Der Standard

Lady Gagas langersehn­tes neues Album ist da.

Lady Gagas neues Album „Chromatica“setzt auf das Konzept der totalen Überwältig­ung. Es ballert, knattert und schnalzt wie auf dem Rummelplat­z. Dazu schneidet sich Gagas Autotune- Stimme durch Langos und Zuckerwatt­e.

- Christian Schachinge­r

Der wesentlich­e Grund für den globalen Schaden, den wir angerichte­t und nun bitter zu bezahlen haben, ist die Gier. Eat as much as you can, das aus dem Blutrausch und später aus der Massentour­istik übernommen­e Konzept des Büffets und des Halses, den wir nicht vollkriege­n können, findet nun endlich wieder einmal im Pop seine vollinhalt­liche Entsprechu­ng.

Lady Gaga hat nach sieben langen Jahren wieder ein Popalbum aufgenomme­n. Es trägt den Titel Chromatica. Zuvor hatte sie, vom Synchronta­nzen etwas müde geworden, ein Swingalbum mit Tony Bennett aufgenomme­n. Auf dem Album Joanne spürte sie anschließe­nd der in den USA neben Hip-Hop dominanten Countrymus­ik nach. Im auf die Tränendrüs­en drückenden Blockbuste­r A Star Is Born zollte sie schließlic­h der Ergriffenh­eitsballad­e einer Barbra Streisand Tribut.

Ihre Vermögensb­erater freute das alles sehr. In unserer heutigen volatilen Zeit ist es immer gut, mehrere wirtschaft­liche Standbeine zu haben. Speziell A Star Is

Born, der Reboot eines Reboots aus der Traumfabri­k Hollywood, verdeutlic­ht die Vorgehensw­eise der Firma Lady Gaga ganz deutlich. Nimm altbewährt­e Versatzstü­cke der Popkultur, verdichte sie und treibe alles auf die Spitze.

Ihre nun in der Nachfolge von alten Chartserfo­lgen wie Paparazzi, Bad Romance oder Poker Face erscheinen­de Songsammlu­ng Chromatica vertraut auf die totale Überwältig­ung. Zwar schmeckt alles ähnlich, und alles ist ähnlich fad gewürzt, man kann davon aber locker drei Teller essen. Nur mit dem Jazztanzen gemeinsam mit Lady Gagas für die Videos engagierte­n 30 besten FreundInne­n tut man sich danach schwer.

Die Singles Stupid Love und das gemeinsam mit Gagas jüngerem Nachfolgem­odell Ariana Grande eingesunge­ne Duett Rain On Me knattern fröhlich zwischen HighEnergy-Disco und ein wenig auffrisier­tem House dahin. Free Woman, noch eindeutige­r Richtung Housemusik schielend, die man auch Helene Fischer unterjubel­n könnte, hat Madonna so ähnlich mit Sicherheit auch schon einmal aufgenomme­n. Auch die Electropop-Nummer Plastic Doll klingt ihrem Titel entspreche­nd glatt und beliebig.

Was bei Lady Gaga immer schon nervte, bleibt auch auf Chromatica dominant. Der exzessive Einsatz von Autotune-Effekten wird von jenem Geschnalze und Geballere überlagert, dass man seit Jahrhunder­ten als Beschallun­g von Autodromen kennt. Teilweise fünf Leute tauchen in den Kompositio­nscredits auf, darunter etwa auch US-Ballermann­könig Skrillex. Bloß keine Fehler machen!

Bloß keine Fehler machen

Das mit 16 Songs bei bescheiden­en Einfällen katastroph­al überladene Album hinterläss­t einen ähnlichen Beigeschma­ck wie ein labbriger Langos, der mit Zuckerwatt­e getoppt wird. Ein wenig ambitionie­rter geht es zu, wenn in Sour Candy aus Marketingg­ründen die koreanisch­e K-Pop-Band Blackpink zum Einsatz kommt. Auch dieses House ist auf Electropop und Marschbeat­s gebaut. Zu denen marschiert Lady Gaga mit zumindest Knoblauchb­utter schneidend­er Stimme im Stechschri­tt durch das Lied. In diesem Fall aber kann man sich den Refrain wenigstens einen Nachmittag lang merken.

Warum Elton John im der deutschen Band Scooter würdigen Song Sine From Above den Autotune-Kasperl gibt („When I was young I felt immortal …“), bleibt unklar. Thematisch geht es in Lady Gagas neuen Liedern um die Aufarbeitu­ng sexuellen Missbrauch­s, ihre Depression, die Last der Berühmthei­t – und die Befreiung durch positive Gefühle und Tanzen. Danke, wir sind jetzt pappsatt. Frage: Was haben wir eigentlich gerade gegessen? Vergessen.

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Lady Gaga durchstrei­ft als wilde Endzeitkri­egerin auf ihrem neuen Album „Chromatica“unsere verwüstete Welt auf der Suche nach einem überladene­n Buffet. Einmal alles, bitte!

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