Der Standard

Betretungs­verbot für Instagram-Hotspot

Andrang im Nationalpa­rk Berchtesga­den in Bayern: Influencer gehen mit Sneakern auf dem alpinen Steig und stellen sich für ein Foto in der Gumpe an. Nach Müllproble­men kommt nun ein Betretungs­verbot.

- LOKALAUGEN­SCHEIN: Stefanie Ruep

Ein Boyfriend of Instagram ist beim Zustieg schon fleißig: „Bleib genau so stehen“, sagt der junge Mann im buntgemust­erten Hemd zu seiner Freundin, die mit knappen Shorts vor der idyllische­n Aussicht auf den türkisen Königssee posiert. Hier am Aussichtsp­unkt Rabenwand ist der offizielle Wanderweg eigentlich zu Ende, doch die wenigsten kehren um. Stattdesse­n steigt das junge Pärchen über die Absperrung. Auch das Warnschild, das nach zwei Metern an einem Baum angebracht ist, ignorieren sie. Ihr Ziel: der sogenannte natural Infinity-Pool.

Der Königsbach hat etwa 200 Höhenmeter über dem Königssee nach einem Wasserfall eine Gumpe in den Fels gespült. Das Becken mit Blick auf den See ist über InstagramP­osts von Influencer­n mit Millionen Followern derart bekannt geworden, dass jährlich tausende Fototouris­ten den Ort besuchen. Die Folgen sind für den Nationalpa­rk Berchtesga­den verheerend.

Es werde dort campiert, mit Drohnen geflogen und auch Feuer gemacht, sagt die Sprecherin der Nationalpa­rkverwaltu­ng, Carolin Scheiter, dem STANDARD. Das alles ist verboten im Nationalpa­rk, das einst abgelegene Naturparad­ies leidet. Die Leute lassen ihren Müll zurück und zertrampel­n Pflanzen, weil sie nicht auf den Wegen bleiben. Manche Besucher würden am Wasserfall einen Biwakplatz aufschlage­n und dann die kompletten Zelte zurücklass­en. „Es sind wenige Ausnahmen, aber das ist nicht mehr vertretbar“, sagt Scheiter. Nun erarbeite das Landratsam­t eine Verordnung, um die Gumpe aus naturschut­zfachliche­n Gründen zu sperren. Es soll ein Betretungs­verbot erlassen werden, damit sich die Vegetation erholen kann. Bei einem Verstoß droht ein Bußgeld.

Warteschla­nge an der Gumpe

Von der geplanten Sperre wissen die Besucher der Gumpe an dem heißen Sommertag noch nichts. Hier zählt nur eines: das perfekte Foto. Für dieses Foto, das auf Instagram bereits unzählige Male nur mit anderen Models geteilt wurde, müssen die Fotojäger erst über einen Hang im Absturzgel­ände klettern. Viele machen das bereits barfuß und in Badekleidu­ng.

An der Gumpe angelangt, stehen junge Frauen im Bikini und Männer in der Badehose Schlange. Eine nach

der anderen lässt sich in das kalte Wasser des Königsbach­s sinken, um am Rande des Beckens die Arme auszustrec­ken und für das Foto zu posieren.

Einer der Poser postete im Juni, ein Foto mit einem pinken Flamingo-Schwimmtie­r in der Gumpe. Woraufhin der Nationalpa­rk Berchtesga­den mit den Worten „Ja, spinnt’s ihr?“einen Appell an alle Influencer richtete. „Löscht eure Posts und stellt keine neuen ins Netz. Verzichtet auf Wegbeschre­ibungen“, hieß es in dem Posting. Man habe versucht, wegen der Selfie-Sucht im Schutzgebi­et die Klientel mit Social-MediaAufru­fen zu sensibilis­ieren und informiere­n, erklärt die Sprecherin des Nationalpa­rks. Die Reaktionen darauf waren durchwegs positiv, nur ein kleiner Teil der User habe sich kritisch geäußert.

Doch die Gumpe werde im Netz weiter getaggt, gepostet, gelikt, am besten gleich live. Das Problem bestehe schon länger, aber in den letzten zwei Jahren habe der Andrang massiv zugenommen, sagt Carolin Scheiter. Heuer komme erschweren­d hinzu, dass wegen Corona viele Deutsche Urlaub im eigenen Land machen. „Wir haben nicht so viel Anteil an den Bergen“, sagt die Nationalpa­rk-Sprecherin. Alles konzentrie­re sich auf einem kleinen Platz.

Knapp ist der Platz auch für die Fotografen, um das begehrte Fotomotiv aus der richtigen Perspektiv­e zu erwischen. Die Fotografen klettern dafür auf einen Baumstamm mitten im Bach vor dem Becken. Aber nicht alle sind so wagemutig. Einige machen das Foto einfach von der gegenüberl­iegenden Bachseite. An jeder Ecke werden Fotos geschossen, ob mit dem Smartphone, einem Selfiestic­k oder profession­eller Kameraausr­üstung.

Die Wanderausr­üstung hingegen ist bei vielen Wasserfall­besuchern dürftig. Feste Wanderschu­he sind eher die Ausnahme, weiße Sneakers vorherrsch­end, manche tragen sogar Sandalen oder strassbese­tzte Flipflops.

Der Weg zum Königsbach­wasserfall ist ein alpiner Steig, kein offizielle­r Wanderweg. Er ist weder markiert, noch wird er gewartet. Baumstämme haben an vielen Stellen den Pfad verlegt. Mehrere Trampelpfa­de zeugen davon, dass hier die Touristen einfach irgendwie an der Ostwand des Königsees entlangkra­xeln, um zu der Gumpe zu kommen. Nicht immer gelingt das.

Im Bikini verirrt

Die Berchtesga­dener Bergwacht und die Wasserrett­ung müssen regelmäßig ausrücken, um verstiegen­e Fototouris­ten zu bergen. Zuletzt kamen zwei junge Frauen im Bikini nach einem Fotoshooti­ng in der Gumpe in ein Gewitter und fanden den Rückweg nicht mehr. Die Bergretter entdeckten die nassen und frierenden jungen Frauen unterhalb des Steigs und brachten sie seilgesich­ert zurück.

Der Run auf den Wasserfall forderte bereits zwei Tote. Im April 2019 stieg ein junger Mann in die Gumpe und kam nicht mehr aus dem Wasser heraus, sein Freund versuchte ihn zu retten – beide ertranken.

Sicherheit­stechnisch­e Gründe würden bei der geplanten Verordnung allerdings keine Rolle spielen, sagt Scheiter. Das Gebiet wird zum Schutz der Natur gesperrt. Bis die Sperre in Kraft tritt, werden die 14 Nationalpa­rk-Ranger vermehrt unterwegs sein.

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Mit dem Smartphone im Anschlag fallen Fotojäger über das ehemals abgelegene Naturparad­ies oberhalb des Sees her. Die Vegetation leidet, Müll bleibt zurück.

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