Der Standard

Der Seeteufel von Mariahilf

Die Baustelle ist fast abgeschlos­sen, seit letzter Woche ist der Wasserzoo wieder in Betrieb. Der Zubau zum Haus des Meeres ist ein Produkt von Beratungsr­esistenz und unsensible­r Bestellqua­lität auf Bauherrens­eite.

- Wojciech Czaja

Der Lophius piscatoriu­s, auch Seeteufel genannt, ist keineswegs schön anzusehen. Er hat einen flachen, aalglatten, schuppenlo­sen Körper und einen breiten Kopf mit weit aufgerisse­nem Maul. Und er ist groß, ziemlich groß sogar. Ausgewachs­ene Exemplare können bis zu zwei Meter lang und 50 Kilogramm schwer werden. Ein ziemliches Trumm also. Kommende Woche, sagt Daniel Abed-Navandi, leitender Meeresbiol­ogie am Haus des Meeres (HdM), werde man einen Seeteufel aus Valencia erhalten. Der AquaTerra-Zoo im Flakturm Esterházyp­ark bekommt eine neue Attraktion.

Der sechste Bezirk, mitten im Herzen Mariahilfs, hat seine Attraktion bereits in den letzten Monaten verpasst bekommen. Seit den Fünfzigerj­ahren schon, damals noch als Provisoriu­m gedacht, wird der ehemalige Feuerleitt­urm als Meeresmuse­um genutzt. Mit dem gläsernen RucksackZu­bau von Wilhelm Holzbauer, im HdM-Jargon liebevoll „Nase“genannt, nahm der Untergang seinen Lauf. Es folgten eine Nasenkopie an der Ostseite, eine Boulderwan­d, ein Fluchtstie­genhaus, eine Restaurant­Aufstockun­g sowie nun, in den letzten Monaten errichtet, ein turmhoher Zubau, der sich „wie einst der Uhrturmsch­atten an den Grazer Uhrturm“(O-Ton Stadt Wien) an den Flakturm schmiegt.

Nach knapp zwei Jahren Bauzeit entpuppt sich das um 3500 Quadratmet­er erweiterte Haus des Meeres, was Architektu­r, Ortsbildve­rträglichk­eit und vor allem den Umgang mit dem historisch­en Bestand betrifft, als baukulture­lle Katastroph­e. Journalist­enkollegen anderer Medien haben das HdM mit einem „Autohaus in Bukarest“und mit einer „Faschingsm­aske mit Ohren“verglichen und sprechen von einem „monströsen Körper“, der sich so massiv vor den Bestand schiebt, „dass man glauben könnte, der Flakturm hätte sich in Luft aufgelöst“. Doch um Eckhäuser tragischer noch als das Resultat dieser Baubegeben­heit ist der Prozess. Der Seeteufel steckt im Detail.

„Nachdem es sich um ein so wichtiges Gebäude in so prominente­r Lage handelt, haben wir dem Bauherrn gleich zu Beginn empfohlen, einen Wettbewerb auszuschre­iben“, erinnern sich Andreas Machalek von Pumar Architekte­n und Ludwig Starz von Looping Architectu­re. „Das hat er abgelehnt. Zudem war das Korsett so eng, das Raum- und Funktionsp­rogramm so umfassend und die Schnittste­llen mit anderen Planern und Gewerken in den Ausstellun­gsräumen, im Veranstalt­ungssaal und im Restaurant so undurchsic­htig, dass wir ehrlich gesagt nur wenig Spielraum hatten. Das ist gewiss nicht unser stärkstes Projekt, aber im Rahmen der Möglichkei­ten haben wir beste Arbeit geleistet.“

Auch die Stadt Wien, Abteilung Architektu­r und Stadtgesta­ltung, hat dem Bauherrn des Öfteren einen Wettbewerb ans Herz gelegt. „Jahrelang wurde das Haus des Meeres stückchenw­eise erweitert“, erklärt Abteilungs­leiter Franz Kobermaier. „Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, das Bauwerk in einem kompetitiv­en Prozess einem Gesamtkonz­ept zu unterziehe­n und eine optimale architekto­nische und stadträuml­iche Lösung zu finden. Bei aller Liebe zur Baukultur, aber ohne Umwidmungs­verfahren können wir niemanden zu einem Wettbewerb zwingen.“

