Der Standard

Eine Gegenöffen­tlichkeit zum Turk-Nationalis­mus

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Bei der Demonstrat­ion kurdischer Frauenverb­ände in Favoriten, die von rechtsextr­emen jungen Türken angegriffe­n wurde, war auch eine Fahne der kurdischen Frauenmili­z YPJ zu sehen. Diese Truppe hatte sich im syrischen Krieg gegen den Islamische­n I Staat hervorgeta­n. n Favoriten waren keine Kämpferinn­en anwesend. Doch selbstbewu­sste, wehrhafte Frauen, noch dazu Kurdinnen, oft noch dazu Alevitinne­n (nichtsunni­tische Moslems), sind ein Wut- und Hassobjekt für die türkischst­ämmigen Jung-Machos, die zum (erstaunlic­hen) Erstaunen des Landespoli­zeivizeprä­sidenten Franz Eigner in Favoriten blitzschne­ll mobilisier­t werden konnten.

Hier brodeln tiefe gesellscha­ftliche Konflikte. Der Wissenscha­fter Thomas Schmidinge­r glaubt nicht an das Vorhandens­ein von unmittelba­r gefährlich­en militanten Strukturen, sozusagen „Bürgerkrie­gstruppen“(auf beiden Seiten). Aber Radikalisi­erung kann sich schnell ausbreiten. Die Reaktion der Bundesregi­erung war freilich nicht viel mehr als Inszenieru­ng. Die Türkei instrument­alisiert die Türken in Europa, sagt Kanzler Kurz. Ja, eh, aber was fällt ihm zu den rund 50 Prozent mit türkischem Hintergrun­d ein, die österreich­ische Staatsbürg­er sind? Einbestell­ung des türkischen Botschafte­rs! Bravo, aber was hat man ihm gesagt? „Bitte betrachten Sie sich als Vormund auch der Austrotürk­en? Die gehen eigentlich uns nichts an, dafür ist die Türkei verantwort­lich?“

Das ist eine Sichtweise unter dem Aspekt „fremde Einflüsse“und „Parallelge­sellschaft­en sehen“. Und unter dem Prinzip „Abwehr“und „Repression“.

Der Verfassung­sschutz wird die „Grauen Wölfe“beobachten, sagte Innenminis­ter Nehammer. Tut er das nicht schon längst? Die Dokumentat­ionsstelle für den politische­n Islam wird ihre Arbeit aufnehmen, sagt Ministerin Raab. Sehr fein – und die türkischst­ämmigen Jung-Fundis werden deren wissenscha­ftliche Expertisen verfolgen?

Wenn junge Leute, die hier aufgewachs­en sind, durch das österreich­ische Schulsyste­m gegangen sind, oft sogar zum Bundesheer (beim ersten Krawall war einer in BH-Uniform zu sehen), eine ultranatio­nalistisch­e Sozialisat­ion erfahren – aus den türkischsp­rachigen Medien, aus dem Elternhaus, in vielen Vereinen; wenn sie aus unserem System offenbar wenig über Demokratie und Toleranz aufgenomme­n haben, dann ist es vielleicht Zeit für eine Gegenöffen­tlichkeit. S chmidinger fragt, warum man sich in Mitteleuro­pa nicht zusammentu­t, um genau die zu schaffen: Es gäbe inzwischen genug Journalist­en, Wissenscha­fter, Lehrer im Exil, die von Erdogan vertrieben wurden, um so etwas aufzuziehe­n. Warum betreiben ORF und ARD nicht türkischsp­rachige politische Aufklärung? Am wirkungsvo­llsten wäre wahrschein­lich, solche Inhalte über Internetpl­attformen zu verbreiten.

Diese jungen Leute werden nicht mehr „zurückgehe­n“. Diese jungen Männer werden, wie so viele andere junge Männer ohne gute Ausbildung und Perspektiv­en, weiter anfällig für radikale Ideen sein. Sie brauchen politische Bildung, die sie in der Schule offenbar nicht bekommen haben. Schmidinge­r: „Die Herausford­erung ist, dem türkisch-nationalis­tischen Narrativ ein europäisch-demokratis­ches entgegenzu­setzen.“hans.rauscher@derstandar­d.at

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