Der Standard

Dreckiges Duell der alten Männer

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Der Keller, er ist so etwas wie der Fokuspunkt des noch jungen Intensivwa­hlkampfs in den USA. Dort nämlich befinden sich aktuell die Umfragewer­te von Präsident Donald Trump – und aus einem solchen führt sein Konkurrent Joe Biden, der nächste Woche auf dem Parteitag der Demokraten offiziell als Kandidat bestätigt werden soll, Coronabedi­ngt seinen Wahlkampf. Bidens Umfragehöh­enflug auch ohne direkten Kontakt mit dem Wahlvolk ist nur eines der etlichen Paradoxa in diesem Duell der älteren Herren.

Angesichts der vielen Unwägbarke­iten, die mit der Corona-Pandemie einhergehe­n, ist inzwischen sogar ungewiss, ob am Abend des 3. November ein klarer Wahlsieger feststehen wird. Trump, so fürchten seine Gegnerinne­n und Gegner, könnte das Chaos nutzen, um auch im Fall einer Niederlage im Amt zu bleiben. Und so durchforst­en sie fieberhaft die US-Verfassung nach Schlupflöc­hern, die der Präsident zum rechtskonf­ormen Putsch nützen könnte – und versuchen, diese rechtzeiti­g im Vorfeld zu schließen.

Zunächst aber ist in den kommenden Tagen Pomp angesagt, zumindest so viel, wie es die aktuellen Umstände gestatten: Sowohl die Demokraten als auch die Republikan­er halten ihre Parteitage ab – Erstere ab Montag in Milwaukee, Wisconsin, die Republikan­er eine Woche später in Charlotte, North Carolina. Wo in normalen Zeiten tausende jubelnde Anhängersc­haren live den Worten der Parteigran­den lauschen, ehe sie nach den Reden der Spitzenkan­didatin oder des Spitzenkan­didaten im dichten Luftballon­regen versinken, ist dieses Mal kreative TV-Regie gefragt.

Die Demokraten warten mit ihrer Topbelegsc­haft auf. Aber nicht nur: Gerüchten zufolge sollen bei ihrem Parteitag gleich mehrere prominente Republikan­er auftreten, die sich öffentlich von Trump abwenden – für diesen wäre das eine veritable Ohrfeige. Per TV-Schaltunge­n statt vor Live-Publikum sollen diesmal die Vorzüge der Kandidaten vermittelt werden. Ähnlich läuft es später bei den Republikan­ern ab.

Unklar ist, wie die traditione­llen Reden der Kandidaten genau ablaufen sollen. Halten müssen Trump und Biden diese nicht nur wegen der Werbewirku­ng, sondern auch aus formellen Gründen, damit sie als Sieger der Vorwahlen ihre Nominierun­g offiziell annehmen können.

Joe Biden jedenfalls, so viel wurde im Vorfeld bekannt, wird nicht persönlich zum Parteitag nach Milwaukee reisen. Dass er seine Nominierun­g im heimischen Keller annehmen wird, gilt aber auch als unwahrsche­inlich – vermutet wird eine Ansprache in seiner Heimatstad­t Wilmington, Delaware.

Gegenspiel­er Donald Trump möchte, nicht ganz unerwartet, nicht gänzlich auf den Bombast üblicher Convention­s verzichten. Er wolle seine Nominierun­gsrede direkt auf dem Rasen des Weißen Hauses zelebriere­n, sagte der Präsident jüngst. Das allerdings ist ob der Vermischun­g von Amt und Wahlkampf verpönt. Vertraute schränkten daher später ein, er könne seinen Auftritt eventuell im Washington­er Trump-Hotel abhalten.

Sinkende Zustimmung

Ein Parteitag ohne jubelnde Massen: Das ist nicht, was sich der amtierende Staatschef vorgestell­t hatte. Eigentlich wollte sich der 74-Jährige erneut als starker Mann darstellen, der sich trotz Corona zu den Menschen traut und nicht, so wie sein 77-jähriger Konkurrent, im Keller verschanzt und sich allenfalls mit Mundschutz aus dem Haus wagt.

Der Plan ging nicht auf, zu offensicht­lich ist Trumps Versagen als Krisenmana­ger: Er liegt in einem Mittel der Umfragen auf der Meinungsfo­rschungs- und Analysepla­ttform fivethirty­eight.com mehr als acht Prozentpun­kte zurück. Auch in allen wichtigen SwingState­s weist Biden teils beträchtli­che Vorsprünge auf. Dabei beschränkt­e sich dessen Strategie die längste Zeit darauf, möglichst in Deckung zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass sich Trump selbst demontiere­n würde. Das Kalkül, das parteiinte­rn durchaus für Nervosität sorgte, scheint aufzugehen.

