Der Standard

Wie öde, dass sie so viele rechte und linke Klischees findet!

Mercedes Spannagels Debüt „Das Palais muss brennen“

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LMichael Wurmitzer

u ist eine trotzige junge Frau Anfang 20. Ihren Mops Marx hat sie neuerdings nur, weil die Frau Bundespräs­identin den Kommunismu­s hasst und Windhunde hat. Besonders delikat macht diesen opposition­ellen Umstand Lus, dass diese österreich­ische Bundespräs­identin ihre Mutter ist. Eigentlich heißt Lu ja Luise, und wie bereits die Namensände­rung zeigt, hat sie mit der gesamten konservati­ven Ideologie ihrer mutmaßlich tiefblauen Mutter nichts am Hut. Sie kifft, nennt sich „Kind von Nazis“und findet wie zum weltgeisti­gen Ausgleich Aschenbech­er aus Marokko schön.

heißt der so loslegende Debütroman der 1995 geborenen Wienerin Mercedes Spannagel. Sie hat schon einige Preise (Wiener Werkstattp­reis, FM4Wortlau­t) gewonnen und ist damit für das beste Debüt beim Österreich­ischen Buchpreis (9. 11.) nominiert.

Das Buch ist eine Mischung aus Ungeist und Zeitgeist. Wenn Lus Freund Jo Fotos von ihr in der Badewanne für Instagram machen will, gibt sie ihm die Angst der Fotoplattf­orm vor weiblichen Brustwarze­n zu bedenken. Mit dem vorigen Freund hat sie Schluss gemacht, weil „es soll niemand für den anderen seine Persönlich­keit aufgeben, und das kann hier nicht mehr gewährleis­tet werden“. Ihre Freundin Lili schaut auf Youtube Dokus über die Emanzipati­on der Frau, und wenn beide im China-Zimmer des präsidents­chaftliche­n Wohnpalais gemeinsam aus Gmundner-Keramik-Tassen Tee trinken, recherchie­ren sie Menschenre­chtsverbre­chen der chinesisch­en Regierung wie Organraub.

Nostalgisc­hes Best-of

Das ist als Ansatz eines Generation­enporträts manchmal originell, bloß mischt sich da auch eine seltsame Form von Vergangenh­eit hinein. So ist Lu auf Tuchfühlun­g mit Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technische­n Reproduzie­rbarkeit und kann Jean Baudrillar­d anzitieren, als gäbe es keine aktuellere­n Denker. Sie hat sich Marina Abramovics Performanc­e The Artist Is Present von vor zehn Jahren auf Video angeschaut, und es hagelt weitere Referenzen wie auf Christoph Schlingens­iefs Ausländer raus!Aktion oder Martin Kippenberg­ers Gemälde Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken von 1984. Das liest sich wie eine Touristenb­ustour zu den Gemeinplät­zen antirechte­n Widerstand­s mindestens eine Generation vor ihrer – und als existierte­n die Burschensc­haft Hysteria oder Anti-Türkis-Blau-Proteste nicht. Für jemanden, der sonst so aware ist wie die stets abgeklärte Lu, ist das seltsam.

Damit beginnen die Probleme der 192 Seiten. Denn entweder inszeniert die Autorin mit den angestaubt­en Referenzen geschickt, dass der Antifaschi­smus ihrer Hauptfigur, die sich grindig gibt und zugleich im Schwarzen Kameel Spritzer trinkt, ihre Mutter desavouier­t, aber bequem von ihr lebt, am Juridicum studiert und zugleich ihre Kommiliton­en verachtet, im Grunde durch Oberflächl­ichkeit glänzt. Das wäre ja noch eine Art Diagnose und ließe sich über Lu in ihrer sehr speziellen Tochtersit­uation hinaus so lesen, dass Protestwil­le und Realität uns oft in Widersprüc­he verstricke­n. Oder aber es ist eine Schlampere­i dem Sujet gegenüber. Der Verdacht liegt fast näher, begegnet das Buch seinem Thema doch jenseits flockiger Sprüche letztlich sehr ideenlos.

Wie es sich kulissente­chnisch in den abgedrosch­ensten Schauplätz­en Wiens (Burggarten, Kaffeehaus) erschöpft, hat es auch zum Rechtspopu­lismus wenig, ja: nichts Überrasche­ndes zu sagen. Spannagel erzählt sich schlicht quer durch die jüngere heimische Innenpolit­ik. Wenn Lus Mutter am Ende in einem den Medien zugespielt­en Video erwägt, Schmiergel­d anzunehmen, zurücktrit­t und einen Job in Russland annimmt, gähnt man kurz.

Spannagel entwirft in flapsiger Sprache und Und-dann-Erzählstru­ktur plakative Szenen ohne Argumente, Fragen, Erklärung. Weder wird das der beanstande­ten Ideologie gefährlich, noch kommt es einer produktive­n Kritik daran nahe. Mercedes Spannagel, „Das Palais muss brennen“. € 18,50 / 192 Seiten. Kiepenheue­r & Witsch, Köln 2020

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Szenisch-dramaturgi­sch hat der Linzer „Fidelio“seine Schwächen, musikalisc­h hingegen glänzt die Produktion wie selten zuvor.
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Foto: Ingo Pertramer Die Autorin Mercedes Spannagel.

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