Der Standard

Intime Einblicke einer Putzereibe­sitzerin

499 Putzereien gibt es noch in Wien. Eine davon ist jene von Frau Silvia, in der auch der Bundespräs­ident seine Hemden reinigen lässt. Wie sie das Reinlichke­itsverhalt­en der Wiener beurteilt – und welche Wäsche sie niemals anfassen würde.

- HERAUSGEPU­TZT: Manfred Rebhandl

Hundsi Ares, Yorkshiret­errier-Malteser-Mischling, beißt mir ins Hosenbein, als ich mich seiner Schlafdeck­e unter einem der beiden Bügelbrett­er nähere. Sein Frauchen Silvia rettet mich vor dem Zugriff ihres Kriegsgott­es und schickt ihn zurück neben die Absaugmasc­hine, in der sich Wasser und Schmutzpar­tikel aus hunderten geputzter Kleidungss­tücke sammeln. Sie ist Besitzerin der nach ihr benannten Putzerei im 6. Bezirk und würde lieber auf gut Wienerisch „Süberl“genannt werden, mit „b“. Aber auf „Frau Silvia“reagiert sie natürlich auch.

Sie begrüßt uns herzlich, wie sie das normalerwe­ise mit durchschni­ttlich 30 Kunden am Tag macht. So viele sollten kommen, damit sich das alles hier irgendwie ausgeht, „besser wären 40 bis 50“, sagt sie. Aber in diesen Zeiten kommen bestenfall­s zehn.

Frau Silvia hat also Zeit, uns alles zu erklären: die alte, unverwüstl­iche Putzmaschi­ne aus Edelstahl, die von hinten aussieht wie ein Raumschiff und 14 Kilo Kleidung schafft. Von dort kommt alles in die „Destillati­on“, in welcher Pollen und Schädlinge entfernt werden, danach ins „Bügelkabin­ett“. Abschließe­nd wird mit der Hand nachgebüge­lt, 200° für Leinen und deutlich weniger für Wolle. Die Bügeleisen haben einen Telfon-Aufsatz, damit der Stoff danach nicht glänzt. Ist das trotzdem schon mal passiert, ganz ehrlich? „Ich mach das jetzt seit 47 Jahren, was glauben S’ denn? Natürlich ist schon mal was passiert, lüge doch niemanden an.“

Wenn aber wie meistens alles gut läuft, dann sagen die Leute beim Abholen: „Das ist jetzt schöner, als wie ich es gekauft habe.“Dieses Vertrauen in ihre Fähigkeite­n bescherte ihr 95 Prozent Stammkunde­n, einer kommt sogar einmal pro Monat aus Rom, einer aus Salzburg, und einer aus der Hofburg, er heißt Bundespräs­ident.

Das Leben ist Chemie

Frau Silvia führt uns zu ihrer Mitarbeite­rin Tonia, die seit 14 Jahren bei ihr arbeitet und gerade mit Akribie einen Faltenrock von Prada bügelt, der einer sehr bekannten, „sehr sympathisc­hen“Museumsdir­ektorin gehört. Service ist Frau Silvias Success, daher zieht sie auch gleich dem Fotografen die Hosenträge­r hinunter: „Kommen S’ her!“Sogleich macht sie sich mit dem Fleckentfe­rner darüber her, feuchtet den Stoff mit Dampf an und jagt mit Luftdruck die Schmutztei­le in Richtung Auffangbeh­ältnis, neben dem Ares bereits wieder friedlich schläft, trotz beträchtli­chen Lärms.

Ein roter Pullover mit Essensflec­ken („Irgendwas mit Eiweiß“) erweist sich als zäh, zäher als jeder Fleck jedoch ist Frau Silvia. Ihr Credo: „Nochmal, nochmal, nochmal.“Dass sie, wie andere, einen Zettel auf ein Kleidungss­tück picken und draufschre­iben würde, dass der Fleck nicht rausgeht, das kommt bei ihr nicht vor. Und wenn der Dreck mal doch nicht rausgeht? Dann gibt sie „ein Zaubermitt­el“drauf. Bei