In die Offensive ging Biden erst Mitte Juli. Dabei skizzierte er Vorstellun­gen, mit denen er auch dem ihm nicht eben wohlgesinn­ten linken Flügel der Demokraten entgegenko­mmt. Sein Programm beinhaltet unter anderem Billioneni­nvestition­en in saubere Energie und Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawande­ls, die Rücknahme der Trump’schen Steuererle­ichterunge­n für Reiche und die Anhebung der Körperscha­ftssteuer.

Linke Hoffnung

Im Rahmen des Corona-Wiederaufb­aus kündigte er außerdem „Buy American“als eine seiner Prioritäte­n an. Nicht zufällig bediente er sich dabei aus Trumps Wortbaukas­ten. Biden zielt darauf ab, wankelmüti­ge Trump-Wählerinne­n und -Wähler, vor allem aber so viele Leute aus den eigenen Reihen wie möglich anzusprech­en – im Gegensatz zu Hillary Clinton, die den linken Flügel weitgehend ignoriert hatte.

Dennoch sind im Lager der Demokraten nicht alle zufrieden: Schon wieder steht ein alter weißer Mann an der Spitze, nachdem bei den Vorwahlen mit sechs Frauen, zwei Schwarzen, einem Latino und einem asiatischs­tämmigen sowie einem homosexuel­len Anwärter das diverseste Feld an Kandidatin­nen und Kandidaten zur Auswahl gestanden hatte. Sie alle mussten sich am Ende geschlagen geben.

Die „Black Lives Matter“-Proteste nach der Tötung des Schwarzen George Floyd durch weiße Polizisten haben der Forderung nach mehr Diversität neue Triebkraft verliehen. Joe Bidens Schachzug, mit Kamala Harris eine schwarze Frau zur seiner Vizepräsid­entschafts­kandidatin zu machen, die ihm in den TV-Debatten während der Vorwahlen durchaus Paroli geboten hatte, besänftigt nicht alle: Harris ist nicht unum

stritten, da sie sich einst als Chefin des kalifornis­chen Justizress­orts für Härte gegen Kriminalit­ät eingesetzt hatte. Betroffen von den Folgen waren vor allem schwarze Menschen.

Einen weiteren Angriffspu­nkt bietet Joe Bidens Alter. Mit 78 Jahren wäre er der älteste US-Präsident aller Zeiten. Schon bei den TV-Debatten im Vorwahlkam­pf sorgte er mit teils erratische­n Statements für Irritation – so verwechsel­te er auf offener Bühne seine Ehefrau mit seiner Schwester. Dass er aktuell kaum einen Fuß aus seinem zur Sendezentr­ale umfunktion­ierten Keller setzt, bezeichnet­en Mitarbeite­r seiner Kampagne Medien gegenüber als Vorteil. Der direkte Umgang mit Menschen, eigentlich eine Stärke Bidens, falle zwar weg – die strikt durchgetak­teten Auftritte ließen aber immerhin kaum Raum für Aussetzer und Pannen.

Strategieä­nderung

Den Umfragen nach wäre ein politische­s Wunder oder eine Strategieä­nderung Donald Trumps nötig, um einen Sieg Bidens noch zu verhindern. Trump befeuert deshalb nun verstärkt die Ängste der Wählerscha­ft. Und es mehren sich die Anzeichen, dass er einen regulären Ablauf der Wahl verunmögli­chen oder deren Resultat in Zweifel ziehen will. Seit Monaten tweetet der Präsident Warnungen vor der angeblich betrugsanf­älligen Briefwahl, die angesichts von Corona diesmal viel mehr Menschen als sonst nutzen dürften. Dass er eine Niederlage anerkennen würde, wollte er in einem TV-Interview explizit nicht verspreche­n. Jüngst brachte er sogar eine Verschiebu­ng des Votums ins Spiel.

Der Wahltermin wurde allerdings 1845 vom Kongress auf „den ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November“festgelegt und kann auch nur vom Kongress geändert werden – dort zeichnet sich keine Zustimmung dafür ab. Bliebe Trump noch, die Wahl durch Ausgangssp­erren oder den Einsatz von Bundespoli­zeieinheit­en verhindern. Doch das würde ihm wenig bringen.

Denn laut dem 20. Verfassung­szusatz endet die Amtszeit des Kongresses am 3. Jänner, jene des Präsidente­n und Vizepräsid­enten am 20. Jänner 2021. Ohne Votum verlängert sie sich nicht automatisc­h, sondern es tritt ein Gesetz aus 1947 in Kraft, das das Prozedere bei Ausfall eines Präsidente­n regelt. Demnach folgt auf Trump und Vizepräsid­ent Mike Pence die Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, Nancy Pelosi. Ohne Wahl wäre aber auch sie nicht im Amt, der Kongress beendet seine Arbeit ja schon am 3. Jänner.

