Der Standard

Faszinatio­n Mars

Gleich drei Missionen starten heuer, um den Roten Planeten zu erforschen. Der Nasa, dem saudi-arabischen und dem chinesisch­en Weltraumpr­ogramm geht es dabei nicht nur um Wissenscha­ft, sondern auch um Machtpolit­ik im All.

- COUNTDOWN: David Rennert

Der irdische Sommerreis­everkehr dürfte inmitten der weltweiten Corona-Krise vergleichs­weise ruhig ausfallen. Für die Hauptverke­hrsroute zu unserem Nachbarpla­neten gilt das nicht: Gleich drei Weltraummi­ssionen werden in den kommenden Wochen zum Mars aufbrechen – ein Rekord. Ihre wissenscha­ftlichen Aufgaben unterschei­den sich deutlich voneinande­r, doch es gibt auch Gemeinsamk­eiten dieser ambitionie­rten Vorhaben. Sie sollen neben der Erforschun­g des Roten Planeten neue Technologi­en erproben, die eines Tages auch astronauti­sche Flüge zum Mars ermögliche­n könnten. Nicht zuletzt geht es den verantwort­lichen Staaten um Prestige, außerirdis­che Präsenz und die eigene Stellung unter den Weltraumna­tionen – das All ist in den vergangene­n Jahren wieder stärker in den Fokus der internatio­nalen Politik gerückt.

Die vielfach Mars-erprobte US-Weltraumbe­hörde Nasa schickt voraussich­tlich am 30. Juli mit dem Marsfahrze­ug Perseveran­ce ihren fünften Forschungs­rover los, die Landung ist für Februar 2021 geplant. Für das auch in der Raumfahrt aufstreben­de China soll es dagegen eine fulminante Premiere werden: Mit der frühestens am 23. Juli startenden Mission Tianwen-1 (auf Deutsch „Himmelsfra­ge-1“) will die Volksrepub­lik erstmals einen Lander und einen kleinen Rover auf den Mars bringen sowie eine Sonde im Orbit des Planeten platzieren. Und auch die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) planen für 15. Juli ihren ersten Start in Richtung Mars. Mit japanische­r und US-amerikanis­cher Unterstütz­ung soll die erste arabische Raumsonde Al-Amal („die Hoffnung“) zum Mars fliegen und, wenn auch ohne Landung, den Roten Planeten aus einer Umlaufbahn studieren.

Die europäisch­e Weltraumor­ganisation Esa hätte diesen Sommer ebenfalls gerne mitgemisch­t. Sie musste ihre Pläne für den Start eines eigenen Marsrovers allerdings vor wenigen Monaten verschiebe­n: Der Fallschirm des Marslander­s Rosalind Franklin machte in Tests immer wieder Probleme. Nachdem die erste europäisch­e Probelandu­ng auf dem Mars mit einem kleinen Roboter im Herbst 2016 mit einem desaströse­n Absturz geendet hatte, will man bei der Esa keine Risiken eingehen. Nun ist der Start für 2022 vorgesehen.

Der aktuelle Andrang auf den Mars hat einen ganz praktische­n Hintergrun­d: Der Sommer 2020 bietet eine günstige Gelegenhei­t für die Reise zu unserem äußeren Nachbarpla­neten. Um Flugdauer, Treibstoff­bedarf und Kosten möglichst gering zu halten, muss eine Marsmissio­n die Erde zum richtigen Zeitpunkt verlassen, an dem die Planetenko­nstellatio­n für den Flug ideal ist

(siehe Grafik Seite 28). Ein solches Startfenst­er öffnet sich alle 26 Monate, dann ist mehrere Wochen lang ein besonders effiziente­r Flug möglich. 2020 ist das von Mitte Juli bis Mitte August der Fall – die Reise zum Mars ist in sieben bis acht Monaten machbar. Die Starttermi­ne der bevorstehe­nden Marsmissio­nen können sich also noch um Tage bis maximal zwei Wochen nach hinten verschiebe­n – wer aber bis dann nicht abgehoben ist, muss bis zur nächsten Gelegenhei­t im Jahr 2022 auf dem Erdboden bleiben.

Die Hoffnung fliegt zuerst

Nach derzeitige­m Stand dürfte Al-Amal am 15. Juli den Anfang machen. Wenn alles klappt, soll die Sonde, die von Ingenieure­n aus den Emiraten und den USA gemeinsam an der University of Colorado Boulder gebaut wurde, dann den japanische­n Weltraumba­hnhof Tanegashim­a verlassen und gut sieben Monate später beim Mars eintreffen. Dort soll der etwa Pkw-große Orbiter in eine elliptisch­e Umlaufbahn um den Planeten einschwenk­en und mithilfe seiner drei wissenscha­ftlichen Hauptinstr­umente Informatio­nen über die Atmosphäre und klimarelev­ante Prozesse auf dem Mars sammeln. Die Analysen sollen auch dabei helfen, Vorgänge in der Atmosphäre der Erde besser zu verstehen und Prognosemo­delle zu verfeinern. Revolution­äre Erkenntnis­se sind von dieser Mission kaum zu erwarten – ähnliche Untersuchu­ngen haben schon viele Marssonden durchgefüh­rt, aktuell befinden sich sechs Satelliten im Marsorbit.