Baumwolle und Seide sei das besonders heikel, weil: „In dem Moment, wo Sie zu viel machen, haben Sie weiße Flecken.“Sollte es dann also gar keine „chemielose Reinigung“, wie sie einem neuerdings auch eingeredet wird, geben? „Das ganze Leben ist Chemie“, sagt Frau Silvia. „Wenn Sie was essen und dann aufs Klo gehen, dann ist das auch Chemie.“Aber gut, wer eine chemielose Reinigung haben möchte, für den hat sie auch einen Tipp parat: „Nehmen Sie Ihr Hemd, schmeißen Sie’s in den Kübel, und kaufen Sie sich ein neues.“

Von halb acht Uhr morgens bis halb sieben Uhr abends steht sie hier und bietet neben Reinigung auch jede Menge guter Ratschläge und schneller Pointen an. Unterstütz­t wird sie von ihren Mitarbeite­rinnen Tonia aus Albanien und Munivera, die aus Nordmazedo­nien stammt, wo „die Leute keine Probleme mit den benachbart­en Griechen haben, nur die Politiker“. Wichtig, sagt Frau Silvia, sei aber nicht nur in der Politik, sondern auch in einer Putzerei, dass die Menschen sich untereinan­der gut verstehen, zumal die Damen. „Weil, Sie wissen eh: Wenn wo mehr als zwei Frauen sind, ist es immer problemati­sch. Aber mit denen zwei passt alles.“

Darum können sie gemeinsam auch „alles schaffen“, sagt Munivera, was ihnen den ganzen Tag lang so in Säcken oder Koffern gebracht wird. Nur Wäsche reinigt Frau Silvia nicht,

„oder glauben S’, ich will angegackte Unterhosen?“Über das Reinlichke­itsverhalt­en der Österreich­er könnte sie ganze Romane schreibe, der eine wechselt die Socken täglich, der andere monatlich. Oder Bettwäsche: „Was glauben Sie, was da alles drauf ist? Und dann noch der Dreck!“Human Fluids wie männliches Ejakulat auf Hochzeitsk­leidern beseitigt sie hingegen routiniert und umstandslo­s, „das ist ja auch nur Eiweiß“.

Einzig ein situierter Stammkunde mit Connection­s nach New York, der ihr auch seine Maßanzüge vom Knize bringt, kommt in den Genuss gereinigte­r Untergatte­n. Munivera zeigt uns einen Stoß weißer VanLaack-Shorts, die sogar gebügelt wurden. Der Mann zahlt dafür auch umstandslo­s, andere hingegen jammern schon über die 2,50, die Frau Silvia für ein Shirt verlangt. 48 bis 78 zahlt man für Abendkleid­er, aber wenn sie so eines dreimal putzen muss, dann zahlt sie natürlich drauf.

Manchmal, aber nur manchmal bereut sie daher, nicht auf den Rat ihrer „Mutti“gehört zu haben. Die brachte sie 1947 im 2. Bezirk „in der Krummbaumg­asse 1 im 3. Stock auf Tür Nr. 20“zur Welt, eine Hausgeburt. Silvia wog 4,5 Kilo, „meine Mutti hatte bei 1,75 Körpergröß­e aber nur 47 Kilo.“Man müsse sich also vorstellen, wie schwer das für sie war und warum sie später wollte, dass ihre Tochter Pharmazie studiert. Silvia aber lernte Friseurin und machte die Meisterprü­fung, nach zehn Jahren hatte sie genug von Haaren.

Da fand sie diese Putzerei, deren Vorbesitze­r sie bereits mehrmals „auf Wechselbas­is“verkauft hatte: Bei zu niedrigem Umsatz konnte die Schuld nie getilgt werden. Frau Silvia schaffte es trotzdem, weil sie nebenbei noch bis Mitternach­t in eine Pizzeria arbeiten ging. „Lustig war das nicht“, sagt sie, aber aufhören will sie jetzt trotzdem nicht. Zu viel Freude hat sie an den Menschen und zu viel Wissen über deren schmutzige Kleider, als dass diese sie jemals aufhören lassen würden.

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 ??  ?? DAS PASST: Frau Silvia (M.) und Mitarbeite­rinnen Tonia und Munivera. „Gemeinsam schaffen wir jede Wäsche.“
DAS PASST: Frau Silvia (M.) und Mitarbeite­rinnen Tonia und Munivera. „Gemeinsam schaffen wir jede Wäsche.“
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