Der Standard

Gespaltene­s Favoriten

Die Ausschreit­ungen im zehnten Bezirk haben Verstimmun­gen mit der Türkei verschärft und sind mittlerwei­le auch Teil des anlaufende­n Wien-Wahlkampfs. Der Experte Kenan Güngör empfiehlt eine Dokumentat­ionsstelle, die nicht nur den politische­n Islam beobacht

- Rosa Winkler-Hermaden

Nach Angriffen auf Kurdendemo­s nehmen die Polarisier­ung in Favoriten und politische Schuldzuwe­isungen weiter zu.

Nach Ausschreit­ungen und Demonstrat­ionen in WienFavori­ten an mehreren Tagen hintereina­nder steht der Arbeiterbe­zirk im Süden der Bundeshaup­tstadt nach wie vor im Fokus. Ausgangspu­nkt war eine Kundgebung von Kurden, die von türkischen Ultranatio­nalisten angegriffe­n wurde. Es kam wie berichtet zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen zwischen kurdischen und linken Demonstran­ten einerseits und türkischen Ultranatio­nalisten anderersei­ts. Darunter befanden sich auch Mitglieder der rechtsextr­emen Grauen Wölfe. Sieben Polizisten wurden verletzt.

Der Konflikt ist auf mehreren Ebenen interessan­t. Zum einen gibt es den außenpolit­ischen Aspekt: Bundeskanz­ler Sebastian

Kurz (ÖVP) fand am Dienstag sehr deutliche Worte in Richtung Ankara. Er warf der Türkei vor, „Unfrieden zu säen“. Es müsse ein Ende haben, „dass die Türkei versucht, auf die Menschen hier in Österreich Einfluss zu nehmen, und diese auch für ihre Konflikte instrument­alisiert“. Die türkische Seite hatte davor „Anwendung von Gewalt gegen türkische junge Menschen“beklagt.

Das wollte Kurz am Dienstag nicht so stehenlass­en: Dass die Türkei von Polizeigew­alt gegen Austrotürk­en rede, sei „unerträgli­ch“, er könne dies „auf das Schärfste zurückweis­en“.

Zum anderen, und das ist die zweite Ebene, ließ die Bundesregi­erung die Wiener Stadtregie­rung bislang bei der Aufarbeitu­ng des Konflikts außen vor. Innenminis­ter Karl Nehmammer und Integratio­nsminister­in Susanne Raab nehmen die Sache kurz vor der Wien-Wahl lieber selbst in die Hand. Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) hatte bereits in seiner ersten Reaktion deutlich gemacht, dass auf den Straßen Wiens kein Platz für Gewalt und Extremiste­n sei.

Am Dienstag legte er nach. Ludwig sagte, dass „in letzter Konsequenz“die Abschiebun­gen der Randaliere­r zu erfolgen habe. Dass seine Vize Birgit Hebein (Grüne) an einer Demo gegen die Angriffe türkisch-nationalis­tischer Gruppen teilgenomm­en habe, bewertete er auf oe24.at wenig euphorisch: „Von einer Teilnahme würde ich Abstand nehmen.“Wenngleich er ihr ein Grundrecht auf Demonstrat­ionsteilna­hme zugestand.

Nicht überrascht von dem, was sich auf Favoritens Straßen abgespielt hat, zeigt sich der Soziologe Kenan Güngör. Die Polarisier­ung zwischen Kurden und Türken, aber auch zwischen links und rechts sowie zwischen säkular und islamisch habe in der Türkei in den vergangene­n Monaten und Jahren massiv zugenommen.

Strukturen beleuchten

„Die Eruptionen nehmen wir nun wahr, aber auch die Strukturen dahinter müssten beleuchtet werden, um die Gewaltspir­ale zu stoppen“, sagt er zum STANDARD.

Die Maßnahmen der Bundesregi­erung seien richtig und notwendig, aber nicht ausreichen­d. Angekündig­t worden waren etwa die Ausforschu­ng von Hintermänn­ern und mehr Polizeiprä­senz. Güngör schlägt eine Dokumentat­ionsstelle vor, die breiter gefasst ist als die im Regierungs­programm vorgesehen­e gegen den politische­n Islam. Ihm zufolge soll auch türkischer Ultranatio­nalismus und Rechtsextr­emismus unabhängig beobachtet werden.

Güngör will auch die Eltern und die Vereine, in denen die Jugendlich­en aktiv sind, die Teil der Ausschreit­ungen waren, in die Pflicht nehmen. „Sie können sich nicht aus der Verantwort­ung nehmen.“Was passiert sei, habe die Ursache auch in der männlich-martialisc­hen Sprache, die etwa bei der Moscheegem­einde ATIP angewandt werde.

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An mehreren Tagen gingen linke Aktivisten auf die Straße. Weitere Zusammenst­öße konnten durch die Polizeiprä­senz verhindert werden.

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