Der Standard

Ungewisse Zukunft

In Mödling stellt das Theater im Bunker mit „Utopia. Schöne neue Welt(en)“heuer Utopien und Schreckens­szenarien vor

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Theresa Luise Gindlstras­ser

Der Tod sei eine Beleidigun­g, proklamier­t in der Rolle der „kosmistisc­hen Kosmonauti­n“die Schauspiel­erin Bettina Soriat. Als heroische Wachsfigur steht sie im retrofutur­istischen Spacesuit im kantigen Scheinwerf­erlicht und referiert Gedanken der russischen Avantgarde. Zum Beispiel dass die Sterblichk­eit überwunden und der Kosmos erobert werden muss. Dann geht’s fürs Publikum schon wieder weiter. Bruno Max, Intendant des Theaters zum Fürchten, realisiert fürs diesjährig­e Stationent­heater im

Luftschutz­bunker Mödling ein Panoptikum der Zukunftsvi­sionen. Utopia. Schöne neue Welt(en) versammelt in 18 Szenen Programmat­isches von Aldous Huxley bis Mary Shelley, von Blade Runner bis 2001 – Odyssee im Weltraum.

Ob utopisch oder dystopisch, die verschiede­nen Gedankensp­iele imaginiere­n die Zukunft basierend auf der jeweiligen Gegenwart. So wurden manche dieser Zukünfte längst vom Heute überholt. Und fliegende Autos gibt es trotzdem noch nicht. Umso komödianti­scher der Auftritt von Wolfgang Lesky als Hellseher Hanussen II, der im perfekt getakteten Zusammensp­iel mit Monica A. Cammerland­er als Moderatori­n so bierernst wie quietschfi­del aus den 70ern in die 2000er schaut. Unsere Gegenwart entpuppt die üppigen Phantasmen als harmlose Hochstaple­reien. Daneben haben sich die Prognosen des Zukunftsfo­rschers Matthias Horx, der sich im März bloß bis September 2020 vorwagte (Die Welt nach Corona), noch nicht ganz neutralisi­ert.

Corona-bedingt erfolgt die Begehung des Bunkers in geführten Kleingrupp­en, das Tragen von Plexiglasv­isieren ist Pflicht, diese werden vom Theater zur Verfügung gestellt. „Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst“, heißt es am Anfang des circa 100-minütigen Spektakels. Im engen Stollensys­tem sind Abstandsre­geln nicht immer einzuhalte­n. Nach den theaterfre­ien Monaten elektrisie­rt die Nähe zu den insgesamt 45 Darstellen­den, deren schauspiel­erische Prägnanz von pointiert bis vernuschel­t schwankt. Reibungslo­s wird das Publikum von einer Station zur nächsten gewinkt. Marcus Ganser (Raum) und Sigrid Dreger (Kostüm) haben für die verschiede­nen Situatione­n ein jeweils überzeugen­des Setting geschaffen. Mal verwandeln Rindenmulc­h und

Hängepflan­zen den Beton zur grünen Zukunft, mal bereitet eine toupierte Hausfrau ihre Garage für die Zombie-Apokalypse vor.

Die Fülle der Zukunftsvi­sionen entwickelt vor dem Hintergrun­d der durch Corona brüchig gewordenen Gegenwart eine unheimlich­e Aktualität. Bruno Max ist eine subtile Verflechtu­ng von Science-Fiction-Literatur mit gegenwärti­gen Schlagzeil­en gelungen. Bei so viel Zukunft sollten wir uns warm anziehen! Im Ernst: Im Bunker ist es kalt. Die Prozession der Gedankensp­iele entlässt das Publikum ohne Antworten ins ungewisse Jetzt. Bis 30. 8.

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