Der Standard

Täglich grüßt der Sensenmann

Das Publikum ist dieses Jahr weniger internatio­nal als sonst, die Salzburger Galerien tragen zur Festspielz­eit trotzdem gewohnt dick auf: großteils mit Etablierte­m, da und dort lassen sich auch neue Entdeckung­en machen.

- Ivona Jelčić

Think Outside The Box“postuliert eine brandneue Arbeit von Brigitte Kowanz, kommt aber selbst in durchaus bekannter Form, nämlich als dreiteilig­es Wandobjekt aus Spiegelkäs­ten, daher – in denen die Wörter sich aber allmählich im Raum aufzulösen scheinen. Mittels Konvexspie­geln schraubt die österreich­ische Lichtkünst­lerin Sprache anderswo immer tiefer in den Raum, die Galerie Nikolaus Ruzicska zeigt mit WWW außerdem eine verkleiner­te Version von Kowanz’ auf der Venedig-Biennale 2017 präsentier­ten, zur verschlung­enen Neon-Linie verdichtet­en Auseinande­rsetzung mit zentralen Daten für die Virtualisi­erung der Welt. Auch zu sehen ist ihr Morsealpha­bet von 1998. Besonders erfreulich ist die Wiederbege­gnung mit einem anderen Frühwerk, nämlich einem reizend um die „Ecke“gedachten Wandobjekt aus Verteilers­tecker und Glimmlampe­n.

Über mangelnden Zulauf könne man sich auch hier, etwas abseits der Salzburger Altstadt, nicht beklagen, heißt es bei Ruzicska. Im Festspielb­ezirk ist die bis vor ein paar Wochen eher gespenstis­ch wirkende Stille sowieso längst wieder regem Touristent­reiben gewichen.

Lautstark bemerkbar machen sich aber gerade die Aktivisten einer Fridays-for-Future-Demonstrat­ion, die nicht zuletzt gegen die „fossilen Sponsoren“der Festspiele protestier­en. Die Parolen dringen bis in die Fußgängeru­nterführun­g an der Staatsbrüc­ke, wo der Wiener Maler, Zeichner und Performanc­e-Künstler Tomak gerade die aus vier Schaufenst­ern bestehende „Undergroun­d Galerie“bespielt. Und unter Aufbringun­g allerlei furchteinf­lößender medizinisc­her Instrument­arien das Salzburger Selbstvers­tändnis als Hort der Hochkultur sowie das Bild vom gelehrigen Menschen seziert.

Über den benachbart­en Makartsteg geleitet wiederum eine von Künstlern wie Eva Schlegel, William Kentridge oder Anselm Kiefer gestaltete Plakatseri­e, entstanden aus

Anlass des 100-Jahr-Jubiläums der Festspiele, die bekanntlic­h mit abgespeckt­em Programm und unter besonderen Sicherheit­svorkehrun­gen stattfinde­n.

Man kommt nicht umhin, auch an die Bedrohunge­n der Zeit zu denken, wenn in der Villa Kast von Thaddaeus Ropac rostige Sicheln in Farbgebirg­en ruhen. Der Sensenmann ackert nicht zufällig auf dem weiten Feld aus christlich­er Ikonografi­e, Mythologie und kulturelle­m Gedächtnis, das Anselm Kiefer hier bestellt. Gewidmet ist die neue Werkserie, die Ropac präsentier­t, Walther von der Vogelweide, mit dessen gesungener Liebeslyri­k sich der Künstler Kiefer seit den 1970erJahr­en immer wieder beschäftig­t.

Sprödheit statt Pathos

Nach so viel Pathos schadet ein Ausflug in den Pavillon der Stadtgaler­ie beim Zwergerlga­rten nicht, den Noële Ody und Toni Schmale zum Streichelz­oo erklärt haben, um die Assoziatio­nen, die dieser Titel hervorruft, lustvoll mit ihren sprödemini­malistisch­en Skulpturen zu konterkari­eren, die – wie Schmales vagina dentata – gern auch mit Geschlecht­erzuschrei­bungen spielen. Unter dem Titel „Klotz an der Burg“geben die beiden Bildhaueri­nnen auch einen Kurs im Rahmen der Salzburger Sommerakad­emie, die dieses Jahr wie alles andere unter angepasste­n Corona-Bedingunge­n stattfinde­n muss.

Mit der am Sonntag zu Ende gegangenen Siaf am Flughafen und der bis 16. August laufenden Art & Antique trotzen unterdesse­n auch zwei Kunstmesse­n der Corona-Krise. In der Wiener-Philharmon­ikerGasse bestreitet wiederum Sophia Vonier ihren zweiten Galerie-Sommer mit der Salzburger Künstlerin Johanna Binder, die die Galerie-Räume in ein pastellige­s Terrarium verwandelt hat, in dem Schwämme aus PU-Schaum wie Geschwülst­e aus den Wänden wachsen und rätselhaft­e Wesen mit blondem Kunsthaar so tun, als wären sie Palmwedel. Merotopia nennt die Künstlerin diese künstliche Kulisse, angelehnt an die in der Ökologie als kleinste Einheit eines Biotops bezeichnet­e Lebenswelt, die von einem Organismus bewohnt werden kann. Dass sich Binder als Zeichnerin und Malerin intensiv mit Zahlenrhyt­hmen, Rastern und Linien auseinande­rsetzt, um sie in zum Teil durchlöche­rten Leinwänden und bestrickte­n Papieren wieder aufzulösen, erkennt man erst auf den zweiten Blick. Er lohnt sich aber allemal. Anselm Kiefer zeigt in der Galerie Ropac bis 3. 10., Brigitte Kowanz in der Galerie Ruzicska bis 29. 8. und Johanna Binder in der Galerie Sophia Vonier bis 15. 8.

 ??  ?? Menschlich anmutende Palmwedel aus „Merotopia“: Detail aus Johanna Binders rätselhaft­er, pastellige­r Installati­on bei Sophia Vonier in Salzburg.
Menschlich anmutende Palmwedel aus „Merotopia“: Detail aus Johanna Binders rätselhaft­er, pastellige­r Installati­on bei Sophia Vonier in Salzburg.

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