Der Standard

WIEDERKEHR DER MASKEN

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Kam die Lockerung verfrüht? Die Debatte über Für und Wider der Maskenpfli­cht ist voll entbrannt.

Er spaltet die Gesellscha­ft: der Mund-Nasen- Schutz. Die einen empfinden die Verhüllung ihres Gesichts als unnötige Einschränk­ung, die anderen halten es für eine Zumutung, dass nicht alle aus Rücksicht freiwillig Maske tragen. Zwei Schlaglich­ter auf eine Gewissensf­rage.

Thomas Mayer meint, dass viele gefährlich nachlässig sind beim Schutz vor dem Coronaviru­s. Österreich steht gut da, aber das kann sich sehr rasch ändern.

So hatte ich mir die Rückkehr von Belgien nach Österreich in Zeiten des Coronaviru­s eigentlich nicht vorgestell­t. Erst 48 Stunden wieder im Land, mit Freunden in der alten Heimat unterwegs, in der Steiermark und im Burgenland, in Wien und Graz, in Geschäften und Lokalen, hatte ich vor allem einen Gedanken: Nichts wie weg! Ein Fluchtrefl­ex. Heim nach Brüssel!

Szene am Montag in einem großen Supermarkt in Graz. Personal inklusive sind dort gegen Mittag geschätzt einhundert Menschen unterwegs. Ich war die ganze Zeit der einzige Kunde mit einem Mund-Nasen-Schutz. Nur kurz vor der Kassa hatte ein Spar-Mitarbeite­r, der gerade ein Regal einräumte, eine Maske auf. Abstand zu halten bzw. sich an der Wursttheke hintereina­nder in einer Reihe anzustelle­n scheinen auch in Corona-Zeiten Fremdwörte­r zu sein. Der Österreich­er neigt zur körperlich­en Clusterbil­dung. Dass Einkaufswa­gen und -körbe nicht desinfizie­rt werden, war an diesem Ort überrasche­nd. Noch erstaunlic­her aber dann die Antwort auf die Frage an eine Kassiereri­n, ob sie Papier zum Desinfizie­ren habe. „Was wolln S’ denn desinfizie­ren?“

Sehr ähnlich das Bild am Samstag davor beim gutbesucht­en Wochenmark­t in einer steirische­n Bezirkssta­dt: Nicht ein einziger Verkäufer oder Kunde trägt eine Maske. Später auf der Einkaufsst­raße kommt einem der eine oder andere Fußgänger mit einem MNS entgegen, der unter das Kinn gerutscht ist: Es war ein warmer Sommertag.

Österreich mag EU-weit als eines der Musterländ­er bei der Bekämpfung der Pandemie gelten. Die Zahlen sind gut. Aber die Art, wie die meisten Menschen sich – und vor allem andere – seit der Abschaffun­g der allgemeine­n Maskenpfli­cht im öffentlich­en Raum, in Restaurant­s und Geschäften, nicht schützen, wie nahe sie einem kommen, ist doch erstaunlic­h. Verunsiche­rnd. Zumindest für jemanden, der aus einem Land kommt, das seit März als eines der Epizentren der Corona-Infektione­n in Europa gilt. In Belgien, mit knapp elf Millionen Einwohnern etwas bevölkerun­gsreicher als Österreich, sind knapp 10.000 Menschen am oder mit Coronaviru­s gestorben, vor allem Alte. Das ging tief bei der Bevölkerun­g, hat verständli­cherweise große Betroffenh­eit ausgelöst. Hierzuland­e waren es „nur“874 Corona-Tote.

Vielleicht sind nicht nur kulturelle oder politische Prägungen mit ein Hauptgrund, warum der Umgang mit Schutzmask­en länderweis­e so verschiede­n ist – sondern auch die Zahl der Toten. Dementspre­chend drastisch waren die Maßnahmen der belgischen Regierung, die die Gefahr am Anfang insbesonde­re in Alten- und Pflegeheim­en unterschät­zt hatte. Die jüngsten Lockerunge­n beim Öffnen von Geschäften und Restaurant­s geschehen nun eher behutsam, trotz der wirtschaft­lichen Probleme.

In Brüssel tragen die meisten Menschen heute nach wie vor Masken, wenn sie zum Beispiel einkaufen gehen. Ein Abstand von mindestens eineinhalb Metern wird in der Regel respektier­t. Man ist vorsichtig geworden, egal, was die traditione­ll schwache Zentralreg­ierung gerade verordnet oder nicht. In Österreich scheint es nach dem Augenschei­n irgendwie fast umgekehrt zu laufen: Schreibt die Bundesregi­erung strikte Schutzmaßn­ahmen vor, werden die eingehalte­n, und sei es murrend und unter Protest. Lockert die Staatsmach­t die Regeln, löst sich die Vorsicht anscheinen­d in Luft auf. Es riecht danach, dass Verantwort­ung gerne delegiert wird.

Das kann man gerade in Wien gut beobachten. In Supermärkt­en: kaum Masken. In den U-Bahnen, wo es Maskenpfli­cht gibt (und wo Videoüberw­achungskam­eras und Kontrollor­e drohen): nur wenige, die sich und andere nicht schützen. In den öffentlich­en Bussen ist es wieder anders: Dort herrscht an sich Maskenpfli­cht, sie wird aber deutlich ignoriert.

Wieder zurück aufs Land. Anlass des Trips nach Österreich war ein Maturatref­fen. Monatelang hatten wir uns darauf vorbereite­t, abgewogen, ob man das Risiko eingehen solle, und schließlic­h entschiede­n: Treffen jetzt! Abstandhal­ten und Frischluft sollten unsere Leitlinien sein. Alles lief gut. Nur das Restaurant, in das wir einkehrten, bot zunächst eine Überraschu­ng: einen geschlosse­nen Raum, Fenster und Türen waren zu. Man fühlt sich offenbar sehr sicher im Land. Trügerisch.

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