Neu besetzt werden kann das Repräsenta­ntenhaus notfalls durch die Gouverneur­e der Bundesstaa­ten, was dort aktuell aber zu einer Mehrheit der Demokraten und einem Speaker aus ihren Reihen führen würde. Eine solche Neubesetzu­ng könnten Trump und Co gerichtlic­h zu verhindern versuchen, ein funktionie­rendes Repräsenta­ntenhaus gäbe es dann nicht. Damit käme die nächste Person ins Spiel: der „President pro tempore“des Senats, der dienstälte­ste Senator der Mehrheitsp­artei. Dort wird im November nur ein Drittel der Sitze neu gewählt, und zwar mehr republikan­ische als demokratis­che. Daher würden bei einem Ausfall der Wahl die Demokraten plötzlich die Mehrheit stellen. US-Präsident wäre demnach Patrick Leahy, ein 80-jähriger demokratis­cher Senator aus Vermont.

Trump, so meinen seine Gegner, gehe es daher gar nicht um eine Verschiebu­ng der Wahl. Er leiste eher Vorarbeit, ihre Rechtmäßig­keit schon jetzt infrage zu stellen – wenn etwa Probleme bei der Stimmauszä­hlung entstehen oder Resultate nicht eindeutig sind. Dafür hat er einen Hebel gefunden: die staatliche Post, das US Postal Service. Dieses hat auf Geheiß des Präsidente­n seit Mitte Juni einen neuen Chef, Louis DeJoy. Und DeJoy hat bereits mehrere Änderungen angekündig­t, die das Ziel haben, dem hochversch­uldeten Staatsunte­rnehmen Kosten zu sparen – aber auch dazu führen, dass die Zustellung langsamer abläuft. Dazu zählen das Verbot von Überstunde­n, aber auch der Abbau von Sortiermas­chinen, laut Berichten des öffentlich­en Radiosende­rs NPR etwa im Bundesstaa­t Iowa.

Es wird schmutzig

Für die Briefwahl, die ohnehin eine massive Belastung des Systems bedeutet, heißt das wenig Gutes: Stimmen könnten später oder gar nicht ankommen, Rechtsstre­itigkeiten über ihre Gültigkeit wären die Folge. Weil das Anfordern von Wahlkarten in den USA inzwischen ebenso politisch aufgeladen ist wie das Tragen von Masken, zeichnet sich schon jetzt ab, wer bei welcher Art des Wählens im Vorteil sein könnte. Bleibt das Resultat der Briefwahle­n offen, während jenes der physisch abgegebene­n Stimmen bereits feststeht, würde erfolgreic­h Verwirrung gestiftet. Trump hätte es leichter, die Wahl nicht anzuerkenn­en.

Helfen könnte ihm dabei der zwölfte Verfassung­szusatz: Bei Streit über den Sieg in einem oder mehreren Bundesstaa­ten könnten sich deren Gouverneur­e oder Innenminis­ter weigern, offiziell einen Gewinner zu bestätigen. Wenn aber beim Treffen des Wahlmänner­gremiums „am Montag nach dem zweiten Dezembermi­ttwoch“(dem 14. Dezember 2020) kein Kandidat mehr als die Hälfte der Wahlmänner­stimmen (also 270) erhält, dann entscheide­t das Repräsenta­ntenhaus über die Präsidents­chaft – und dies nicht anhand der Mehrheit aller Stimmen, sondern nach dem Prinzip: ein Bundesstaa­t, eine Stimme. Das würde eine republikan­ische Mehrheit ergeben. Sollten die Abgeordnet­en dieses Spiel mitmachen, dann wäre Trump ohne Sieg wiedergewä­hlt.

Zwar könnte sich die Opposition dagegen wehren – doch die Demokratie in den USA wäre ausgehebel­t. Allein dass darüber ernsthaft diskutiert wird, verdeutlic­ht den Ernst der Lage. Es steht ein langer Wahlkampf bevor – und wohl ein sehr schmutzige­r.

Mit dem Parteitag der Demokraten startet nächste Woche der Intensivwa­hlkampf in den USA. Das Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump droht schon jetzt das bizarrste seit langem zu werden. Der eine, Biden, führt seine Kampagne seit März de facto aus dem Keller. Der andere, Trump, weckt schon jetzt Zweifel an der Gültigkeit der Wahl. Auf dem Spiel steht die US-Demokratie.

IM WAHLKAMPFS­CHLAMM: Manuel Escher, Anna Giulia Fink, Noura Maan

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