Frankreich startet umstrittene Tracing-App
Die französische Regierung lanciert zu Pfingsten eine Tracing-App, um Covid-Infizierte aufzuspüren. Sie basiert auf freiwilliger Basis, bei Datenschützern ist sie dennoch umstritten.
Premierminister Édouard Philippe hat am Donnerstag Lockerungen der CoronaBeschränkungen ab nächster Woche angekündigt. Gleichzeitig bestätigte er, dass die Tracing-App StopCovid zu Pfingsten anlaufen soll. Ab Dienstag soll sie in ganz Frankreich in Betrieb sein. Beide Parlamentskammern hatten tags zuvor grünes Licht gegeben. Neben der Macron-Partei La République en Marche stimmten allerdings nur wenige Abgeordnete dafür; rund zwei Fünftel der Nationalversammlung und des Senats lehnten die Vorlagen vor allem wegen Datenschutzbedenken ab.
Von deutschen und französischen Instituten entwickelt, war die Warn-App ursprünglich für den ganzen Kontinent gedacht. Ein gesamteuropäisches Vorgehen scheiterte allerdings bald an den unterschiedlichen Vorstellungen. Deutschland oder Österreich wählten zum Beispiel einen dezentralen Ansatz, bei dem die Daten nur auf dem jeweiligen Smartphone gespeichert werden. Frankreich bevorzugte nicht ganz überraschend ein System mit einem zentralen Server. Es kann durch Epidemiologen weiterentwickelt werden und Daten speichern, „um den Warn-Algorithmus zu trainieren“, wie das deutsche Unternehmen t3n festhält.
Die zentrale Erfassung wirft allerdings ein grundrechtliches Problem auf: Wer garantiert, dass die Daten nicht in die Hände der Staatssicherheit gelangen, wie es in China höchstwahrscheinlich der Fall ist? Der französische Innenminister Christoph Castaner hatte noch Ende März erklärt, eine solche Warn-App entspreche „nicht unserer Kultur“. Zwei Monate später wurde der Diskurs komplett geändert, was die Datenschützer umso skeptischer macht.
Oppositionspolitiker wie der Linke Jean-Luc Mélenchon bezeichnen die App als „freiheitsraubend“. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen wirft Präsident Emmanuel Macron vor, er lanciere das „Gadget“nur, um davon abzulenken, dass er bei der Beschaffung von Covid-Tests und Schutzmasken kläglich versagt habe. Digitalminister Cédric O hält dagegen, die App könne Leben retten.
Praktisch funktioniert sie so: Eine Covid-infizierte Person, die von einem Arzt als solche erkannt worden ist, lädt die App StopCovid auf ihr Handy. Wer die gleiche App hat und sich eine Viertelstunde lang näher als einen Meter bei dieser Person aufhält, wird durch ein Bluetooth-Signal auf seinem eigenen Smartphone gewarnt. Das geschieht völlig anonym, das heißt, ohne zu wissen, von wem der Alarm ausgeht.
Die Beteiligung ist auch für Infizierte freiwillig; eine Geolokalisierung findet nicht statt. Ein typischer Anwendungsfall ist eine
Zugfahrt oder ein Flug. Kritische Virologen haben allerdings ausgerechnet, dass in der aktuellen Auslaufphase selbst in einem dicht besetzten Vorortzug im Schnitt nur eine Person Virusträger wäre. Eine Ortung pro Zugfahrt genüge, wenden die Befürworter der App ein.
23 Prozent der Franzosen haben allerdings gar kein Smartphone. Und gerade in einem Land, wo es schon zu Aggressionen gegen Covid-19-Angesteckte kam, gilt es als unsicher, ob Letztere bereits sind, ein App-Signal auszusenden – falls sie nicht längst in Quarantäne sind und überhaupt noch den Zug nehmen.
Auch müssen sie dem Datenschutz des Zentralstaats trauen, was in Frankreich keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Auch Handykonzerne wie Apple sind nicht über jeden Verdacht erhaben, zumal sie die Kooperation mit den französischen App-Entwicklern scheuten. In Paris denken viele an das abschreckende Beispiel des Beraterunternehmens Cambridge Analytica, das persönliche Facebook-Daten für die Brexit-Debatte missbraucht hatte.
Frankreichs koreastämmiger Digitalminister O verweist hingegen auf eine Meinungsumfrage, laut der 62 Prozent der Franzosen bereit sein wollen, die StopCovidApp herunterzuladen. Bei einer Beteiligung von mehr als 60 Prozent kann die App laut Experten Sinn machen. Vorgesehen ist, dass auch Reisende von außerhalb Frankreichs und Grenzgänger die App herunterladen können.