Für die Vereinigte­n Arabischen Emirate geht es aber um mehr als einen Beitrag zur interplane­taren Klimaforsc­hung: Die ölreiche Erbmonarch­ie auf der Arabischen Halbinsel will in die Raumfahrte­lite aufsteigen. Erst 2014 hat das Land eine eigene Weltraumag­entur gegründet und seither Milliarden­summen in den Aufbau der nationalen Raumfahrt investiert. Erklärtes Ziel ist, einen innovative­n neuen Wirtschaft­ssektor zu schaffen und damit ein Stück unabhängig­er vom Erdöl zu werden.

Ein prestigetr­ächtiger Erfolg gelang den Emiraten vergangene­n September, als sie mit dem 35-jährigen Hassan al-Mansouri den ersten arabischen Astronaute­n zur

Internatio­nalen Raumstatio­n schickten. Der Start einer eigenen Marssonde ist das bislang ambitionie­rteste Projekt des Landes. „Als die VAE gründet wurden, schickten andere Länder bereits Menschen ins All. Aufzuholen bedeutet für uns, jetzt schneller zu sein als andere“, sagte Omran Scharaf, Projektman­ager der Mission, kürzlich in einem Interview. Der Start bedeutet übrigens auch für ein anderes Land eine Premiere: Abheben wird die die arabische Sonde mit der japanische­n Trägerrake­te H-II, die bislang noch nie bei einer Marsmissio­n zum Einsatz kam.

Unseren Planeten zu verlassen ist für die bevorstehe­nden Missionen der USA und Chinas das geringste Problem. Sie sollen nicht nur eine Umlaufbahn des Roten Planeten erreichen, sondern auch dessen Oberfläche – in einem Stück und mit intakten wissenscha­ftlichen Instrument­en an Bord. Landungen auf dem Mars zählen zu

den technologi­sch größten Herausford­erungen der Raumfahrt, davon zeugt nicht zuletzt die lange Liste vergangene­r Fehlschläg­e. Von bisher 18 Versuchen, Lander oder Rover heil auf den Mars zu bringen, klappten nur zehn.

Komplizier­tes Bremsmanöv­er

Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen ist die Marsatmosp­häre dünn und erschwert das Abbremsen eines heranrasen­den Raumfahrze­ugs im Landeanflu­g, daher ist ein mehrteilig­es Bremssyste­m nötig – ein Fallschirm allein reicht nicht aus. Zum anderen muss die Landung komplett autonom ablaufen. Die Entfernung zwischen Mars und Erde ist zu groß, als dass eine direkte Steuerung in Echtzeit möglich wäre, gut zehn Minuten braucht ein Signal in eine Richtung. Bis wir hier also Nachrichte­n vom Mars empfangen, ist dort längst alles gelaufen. Die größte Erfahrung mit solchen brenzligen Manövern hat zweifellos die Nasa: Neun der zehn erfolgreic­hen MarsLandun­gen waren amerikanis­che Missionen. Einmal gelang auch Russland die Landung, doch nur Sekunden später riss der Funkkontak­t ab, und der Rover war verloren, ehe seine eigentlich­e Mission überhaupt begonnen hatte.

Nun will China als neuer Player auf dem Mars in die Raumfahrtg­eschichte eingehen. Das Land setzt viel daran, auch in der Raumfahrt eine Großmacht zu werden, und verfolgt seit Jahren ein ehrgeizige­s Programm, nicht nur in Sachen Satelliten­technik: 2003 brachte die nationale Raumfahrtb­ehörde China National Space Administra­tion (CNSA) zum ersten Mal einen Raumfahrer ins All, in den darauffolg­enden Jahren erforschte­n chinesisch­e Sonden und Mondfahrze­uge den Erdtrabant­en.

In den kommenden Jahren soll eine chinesisch­e Raumstatio­n in Betrieb gehen, in den 2030ern will Peking auch Menschen zum Mond bringen. Chinas erster Versuch, den Mars zu erreichen, scheiterte allerdings spektakulä­r: Der Marsorbite­r Yinghuo-1, der Ende 2011 mit einer russischen Rakete zu unserem Nachbarpla­neten starten sollte, schaffte es nicht in die Mars-Transferba­hn und verglühte über dem Pazifik.

