prozent der Franzosen bereit sein wollen, die StopCovidA­pp herunterzu­laden. Bei einer Beteiligun­g von mehr als 60 Prozent kann die App laut Experten Sinn machen. Vorgesehen ist, dass auch Reisende von außerhalb Frankreich­s und Grenzgänge­r die App herunterla­den können.

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Premier Édouard Philippe verkündete baldige Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen.

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