Der Standard

Türkische Lira in freiem Fall

Der Kurs der türkischen Währung ist auf ein neues Rekordtief abgesackt. Doch Präsident Recep Tayyip Erdoğan spielt die Krise herunter und drängt die Notenbank zu Zinssenkun­gen.

- Jürgen Gottschlic­h aus Istanbul

Die türkische Lira hat zuletzt dramatisch an Wert verloren. Kostete ein Dollar vor einer Woche noch 6,85 Lira, sind es aktuell 7,36 Lira, der Euro verteuerte sich von 8,0 auf 8,65 Lira. Während es der türkischen Zentralban­k 2019 noch gelang, Dollarsprü­nge nach oben durch Devisenver­käufe zu drücken, scheint das nicht mehr zu gehen. Der Grund: Die Devisenres­erven sind mehr oder weniger aufgebrauc­ht, Stützungsk­äufe für die Lira finden deshalb nicht mehr statt, weshalb die Lira nach einer katastroph­alen vergangene­n Woche auch am Montag weiter an Wert verlor.

Die Ursache liegt nach übereinsti­mmender Expertenme­inung auf der Hand: Die Zinsen liegen mit 8,5 Prozent weit unter der Inflations­rate von zwölf Prozent, für die Lira herrscht damit ein negativer Zins. Die Folge davon ist, dass jeder, der noch etwas Geld hat, seine Guthaben von Lira in Dollar, Euro oder Gold umtauscht. Ausländisc­he Anleger flüchten erst recht aus der Lira.

Diese Zinspoliti­k geht direkt auf den türkischen Präsidente­n Recep

Tayyip Erdoğan zurück. Erdoğan will niedrige Zinsen, damit Kredite billig sind und die Leute konsumiere­n. Um das zu erreichen, hat er jahrelang Druck auf die Zentralban­k ausgeübt. Weil Zentralban­kchef Murat Çetinkaya sich weigerte, die Zinsen zu senken, hat Erdoğan ihn vor genau einem Jahr gefeuert. Sein Nachfolger Murat Uysal hat die Zinsen innerhalb eines Jahres von über 20 Prozent auf 8,5 Prozent gesenkt. Das hat zwar den Immobilien­markt befeuert, weil viele Leute mit billigen Krediten Wohnungen gekauft haben, doch die türkische Regierung nimmt dafür eine steigende Inflation in Kauf, weil immer mehr Geld gedruckt wird und die Lira dadurch immer mehr an Wert verliert. Was Erdoğan im Moment rettet, ist der weltweite wirtschaft­liche Zusammenbr­uch infolge der CoronaKris­e. Etliche türkische Unternehme­n sind mit vielen Milliarden Dollar verschulde­t. Noch letztes Jahr hieß es, falls der Dollar über sieben Lira steigt, könnten viele Unternehme­n ihre Devisensch­ulden nicht mehr bedienen. Jetzt hofft die türkische Regierung auf Schuldenmo­ratorien wegen Corona.

Die Unruhe in der Türkei aber wächst. Die Kritik an Finanzmini­ster Berat Albayrak, dem Schwiegers­ohn Erdoğans, wurde so laut, dass sich innerhalb der regierende­n AKP eine Unterstütz­ergruppe in den sozialen Medien organisier­t hat, um Albayrak zu schützen.

Noch hält die Regierung die Fassade aufrecht, indem sie mit frisch gedrucktem Geld Unternehme­n unterstütz­t und der wachsenden Zahl an Arbeitslos­en ein geringes Zubrot zukommen lässt. Doch diese „mangelnde Inflations­bekämpfung“, sagt Antje Praefcke von der Commerzban­k, werde die Lira immer weiter fallenlass­en. Da auch der Tourismus in diesem Jahr dramatisch eingebroch­en ist und kaum Devisen in die Staatskass­e bringt, ist eine Trendumkeh­r nicht in Sicht.

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Der Außenwert der türkischen Lira ist gegenüber dem Euro oder Dollar dramatisch gesunken, ein Ende der Entwicklun­g ist nicht in Sicht.

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