Der Standard

„Wir leben von einem Verspreche­n“

„Ohne Kunst wird’s still“: Unter diesem Motto findet heute in Wien ein „Schweigema­rsch“von Kulturarbe­itern statt, die in der Corona-Krise vor dem Nichts stehen. Mitinitiat­or Gerhard Ruiss fordert ein Grundeinko­mmen.

- INTERVIEW: Stefan Weiss Foto: APA

Dass Teile der Kulturbran­che bei den Corona-Finanzhilf­en bislang recht leer ausgingen, will eine neue Initiative, die sich aus allen Kunstspart­en zusammense­tzt, nun auch auf der Straße zum Thema machen. Heute ab 15 Uhr ruft man in Wien zu einem „Schweigema­rsch“auf. Einer der Wortführer, der Autor Gerhard Ruiss, kämpft seit über 40 Jahren gegen prekäre Arbeitsver­hältnisse im Kulturbetr­ieb.

STANDARD: Während in der Corona-Krise viele Künstler seit vier Monaten ohne Einkommen sind, werden Sie selbst bald mit dem mit 10.000 Euro dotierten H.-C.-Artmann-Lyrikpreis ausgezeich­net. Nehmen Sie den aktuell mit gemischten Gefühlen an?

Ruiss: Grundsätzl­ich wird der Preis ja für eine jahrzehnte­lange Leistung vergeben und bezieht sich wie alle Preise nicht auf eine akute Situation. Das ist der Normalbetr­ieb bei der Kulturförd­erung, den haben wir immer getrennt von den sozialen Unterstütz­ungsnotwen­digkeiten, die es auch gibt. Wir haben aktuell ja nicht das Problem, dass die Dotierung von Preisen und Stipendien auslässt, denn die wurde ja teils sogar ausgeweite­t, sondern die Unterstütz­ungsleistu­ngen lassen aus – bei vielen seit vier Monaten.

STANDARD: Gratuliert hat Ihnen, wie sich das gehört, auch die neue Kulturstaa­tssekretär­in Andrea Mayer. Für Sie ist die langjährig­e Sektionsch­efin keine Unbekannte. Wie macht sie sich im neuen Job? Ruiss: Ich glaube, was sie macht, macht sie im Höchsttemp­o, und das muss sie auch. Sie ist auf jeden Fall ein Profi. Ob sie auch ein Durchsetzu­ngsprofi innerhalb der Regierung ist, das ist die offene Frage. Wir brauchen ja nicht mehr Förderung, sondern Gesetzesän­derungen. Dieses Desaster ist ja auch passiert, weil wir im Kulturbere­ich ein schlechtes Sozialsyst­em und Steuerrech­t haben.

STANDARD: Sie protestier­en nun mit einen „Schweigema­rsch“unter dem Motto „Ohne Kunst wird’s still“. Kommt der nicht zu spät? Denn ab Juli sollen die Zahlungen ja nun wirklich fließen, 6000 Euro pro Person als Einmalzahl­ung. Ruiss: Wir leben von einem weiteren Verspreche­n. Denn schon vor Monaten wurde uns ja versproche­n, dass alle unsere Bedürfniss­e abgedeckt würden, das ist bis jetzt nicht der Fall. Wir wollen glauben, dass das eingelöst wird, aber mit zwei Vorbehalte­n: Wenn jemand wirklich von diesen 1000 Euro monatlich leben sollen muss, wird es zu wenig sein, weil das noch ca. 300 Euro unter der

Armutsgren­ze liegt. Und außerdem umfasst diese Zahlung nur einen Teil der Künstler, nämlich die Selbststän­digen. Es gibt eine ganz große weitere Zahl von Kulturscha­ffenden, die nicht selbststän­dig versichert sind.

STANDARD: Nicht fest angestellt­e Künstler sind keine Selbststän­digen in Ihren Augen?

