Der Standard

Ein bisschen frech und recht loyal

Die Grünen scheinen langsam ihren Stil als Regierungs­partei zu finden

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Fabian Schmid, Sebastian Fellner

Das Ergebnis war selbst für eingefleis­chte Fans von GrünenChef Werner Kogler überrasche­nd: 93,18 Prozent der Delegierte­n stimmten vergangene­n Jänner am Bundeskong­ress der Grünen für den Koalitions­pakt, der eine neue türkis-grüne Ära begründen sollte. Interne Kritik an den Vorhaben gab es höchstens vereinzelt, in Interviews wurden strittige Punkte wie die Sicherungs­haft oder der „koalitions­freie“Mechanismu­s in einer Flüchtling­skrise umschifft. Und dann kam Corona: Die Reihen der Grünen schlossen sich noch mehr, Gesundheit­sminister Rudolf Anschober avancierte zu einem der beliebtest­en Minister.

Gleichzeit­ig musste Kogler die erste realpoliti­sche Niederlage verbuchen. Seine Staatssekr­etärin Ulrike Lunacek gab nach massiven Protesten aus der Kunst- und Kulturszen­e wegen fehlender Unterstütz­ung in der Corona-Pandemie auf. Einmal mehr zeigte sich: Gerade jene Milieus, die als Hoheitsgeb­iet der Grünen gelten, konnten mit dem neuen, türkis eingefärbt­en Stil oft wenig anfangen.

Eine Prise weniger Rücksicht

In dieser Phase, in der die Corona-Pandemie langsam an Drastik verlor, begannen die Grünen, wieder ein eigenständ­iges Profil zu entwickeln. Dafür gibt es mehrere Beispiele: Im Ibiza-U-Ausschuss nahmen Nina Tomaselli und David Stögmüller nur wenig Rücksicht auf türkise Befindlich­keiten. Tourismuss­precherin Barbara Neßler sparte nicht mit Kritik, als es um die Corona-Teststrate­gie des türkisen Tourismusm­inisterium­s ging: „PRShow“, kommentier­te Neßler.

Der neue Mut der Grünen bestand nicht nur aus Wortmeldun­gen. Das zum Gesundheit­sministeri­um ressortier­ende Bundesamt für Sicherheit im Gesundheit­swesen erlaubte eine breitere Zulassung der „Abtreibung­spille“Mifegyne – zum Ärger recht konservati­ver Kreise in der ÖVP und zur Freude der grünen Frauenspre­cherin Meri Disoski. Der Juniorpart­ner in der Regierung konnte zwar nicht verhindern, dass der Corona-Kinderbonu­s indexiert ist und für Eltern mit Kind im Ausland also geringer ausfällt – dem Vernehmen nach wollte die ÖVP den Bonus für diese Gruppe aber gar nicht auszahlen.

Den wohl riskantest­en Vorstoß lieferte Justizmini­sterin Alma Zadić mit der Demontage von Sektionsch­ef Christian Pilnacek. Der genoss bei der ÖVP stets ein hohes Ansehen, bei vielen anderen allerdings nicht. Nun schaut die ÖVP mit Argusaugen darauf, wer im Justizmini­sterium die Fachaufsic­ht über die Staatsanwa­ltschaften übernimmt.

Bei der Basis kommt dieser aufmüpfige­re Stil besser an: kritische Wortmeldun­gen als Ventil, um Dampf abzulassen.

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Grünen-Chef Werner Kogler führte seine Partei von der außerparla­mentarisch­en Opposition in die Regierung. Das verlief nicht nur friktionsf­rei.

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