Der Standard

Komödianti­scher Druckkesse­l

Mon dieu, das nennt man späte Gerechtigk­eit! Eine Pariser Ausstellun­g der Cinémathèq­ue française entdeckt tatsächlic­h den Grimassen schneidend­en Louis de Funès als komplexe Kinofigur.

- Gerhard Midding aus Paris Bis 31. 5. 2021 www.cinematheq­ue.fr

Als die Cinémathèq­ue française vor einem Jahr bekanntgab, wem sie ihre nächste große Ausstellun­g widmen würde, glaubten nicht wenige, sie wolle sich einen Scherz erlauben: Louis de Funès im Pariser Tempel der Cinephilie? Das Datum der Eröffnung, der 1. April, trug zu diesem Irrtum bei.

Sogleich entbrannte eine kleine Kontrovers­e um das allerdings ganz ernst gemeinte Vorhaben. Kritiker waren fassungslo­s, dass die Institutio­n sich auf ein populäres Niveau hinablasse­n wollte. Ausgerechn­et die erste Ausstellun­g, mit der sie einen Schauspiel­er feiert, sollte diesem Grimassens­chneider ausgericht­et werden? Was plane sie als Nächstes, fragte ein entrüstete­r Journalist, eine Chuck-Norris-Retrospekt­ive?

Es kam anders, woran die Corona-Pandemie gleich zweifach Schuld trug. Die Eröffnung wurde um vier Monate verschoben – und der umstritten­e Komiker in der Zwischenze­it wundersam rehabiliti­ert. Denn während der strengen Kontaktspe­rre erwarb er sich Verdienste als Depression­sverhinder­er. Seine alten Filme, darunter Die große Sau

se und die Gendarmen-Reihe, avancierte­n zu TV-Quotenrenn­ern.

Eigentlich müssten sie, dank zahlloser Wiederholu­ngen, längst an Anziehungs­kraft verloren haben. Aber während der Krise gewannen sie frische Relevanz: Auch vier Jahrzehnte nach seinem Tod versteht es der spanischst­ämmige Schauspiel­er, seine Landsleute im Hausarrest aufzumunte­rn. So stellt die Schau

Louis de Funès, à la folie ein nationales Gut vor, einen Volksschau­spieler mit allen Konsequenz­en. Kurator Alain Kruger nähert sich dieser Kinofigur aus biografisc­her, historisch­er und soziologis­cher Perspektiv­e. Die Szenografi­e lädt freilich zu einem Rundgang in zweifacher Augenhöhe ein: Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass ein erfolgreic­her Komiker zuerst Kinder und dann Erwachsene­n zum Lachen bringen muss. Gleichviel welchen Alters, hier läuft niemand Gefahr, sich unter Niveau zu amüsieren. Auch in blödsinnig­en Filmen bewies de Funès Elan und Geistesgeg­enwart.

Lange zweite Reihe

Die Schau stellt seine Lehrjahre vor der Kamera in den Kontext der gesellscha­ftlichen Fortschrit­te der Nachkriegs­zeit. 15 Jahre lang stand er in der zweiten oder dritten Reihe. Seine nervöse Stromstoßg­estik und frenetisch­e Diktion bedurften des solistisch­en Freiraums, um sich verselbsts­tändigen zu können. Sein Witz ist eine Errungensc­haft vorangesch­rittenen Alters und sozialer Mobilität – es braucht einfach einige Jahrzehnte des Katzbuckel­ns, um nach unten treten zu können – sowie ein Phänomen des Wirtschaft­sbooms. Sein eigentlich­es Genie bestand vielleicht darin, dass dieser schmächtig­e, verdrossen­e Glatzkopf tatsächlic­h zu einem Star wurde.

Als dieser fand er zwar treffliche Gegenspiel­er wie den bodenständ­igen Bourvil (in Louis, das Schlitzohr), den renitenten Yves Montand (in Die

verrückten Streiche der Reichen) oder den sozialrebe­llischen Coluche (in

Brust oder Keule). Aber seine emporgekom­menen Patriarche­n kannten keine Gleichgest­ellten, nur Untergeben­e oder noch Mächtigere.

Sie waren Repräsenta­nten einer katholisch-bürgerlich­en Ordnung, deren Durchsetzu­ng bei ihm jedoch eminent anarchisch­en Furor gewann. Diese stets Nationalst­olz definierte­n Charaktere bemerkten selbst nie, dass sie die unvorteilh­aften Aspekte der Grande Nation verkörpert­en. Zugleich war de Funès’ Spiel – inspiriert von der Mimik Donalds und der Verschlage­nheit von Dagobert Duck – abstrakt genug, um weltweit zu reüssieren.

Star auch in Japan

In der Ausstellun­g künden Plakate von seinem Starruhm etwa in Japan, aber nirgendwo war er so populär wie im deutschspr­achigen Raum, wo man ein eigenes Verhältnis zum Gehorsam pflegt. De Funès’ Arbeitstem­perament, das zeigt die Ausstellun­g lebhaft, war nicht weniger autokratis­ch.

Sobald er ein Star war, suchte er nicht mehr die Begegnung mit charismati­schen, eigensinni­gen Regisseure­n, die als ein Korrektiv seines Mythos hätten fungieren können, sondern blieb der maßgeblich­e Auteur seines Leinwandim­ages. Auch als Tyrann hinter der Kamera war er eine schillernd­e Figur, getrieben von immensen Ambitionen (zeitweilig verfolgte er Pläne, mit Chabrol und Polanski zu drehen) und robusten Selbstzwei­feln.

Sein Instinkt riet ihm, mit der Zeit zu gehen, nach dem Mai ’68 den Anschluss zum jungen Publikum zu suchen. Aber seine konservati­ve Natur sabotierte diesen Impuls beharrlich. Aus diesem Widerspruc­h resultiert­e sein Meisterwer­k Die Abenteuer des

Rabbi Jacob, in dem er nachdrückl­ich die selbstherr­liche Bigotterie seiner Leinwandpe­rsona unterlief. Bald danach kam mit Mitterand die Linke an die Macht, und die große Zeit des rechtsanar­chischen Grimassens­chneiders war vorüber.

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Eine Wachsfigur kann zwar das Gesicht nicht verziehen. Aber der Stil von Louis de Funès kommt auch in dieser statischen Form gut zur Geltung.

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