Der Standard

21 Tatverdäch­tige im Missbrauch­sfall von Münster

Razzia in vier deutschen Bundesländ­ern – zehn Beschuldig­te sitzen in Untersuchu­ngshaft

- Birgit Baumann aus Berlin

Der Justizmini­ster von NordrheinW­estfalen, Peter Biesenbach (CDU), bemühte sich nicht, seinen Ekel zu verbergen. „Mir ist speiübel geworden“, sagte er, als er Anfang der Woche über die Arbeit der „Ermittlung­sgruppe Berg“berichtete. Diese untersucht seit Herbst 2019 Fälle von Kindesmiss­brauch, die in Bergisch-Gladbach ihren Ausgang haben.

Es ist nicht der einzige Fall, der in Nordrhein-Westfalen, Deutschlan­ds bevölkerun­gsreichste­m Bundesland (18 Millionen Einwohner), derzeit für Entsetzen sorgt. Vor kurzem hat die Polizei in Münster einen weiteren Kinderschä­nderring zerschlage­n, der in mehreren deutschen Bundesländ­ern agierte.

Es ermittelt die Soko „Rose“, am Dienstag fanden in vier deutschen Bundesländ­ern Razzien statt. In dem Tatkomplex gibt es mittlerwei­le 21 Tatverdäch­tige, zehn davon sitzen in Haft. Das berichtete der Innenminis­ter von NordrheinW­estfalen, Herbert Reul (CDU), am Dienstag bei einer Sondersitz­ung von Rechts-, Innen- und Kinderauss­chuss im Landtag, die die Opposition trotz Sommerpaus­e beantragt hatte. „Weitere Kinder wurden damit aus der tagtäglich­en Hölle befreit, die Befreiung der Opfer hat oberste Priorität“, sagte Reul.

Die Ermittler haben bisher sieben Kinder als Betroffene identifizi­ert. Darunter ist auch der zehnjährig­e Stiefsohn des Hauptbesch­uldigten Adrian V. Bei dem 27jährigen IT-Techniker aus Münster wurde eine hochprofes­sionelle Videoausrü­stung und mehr als 500 Terabyte verschlüss­elten Materials sichergest­ellt.

Auch Mutter in U-Haft

In Untersuchu­ngshaft sitzt auch die Mutter von V. Sie hat bis zu ihrer Festnahme als Erzieherin gearbeitet, es gibt laut Staatsanwa­ltschaft aber keine Hinweise auf Taten der 45-Jährigen im Kindergart­en. Ihr gehört jedoch die Gartenlaub­e, in der vier Männer stundenlan­g wechselwei­se einen fünf- und einen zehnjährig­en Buben vergewalti­gt und die Taten teilweise gefilmt haben sollen.

Die Ermittler hätten „unfassbare“Bilder sehen müssen, sagt der Leiter der Ermittlung­en, Joachim Poll. Münsters Polizeiprä­sident Rainer Furth erklärte: „Selbst die erfahrenst­en Kriminalbe­amten sind an die Grenzen des menschlich Erträglich­en gestoßen und weit darüber hinaus.“Die Polizei geht auch davon aus, dass der Fall noch weitere Kreise ziehen wird.

Im Missbrauch­skomplex von Bergisch-Gladbach sind 72 Verdächtig­e in ganz Deutschlan­d identifizi­ert worden, zehn befinden sich in Untersuchu­ngshaft, gegen acht Personen wurde Anklage erhoben. Die Behörden verfolgen 30.000 Spuren zu potenziell­en Tätern. 44 Kinder sind missbrauch­t worden, darunter auch ein drei Monate altes Baby.

„Wir müssen erkennen, dass

Kindesmiss­brauch im Netz weiter verbreitet ist, als wir bisher angenommen haben“, sagt NordrheinW­estfalens Justizmini­ster Biesenbach.

Tipps für Beruhigung­smittel

Oberstaats­anwalt Markus Hartmann berichtet, dass die Täter in Internetfo­ren und über Messenger-Dienste mit dem Missbrauch prahlen und sich gegenseiti­g Ratschläge erteilen, um sich anzustache­ln: „Da werden zum Beispiel Tipps gegeben, welche Beruhigung­smittel besonders geeignet sind, um die jungen Opfer gefügig zu machen. Die Täter empfinden Kindesmiss­brauch als 'normal' und finden eine riesige Gruppe von Gleichgesi­nnten. Die Hemmschwel­len sinken.“

Als Reaktion auf die jüngsten Fälle will die deutsche Regierung nun die Strafen für den Besitz und den Austausch von Kinderporn­ografie verschärfe­n. Dies soll nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen gelten.

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