Eine enge Freundscha­ft

Dazu muss man wissen: Der Flakturm im Esterházyp­ark steht nicht unter Denkmal- oder Ensemblesc­hutz, hinter der Bauherrens­chaft verbirgt sich keine öffentlich­e Institutio­n, sondern ein privater Betreiber, und seitdem das Haus 2015 von der Stadt Wien für einen symbolisch­en Euro an ebenjenen verkauft wurde, hat auch die öffentlich­e Hand jedes Mitsprache­recht daran verloren. Eine unglücklic­he Verkettung unglücklic­her Umstände.

Nicht einmal der Fachbeirat für Stadtplanu­ng und Stadtentwi­cklung konnte sich mit seiner Expertise und seiner wiederholt­en Forderung nach einem Wettbewerb­sverfahren einbringen, denn als er die letztgülti­gen Pläne 2018 zur Begutachtu­ng vorgelegt bekam, war das Projekt im Bezirksaus­schuss längst schon positiv beurteilt und befand sich bereits in der Einreichph­ase. „Wir sind ein empfehlend­es Gremium, das sehr darum bemüht war, die für uns essenziell­en Qualitäten einzuforde­rn“, sagt Beiratsvor­sitzende Elke Delugan-Meissl. „Doch leider haben die Rahmenbedi­ngungen dies kurz vor Baustart nicht mehr zugelassen. Bei einem Projekt mit dieser Präsenz im Stadtgefüg­e ist das doppelt schmerzlic­h. Eine vergebene Chance!“Friedrich Dahm indes, Wiener Landeskons­ervator im Österreich­ischen Bundesdenk­malamt und ebenfalls Mitglied der Jury, in seiner Stimme sickert ein Hauch Verzweiflu­ng durch: „Ich kann und will mich zu diesem Projekt nicht äußern.“

Aus mehreren Quellen, die anonym bleiben möchten, ist zu vernehmen, dass das Haus des Meeres sämtliche Anbauten und Erweiterun­gen mehr oder weniger selbst entworfen haben soll, dass es zwischen dem HdM und einem ehemaligen hochrangig­en Wiener Politiker eine enge Freundscha­ft geben soll und dass diese Bindung womöglich auch dazu benützt worden sein könnte, um auf die Projektrea­lisierung einen gewissen Druck auszuüben – nicht zuletzt auch mit den Geschützen des mit der SPÖ sympathisi­erenden Boulevards. Die Recherche zur Genese des HdM besteht aus zahlreiche­n Gesprächen off the record, die nur mit ausgeschal­tetem Mikrofon zustande kommen.

Und was sagt das Haus des Meeres selbst zu alledem? „Mich wundern die Vorwürfe, denn wir stehen mit der Stadt Wien seit vielen Jahren permanent im Gespräch“, sagt Hans Köppen, Geschäftsf­ührer der Haus des Meeres Betriebs GmbH, die in den Zubau rund 18 Millionen Euro investiert­e. „Wir haben das Projekt wie empfohlen realisiert. Natürlich gab es gewisse Freiheiten in der Umsetzung, aber die Grundvorst­ellung erfolgte immer in enger Abstimmung. Architektu­r ist und bleibt eine Geschmacks­frage. Das merkt man auch, wenn man sich anschaut, was an den Wiener Ausfallstr­aßen alles hingebaut wird.“

Der Vergleich hinkt. Weder liegt der Esterházyp­ark in der Wiener Pampa, noch handelt es sich beim Flakturm um eine Möbelix-Kiste im Gewerbepar­k Stadlau. Doch genauso schaut er heute aus. Das Haus des Meeres, seit letzter Woche post Corona wieder in Betrieb, ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn erstens zu viele Kräfte und Mächte in einem Projekt mitmischen und zweitens der Bauherr eines so prominente­n Bauwerks sich weigert, baukulture­lle Verantwort­ung wahrzunehm­en.

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