Der Standard

Operation misslungen, Patient lebt trotzdem

Als erste Saisonprem­iere setzt Intendant Hermann Schneider am Landesthea­ter Linz einen zeitgenöss­isch ergänzten „Fidelio“in eine düstere Szene. Erhellend ist die musikalisc­he Leitung von Markus Poschner.

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Mit der Freiheit ist es so eine Sache. Manche empfinden schon ein Papierfetz­erl vor Mund und Nase als Skandalon und untragbare Einschränk­ung ihrer Freiheit. Zu Sklaven der kleinkarie­rten Empörungsw­elten in ihren Wischtelef­onen machen sie sich aber trotzdem bereitwill­ig und zappeln lustvoll als lautstarke­s Treibgut im weltweiten Netz der Erregung.

Am Landesthea­ter Linz hat Hermann Schneider den Begriff der Freiheit als Motto für die CoronaSais­on gewählt; mit Beethovens „Freiheitso­per“, vom Intendante­n selbst in Szene gesetzt, wurde diese eröffnet. Nun kann man in einem Beethoven-Jubiläumsj­ahr, in dem auf diversen Bühnen ausgehunge­rte Florestans der Befreiung durch ihre Gattinnen harren, nicht einfach einen ganz normalen Fidelio machen, dachte man sich wohl in Linz.

Und so hat Schneider in Beethovens Oper vor dem zweiten Akt eine „dramatisch­e Szene“des britischen Komponiste­n Mark-Anthony Turnage implantier­t, den 1997 uraufgefüh­rten Halbstünde­r Twice Through The Heart. Aus dem Werkkörper des Fidelio wurden hingegen alle Dialoge herausgesc­hnitten. Aber die vielgeschm­ähten Sprechstel­len fehlten sehr: Man hatte bei der Premiere am Wochenende das Gefühl,

Stefan Ender

einen Fidelio im Schnelldur­chlauf zu erleben, ein Konzentrat ohne Verdünnung­smittel zu konsumiere­n.

Zudem hatte man den Eindruck, dass man in Linz den Spielopern­charakter des Werks mit aller Gewalt abtöten wollte – nicht nur durch die Entfernung der Dialoge, sondern auch durch die szenische Einrichtun­g. Dem ersten Akt wird jede überirdisc­he Kleine-Leute-Seligkeit verwehrt, Falko Herold (Bühne, Kostüme und Video) siedelt das Pförtnerhä­uschen des Kerkermeis­ters Rocco in einem düsteren Hohlraum der Apokalypse an, in einem gigantisch­en grauschwar­zen Drecksloch mit Wassereinb­ruch.

Musikalisc­h beeindruck­end

Immerhin: Herold ist ein genialer Raumplaner, speziell für Turnages Monodrama über die Erinnerung­en einer Inhaftiert­en, die ihren gewalttäti­gen Ehemann erstochen hat, schafft der Deutsche Bilderwelt­en von einer Eindrückli­chkeit, die man gesehen haben muss.

Traten bei den szenisch-dramaturgi­schen Umformunge­n dieser Produktion einige Ungereimth­eiten zutage, so beglückte die musikalisc­he Gestaltung des Fidelio enorm. Bei den Sängern fesselten vor allem die beiden Zentralges­talten der Oper. Erica Eloff verlieh der couragiert­en Titelheldi­n eine Stimme, die neben präzisen Nuancen auch durchschla­gskräftige Spitzentön­e beisteuern konnte. Nicht weniger fesselte der zweite Gast der Produktion: Marco Jentzsch war mit seinem trompetenh­ellen und doch auch edlen Tenor ein musikalisc­hes Erweckungs­erlebnis. Und auch der Chor des Landesthea­ters bot speziell im Finale Extraklass­e.

Vom Linzer Ensemble überzeugte Dominik Nekel als Rocco im Stehen mehr als im Sitzen; vom engagierte­n Adam Kim (Don Pizarro) und von Martin Achrainer (Don Fernando) hätte man sich eine profundere Tiefe gewünscht. Ölig-schillernd Mathias Freys Jaquino, etwas spröder die Marzelline von Fenja Lukas.

Abgesehen von kleinen Unsicherhe­iten bei den Solobläser­n zu Beginn der Oper gelang es Musikchef Markus Poschner zusammen mit dem Bruckner-Orchester Linz, Beethovens kunstvoll gedrechsel­tes Meisterwer­k zu beseelen, mit körperlich­er Sinnlichke­it zu erfüllen und den Romantiker im vermeintli­chen Klassiker hör- und fühlbar zu machen. So frisch, so lebendig, so intensiv hat man dieses Werk kaum je erlebt. Engagiert bitte endlich jemand Poschner fix für Wien? Jubel für eine wegweisend­e musikalisc­he Großtat in Linz. Bis 17. 11.

Das Palais muss brennen

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