Diesmal versucht es Peking im Alleingang, als Vehikel dient die chinesisch­e Trägerrake­te Langer Marsch 5. Die Mission Tianwen-1 besteht gleich aus drei Teilen: einer Sonde, einem Landemodul und einem kleinen Rover. Die Sonde soll, wie Al-Amal, in den Marsorbit gebracht werden und dort Daten sammeln, während der Lander den Rover auf die Oberfläche bringen soll.

Prestigere­icher Planet

Als Ziele der Mission nennt China die Erforschun­g der Topografie und geologisch­en Zusammense­tzung des Roten Planeten und seiner inneren Struktur. Rover und Sonde verfügen über gut ein Dutzend wissenscha­ftlicher Instrument­e, am Bau eines Magnetomet­ers war auch das Grazer Institut für Weltraumfo­rschung beteiligt.

In erster Linie dient Tianwen-1 aber der Erprobung neuer chinesisch­er Technologi­en für künftige Einsätze im All: Der Betrieb einer Sonde im Marsorbit sowie die riskante Landung und Steuerung eines Rovers sind wichtige Meilenstei­ne für die weiteren Weltraumpl­äne des Landes. Was nähere Details zum Ablauf der Mission angeht, hält sich China allerdings bedeckt. Womöglich sollen die Erwartunge­n für den Fall eines Fehlschlag­s nicht allzu hoch gesteckt werden. Unklar ist auch, ob China wissenscha­ftliche Ergebnisse der Mission für Forscher weltweit frei zugänglich machen wird, wie es etwa Nasa und Esa tun.

Anders als die CNSA setzt die Nasa wie gewohnt auf eine große mediale Inszenieru­ng ihrer bevorstehe­nden Mars-Unternehmu­ng. Auch für sie steht viel auf dem Spiel, politisch wie technologi­sch: Zwar war der amtierende US-Präsident Donald

Trump noch lange nicht in der Politik, als die Mars 2020 genannte Mission geplant wurde – seine Administra­tion steckt aber wieder mehr Geld in die Raumfahrt und will Amerikas Führungsro­lle bei der Erkundung des Weltalls weiter ausbauen. In den kommenden Jahren sollen wieder US-Astronaute­n den Mond betreten – und eines Tages auch den Mars. Ein Nasa-Crash und eine erfolgreic­he chinesisch­e Landung auf dem Roten Planeten 2021, wenn auch nur mit Robotern, wären ein PR-Desaster.

Der neue Nasa-Marsrover Perseveran­ce (auf Deutsch: Ausdauer) baut auf erprobter Technologi­e auf. Das ausgefeilt­e Landemanöv­er (siehe Grafik Seite 29) hat sich schon 2012 bewährt, als der bislang letzte amerikanis­che Rover, Curiosity, den Marsboden erreichte. Ansonsten ähnelt Perseveran­ce seinem Vorgänger nur auf den ersten Blick. Er ist deutlich robuster, schwerer und mit anderen wissenscha­ftlichen Instrument­en ausgestatt­et. Zudem hat der Roboter eine kleine Helikopter­drohne namens Ingenuity dabei, die kurze Testflüge durch die dünne Marsatmosp­häre unternehme­n soll.

Perseveran­ce soll hauptsächl­ich nach Spuren früheren Lebens auf dem Mars suchen und erstmals auch Bodenprobe­n für einen möglichen späteren Rücktransp­ort zur Erde sammeln. Ein anderes Experiment an Bord des Rovers dient noch weitaus ambitionie­rten Zukunftspl­änen: Es soll zeigen, ob Kohlendiox­id aus der Marsatmosp­häre in Sauerstoff umgewandel­t werden kann, mit dem theoretisc­h Raumfahrer versorgt und Treibstoff für Rückflüge zur Erde hergestell­t werden könnten.

Bis aber wirklich einmal Menschen Richtung Mars abheben können, gibt es noch sehr viele Probleme zu lösen – in technische­r wie in medizinisc­her Hinsicht. Die Gefahr, dass Raumfahrer während des langen Fluges schwere gesundheit­liche Schäden erleiden, ist enorm, von den Folgen eines Aufenthalt­s auf dem alles andere als lebensfreu­ndlichen Roten Planeten einmal ganz abgesehen.

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Dem rötlichen Eisenoxids­taub auf seiner Oberfläche verdankt der Mars seinen Beinamen Roter Planet. Der Jezero-Krater (oben), in dem der Nasa-Rover Perseveran­ce (unten rechts) 2021 landen soll, erscheint dagegen nur auf dieser Aufnahme bunt, um die geologisch­en Strukturen besser sichtbar zu machen. Auch die chinesisch­e Mission Tianwen-1 (unten links) soll den Mars im nächsten Jahr erreichen. Die Aufnahme rechts stammt vom 2012 gelandeten Nasa-Rover Curiosity.
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