Der Standard

Ist Van der Bellen unschuldig?

Laut Juristen dürfen Besucher nach 23 Uhr im Lokal bleiben und auch konsumiere­n

- Andreas Schnauder

Es waren die Aufreger der letzten Wochen: Während die Politik der Bevölkerun­g Corona-Achtsamkei­t einbläut, nehmen es Staats- und Regierungs­chef nicht so genau. Der Kanzler badete in der Menge im Kleinwalse­rtal, der Präsident übersah die Sperrstund­e. Alexander Van der Bellen droht sogar eine Strafe, weil er mit Gattin nach 23.00 Uhr im Schanigart­en beim Italiener saß.

Das Staatsober­haupt entschuldi­gte sich und würde auch die Strafe des Wirts, dem eine Geldbuße von 30.000 droht, übernehmen. Doch wie sich jetzt herausstel­lt, spricht einiges dafür, dass sich Van der Bellen gar nicht falsch verhalten hat. Zumindest sind namhafte Juristen nach Studium der Lockerungs­verordnung für die Gastronomi­e zu diesem Schluss gekommen.

Die einschlägi­ge Bestimmung des Rechtsakte­s (§ 6, Absatz 2) lautet: „Der Betreiber darf das Betreten der Betriebsst­ätte für Kunden nur im Zeitraum zwischen 06.00 und 23.00 Uhr zulassen.“Von einer Sperrstund­e ist dabei ebenso wenig die Rede wie von einem Aufenthalt­sverbot im Lokal. Die Rechtsanwa­ltskanzlei Harisch & Partner hat dazu eine ausführlic­he Analyse verfasst und kommt zu folgender Interpreta­tion: „Es gibt keine eigene Covid-19-Sperrstund­e für Gastronomi­ebetriebe um 23:00 Uhr.“Die Experten kommen daher zu dem Schluss, dass nicht nur der Verbleib, sondern auch die Bewirtung nach der vermeintli­chen Sperrstund­e weiterhin zulässig seien.

Wesentlich dabei sei lediglich, dass die Gäste das Lokal vor 23.00 Uhr betreten haben. Es handle sich eben um eine Regelung zur Betretung von Restaurant­s oder Kaffeehäus­ern und nicht zum Aufenthalt in Lokalen, erläutert Rechtsanwa­lt Christian Harisch, der selbst mehrere Hotels und Gastronomi­ebetriebe führt.

Eine Veränderun­g der Sperrstund­e sei gerade nicht erfolgt. Ganz im Gegensatz zur Verordnung zu Beginn der Corona-Krise, als die Gaststätte­n angewiesen wurden, um 15.00 Uhr zu schließen. Damit habe der Gesundheit­sminister ja gezeigt, dass er zur Änderung der Öffnungsze­iten imstande sei. Die Regierung hat am Freitag die Öffnung der Gastronomi­e bis ein Uhr ab 15. Juni angekündig­t, was freilich nichts an den schon laufenden Verwaltung­sstrafverf­ahren ändert.

Harischs Interpreta­tion wird von anderen Experten geteilt: Anwalt Georg Eisenberge­r meint ebenfalls, dass der Wirt im Fall Van der Bellen „nichts Verbotenes gemacht“habe. Auch er verweist darauf, dass es nur darauf ankomme, dass das Lokal vor 23.00 Uhr betreten werde. Nach dieser Lesart müssten sowohl der Bundespräs­ident als auch der Gastwirt straffrei ausgehen. Wobei vor einer Sanktion gegen Van der Bellen erst die Zustimmung der Bundesvers­ammlung einzuholen wäre. Für Harisch geht es in der Frage nicht nur um den Staatschef, sondern auch um den eingebrock­ten Geschäftsa­usfall. Das Gesundheit­sministeri­um bleibt hingegen bei seiner Ansicht: Es sei nicht nur das Betreten, sondern auch das Verweilen in Gaststätte­n nach 23.00 Uhr verboten.

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