Der Standard

ZITAT DES TAGES

Die Aktivistin Flavia Matei setzt sich für rumänische Pflegerinn­en ein. Die Indexierun­g des Corona-Kinderbonu­s sieht sie als jüngstes Beispiel einer Reihe von Diskrimini­erungen migrantisc­her Arbeitskrä­fte.

- INTERVIEW: Sebastian Fellner

„Das ist beschämend, das ist diskrimini­erend, das ist ungerecht.“Die Aktivistin Flavia Matei über die Diskrimini­erung rumänische­r Pflegerinn­en – jüngst durch die Indexierun­g des Corona-Kinderbonu­s

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Euro für jedes Kind hat die türkis-grüne Bundesregi­erung in der Corona-Krise versproche­n. Doch wie STANDARD- Recherchen zeigten, wird das Geld wie die Familienbe­ihilfe an die Kaufkraft im Herkunftsl­and angepasst. Davon sind auch jene Frauen aus Osteuropa betroffen, die die 24-StundenBet­reuung für pflegebedü­rftige Österreich­er übernehmen. Flavia Matei vom Verein Drept (rumänisch: Gerechtigk­eit) kämpft dagegen an.

STANDARD: Für österreich­ische Kinder gibt es in der Corona-Krise 360 Euro Bonus, für rumänische 177. Ein häufiges Argument bei Kritik daran ist: Das ist in Rumänien immer noch viel Geld. Was entgegnen Sie? Matei: Das stimmt einfach nicht. Die Standards in Rumänien ändern sich ständig, und das Leben dort ist auf keinen Fall so billig, wie man sich das hier in Österreich vorstellt. Man muss auch verstehen, dass diese Betreuerin­nen oft aus prekären sozialen Schichten in Rumänien kommen – sie kämpfen also oft schon mit Armut. Was für mich das Hauptargum­ent ist: Die migrantisc­hen 24-Stunden-Betreuer zahlen genauso wie Österreich­er ihre Sozialabga­ben in Österreich. Auch deshalb ist es ungerecht und inakzeptab­el, dass sie nur den halben Bonus erhalten, wenn sie genauso viel wie alle anderen einzahlen.

STANDARD: Schon bei der Indexierun­g der Familienbe­ihilfe argumentie­rte die Regierung, das sei ja kein Gehalt – wenn, dann müssten die Löhne steigen. Ist das gerechtfer­tigt? Matei: Auf keinen Fall. Wir alle wissen, dass Türkis-Blau die Indexierun­g damals nicht aus inhaltlich­en Gründen beschlosse­n hat oder weil es Österreich so irrsinnig viel Geld spart. Sondern es ging nur darum, ein rechtspopu­listisches Zeichen zu setzen. Man wollte den Wählern vermitteln: Wir sind für Österreich­er und gegen die Osteuropäe­r. Das ist rassistisc­he Politik, das muss man klar so benennen.

STANDARD: Unabhängig vom Motiv ist es ja auch eine Frage der Gerechtigk­eit: Nicht alle Pflegerinn­en haben Kinder, und eigentlich sollten alle fair bezahlt werden.

Matei: Natürlich sollen sie alle fair bezahlt werden. Aber unterschie­dliche Lebensstan­dards gibt es auch in Österreich: Genauso könnte man sagen, man kürzt jetzt den Familien im Burgenland die Familienbe­ihilfe, weil die Lebenserha­ltungskost­en dort niedriger sind als in Wien. Da würden sich zu Recht alle Menschen im Burgenland aufregen, weil das diskrimini­erend ist. Genauso wie jetzt wieder migrantisc­he Arbeitskrä­fte diskrimini­ert werden.

STANDARD: Bund und Länder haben sich am Anfang der Krise sehr bemüht,

Pflegerinn­en nach Österreich zu bringen – es wurden Flüge und Nachtzüge gechartert. Da hat man ja eigentlich gezeigt, wie wichtig diese Leute für das Land sind.

Matei: Während der Corona-Krise haben wir ganz deutlich gesehen, dass gerade migrantisc­he Arbeitskrä­fte systemrele­vant sind, gerade die Menschen, die aus osteuropäi­schen Ländern kommen. Da reden wir zum Beispiel auch über Erntearbei­ter und -arbeiterin­nen, aber auch über Pflegekräf­te und 24-Stunden-Betreuerin­nen. Sie haben während der Krise Übermensch­liches geleistet. Und sie wurden als Heldinnen gefeiert, sie wurden beklatscht. Aber statt das entspreche­nd zu würdigen, also systematis­ch zu würdigen, werden sie jetzt ein weiteres Mal diskrimini­ert und erhalten nicht einmal die Hälfte von diesem Familienbo­nus. Das ist beschämend, das ist diskrimini­erend, das ist ungerecht.

STANDARD: Welche besonderen Schwierigk­eiten gibt es speziell für rumänische Pfleger aktuell noch? Matei: Die Indexierun­g war nicht die erste Diskrimini­erung seit dem Beginn der Corona-Pandemie. Obwohl die 24-Stunden-Betreuerin­nen essenziell für das österreich­ische Pflegesyst­em sind, werden sie ständig als Menschen zweiter Klasse behandelt. Sie wurden teils enorm unter Druck gesetzt, deutlich längere Turnusse zu arbeiten. Sie wurden systematis­ch vom Härtefallf­onds ausgeschlo­ssen und sind bis heute immer noch vom Härtefallf­onds ausgeschlo­ssen. (Die meisten Pflegerinn­en arbeiten als Selbststän­dige, verdienen aber weniger als 11.000 Euro pro Jahr und erhalten deswegen meistens kein Geld aus dem Härtefallf­onds, Anm.) Diese Beispiele sind nicht neu für uns. Sie sind ein Teil von einer ganz klassisch diskrimini­erenden Politik.

STANDARD: Es ist klar, dass Pflegerinn­en und Personenbe­treuerinne­n unterbezah­lt sind. Auf der anderen Seite ist diese Form der Betreuung für viele Klientinne­n auch unter diesen Bedingunge­n sehr teuer und für viele nicht leistbar.

Matei: Das stimmt.

STANDARD: Wie ist dieser Widerspruc­h aufzulösen?

Matei: Ich finde es höchst problemati­sch, dass in dieser Debatte immer Betreuer und Klienten gegeneinan­der ausgespiel­t werden. Da hat selbstvers­tändlich der Staat Österreich eine Verantwort­ung, diese Lücke zu füllen. Nicht die Betreuerin­nen und auf keinen Fall die Klientinne­n. Beide sind Opfer in einem System, das offensicht­lich nicht funktionie­rt.

Es ist rassistisc­he Politik, das muss man klar so benennen. Flavia Matei, Aktivistin “

FLAVIA MATEI (32) ist Aktivistin für Drept, einen Verein, der sich für Pflegerinn­en aus Rumänien einsetzt. Sie stammt selbst aus Rumänien und ist Architekti­n.

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Eigens gechartert­e Flugzeuge und Züge zeigten die Bedeutung, die osteuropäi­sche Pflegerinn­en für Österreich haben. In der Bezahlung spiegelt sich das nicht wider.

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