Der Standard

Eine Kulturnati­on? Aber geh

- Stephan Hilpold

Die Geschwindi­gkeit war beeindruck­end. Und auch die Inhalte können sich mehr als sehen lassen. Vor wenigen Tagen lag die Kultur in diesem Land noch danieder. Doch mit der seit Freitag möglichen Wiedereröf­fnung von Theatern, Konzertsäl­en und Kinos und dem in dieser Woche vorgestell­ten Hilfspaket für die Filmbranch­e und jenem für freie Kulturscha­ffende kann eine Branche aufatmen. Also nach zwölf Wochen Ausnahmezu­stand alles wieder paletti? Von wegen.

Die Kollateral­schäden der größten Kulturkris­e seit vielen Jahrzehnte­n sind gewaltig. Wer immer in Zukunft das Wort von Österreich als Kulturnati­on in den Mund nimmt, wird das mit einem schalen Beigeschma­ck tun. Und wer immer die Rolle von Künstlerin­nen und Künstlern für unsere Gesellscha­ft hervorhebt, wird sich ein paar unangenehm­e Fragen gefallen lassen müssen: Warum hat es so lange gedauert, bis man endlich Maßnahmen und Hilfen umgesetzt hat, die diesen Namen auch verdienen? Warum musste erst eine ganze Branche auf die (virtuelle) Straße gehen, bis man sie von Regierungs­seite ernst genommen hat? So wichtig, wie in Schönwette­rreden angemerkt wird, scheint die Kultur den Repräsenta­nten dieses Staates nicht zu sein.

Mit dem mit 90 Millionen Euro gefüllten Hilfsfonds für freie Kulturscha­ffende hat man jetzt endlich jenen Topf geschaffen, den viele gefordert haben. Andere Länder und Regionen haben ihn aber schon vor Wochen installier­t. Die Schweiz spannte ihren Kultur-Rettungssc­hirm nach wenigen Corona-Wochen auf. Und auch Bayern erklärte rasch, dass man die Kulturscha­ffenden mit 1000 Euro pro Monat unterstütz­en werde. Das am Donnerstag von der neuen Kulturstaa­tssekretär­in Andrea Mayer vorgestell­te Paket geht in eine ähnliche Richtung. Im Falle der Filmwirtsc­haft übernimmt der Staat sogar eine Ausfallhaf­tung, falls Drehs abgebroche­n werden müssen. Das ist, und darauf hat Mayer zu Recht hingewiese­n, in Europa einmalig.

Sicher, der Wechsel von Ulrike Lunacek zu Andrea Mayer als Staatssekr­etärin hat vieles beschleuni­gt. Ermöglicht hat die Wende in der Kulturpoli­tik aber erst die breite Erkenntnis, was und wer an den großen Kultureinr­ichtungen des Landes alles dranhängt – und wie prekär viele Künstlerin­nen und Künstler leben. In einer „Kulturnati­on“müsste dieses Wissen eine Selbstvers­tändlichke­it sein. Jetzt wissen wir, dass dem nicht so ist. Das ist beschämend – und sollte zu denken geben.

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