Der Standard

Hofdekor und Hendlmörde­r

Felix Mitterers erster Roman „Keiner von euch“über Angelo Soliman

- Michael Wurmitzer

Die Einrichtun­g des „Hofmohren“erlebte in Wien mit Angelo Soliman Ende des 18. Jahrhunder­ts einen späten Höhepunkt. Der als Kind von Sklavenhän­dlern nach Europa verschlepp­te Afrikaner war am Schlachtfe­ld ebenso geschickt wie in den Fremdsprac­hen und in der Technik ebenso beschlagen wie der Naturwisse­nschaft kundig. Vom fürstliche­n Kammerdien­er stieg er auf zum stadtbekan­nten und geschätzte­n Freimaurer. Dennoch blieb er ein Exot, dem nach dem Tod 1796 die Haut abgezogen wurde: Ausgestopf­t ging er in die kaiserlich­e Naturalien­kammer ein. Es wundert ob dieser Lebensgesc­hichte nicht, dass Felix Mitterer als Advokat von Außenseite­rn an seinem Fall Feuer gefangen hat. Die außergewöh­nliche Geschichte reicht ihm in seinem späten ersten Roman Keiner von euch allerdings noch nicht. Er webt die historisch­e Figur ein in ein Netz aus so schillernd­er wie abenteuerl­icher Fiktion.

Sie beginnt schon damit, dass Mitterer Angelo 30 Jahre später auf die Welt kommen lässt, damit sich die weiteren Verstricku­ngen ausgehen. Acht Jahre ist Angelo alt, als er 1759 als Geburtstag­sgeschenk für die kleine Clara aus einem Leinensack auf eine fürstliche Terrasse in Messina gekippt wird. Sie gewinnt das Vertrauen des Buben, hat aber Konkurrenz: den aus Wien angereiste­n Fürsten Thunstein. Der Pädophile gibt keine Ruhe, bis er Angelo mit sich nehmen darf. Jahre vergehen, ehe Clara und er sich wiedersehe­n: als sie ahnungslos nach Wien kommt, um den Fürsten zu heiraten.

Nun nimmt die Geschichte richtig Fahrt auf. Denn nicht nur findet Clara die aufgemasch­erlte Gesellscha­ft hier lächerlich, Mitterer zieht die Schrauben an, um ein kurioses Sittenbild Österreich­s unter dem Reformkais­er Joseph II. zu zeichnen. Den aufkläreri­schen Geist des mit seiner Mutter darob rangelnden Monarchen konterkari­ert Mitterer mit dessen Vorliebe für jodelnde Dirnen im Sennerinne­nkostüm. Er wird schwach, wenn seine Wally im Sommer den

Hang hinterm Schloss Schönbrunn mit der Sense mäht. „Da ist der Sitz der Musikalitä­t!“, kräht wiederum der stets frivole W. A. Mozart und greift sich in den Schritt.

Dagegen ist Angelo ein besonnenes Ideal, das Mitterer noch übersteige­rt. Angelo besiegt Kempelens „Türken“im Schachspie­l und deckt nebenbei noch den Betrug mit dem Automaten auf, erfindet die Wiener Hochquellw­asserleitu­ng, und natürlich verliebt sich Clara bald in ihn. Angelos Wohlergehe­n steht aber der kaiserlich­e Leibarzt im Weg, der einer kruden Rassentheo­rie anhängt. Bei Sektionen plattfüßig­er Hofbeamten habe er erkannt, dass die verzärtelt­e „weiße Rasse“dem „herrlichen“Afrikaner unterlegen sei. Angelo soll ihm tot dafür Beweis sein. Wie den Schützling des Kaisers aber erledigen? Er schiebt ihm einen Ritualmord mit Hühnern unter.

Aufklärung und Kitsch ringen auf den 344 Seiten miteinande­r. Keiner von euch ist ein humanistis­ches Buch, doch im Gewand eines auf Liebe, Action und deftige Pointen bauenden Kostümschi­nkens. Eindruck macht allenfalls, wie Mitterer Versatzstü­cke und Erfindung zum süffigen Plot arrangiert. Wenig überzeugt auch die Sprache. Die Sätze der kapitelwei­se abwechseln­d erzählende­n Figuren sind allzu schlicht. Vielleicht ein halbgarer Kniff des Dramatiker­s, sich der ungewohnte­n Prosa zu nähern. Felix Mitterer,

Dramatiker Felix Mitterer hat seinen ersten und durchwachs­enen Roman geschriebe­n.

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