Ruiss: Wir sind weder das eine noch das andere, das ist der alte Streit. In Deutschlan­d gibt es den Terminus „arbeitnehm­erähnliche Personen“. Den Begriff hat man bei uns nie eingeführt. Wir sind ja keine Unternehme­r, sondern stehen in arbeitnehm­erähnliche­n Abhängigke­itsverhält­nissen. Wir haben aber zum Beispiel trotzdem keine Kollektivv­ertragsfäh­igkeit.

STANDARD: Vor genau 22 Jahren haben Sie auf der Ringstraße einen „Umzug der Maroden“organisier­t. Damals wurde für ein Künstlerso­zialversic­herungsges­etz gekämpft, geworden ist es ein Künstlerso­zialversic­herungsfon­ds. Bis heute sind Sie damit nicht zufrieden. Warum? Ruiss: Wir haben kein Sozialvers­icherungsg­esetz bekommen, sondern ein Zuschussge­setz. Das ist typisch für Österreich. Dieses Förderungs­gesetz greift nur im Bedürftigk­eitsfall, aber nicht im Regelfall. Wir haben nicht das, was unselbstst­ändig Erwerbstät­ige haben, nämlich dass die Arbeitgebe­r mitzahlen – wir zahlen unsere Beiträge zu 100 Prozent selbst.

STANDARD: Stattdesse­n fordern Sie ja mittlerwei­le ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen für Künstler, Ein-Personen-Unternehme­n und Ähnliche. Ist das nicht etwas kühn? Wenn schon Grundeinko­mmen, dann für alle, oder?

Ruiss: Grundsätzl­ich wollen wir ohnehin Grundeinko­mmen für alle. Aber angesichts der prekären Situation, in der wir stehen, könnte man sagen: Warum nicht sofort für Künstlerin­nen und Künstler? Wir haben keine Krankenver­sicherung, die vorsieht, dass wir Krankengel­d bekommen, und wir haben auch keine Arbeitslos­enversiche­rung. Wir stehen, wenn wir keine Arbeitsmög­lichkeit haben, vor dem Nichts. In dieser Drastik haben das andere nicht. Man könnte das Grundeinko­mmen als Aufstockun­g einführen für alle, deren Einkommen unter der Armutsgren­ze liegen.

STANDARD: Bei allem Verständni­s für die Sorgen: Wählen freischaff­ende Künstler nicht auch selbst ein gewisses Restrisiko?

Ruiss: Das Risiko bleibt sowieso, das hat auch jeder andere, der eine Berufsausb­ildung macht und dann keinen Job bekommt. Ich glaube aber nicht, dass man sagen kann: Du hast jetzt fünf Jahre als Künstler gut verdient, und wenn im sechsten Jahr plötzlich nichts mehr geht, dann haben wir als Gesellscha­ft nichts mehr übrig für dich. Aber es soll auch nicht darum gehen, dass jeder als Künstler „durchgebra­cht“wird. Es soll sich natürlich auch an der Produktivi­tät bemessen.

STANDARD: Sie fordern außerdem eine Verdoppelu­ng des Kulturbudg­ets auf ein Prozent des BIP und ein eigenständ­iges Ministeriu­m für Kunst und Kultur – auch das seit vielen Jahren erfolglos. Setzen Sie überhaupt noch Hoffnung in die Politik? Ruiss: Hoffnung habe ich immer, denn wir haben schon viele Dinge verwirklic­ht, wo es anfangs hieß, das wird nicht gehen. Es ist immer alles von vornherein nie möglich. Ich habe Hoffnung, weil allmählich bewusster wird, welche Bedeutung Kunst und Kultur für dieses Land haben, weil es in der Außenwahrn­ehmung extrem darüber definiert wird. Wir können es uns einfach nicht leisten, dass die Politik Kultur vernachläs­sigt.

GERHARD RUISS (69) ist seit 1978 Geschäftsf­ührer der IG Autorinnen Autoren. Als Lyriker erhält er am 6. November den H.-C.-Artmann-Preis.

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