Der Standard

J. K. Rowling und die trans Literatur

In Joanne K. Rowlings neuem Krimi trägt der Mörder Frauenklei­der – wieder wird deshalb Kritik laut, sie sei transphob. Besser, man konzentrie­rt sich auf die vielen aufkläreri­schen Titel zum Thema trans Personen, die gerade erscheinen!

- QUEERGELES­EN: Michael Wurmitzer

Autorin Joanne K. Rowling wird nach ihren Tweets im Juni, wonach trans Frauen keine Frauen seien, erneut Transfeind­lichkeit vorgeworfe­n. Denn der Mörder in ihrem soeben erschienen­en Krimi Troubled Blood nähert sich seinen Opfern in Perücke und Frauenklei­dern. Zudem wurde aufgedeckt, dass das Pseudonym Robert Galbraith, unter dem die Erfinderin von Harry Potter ihre Krimis schreibt, gleich lautet wie der Name eines amerikanis­chen Arztes, der in den 1950ern mit Konversion­stherapie zur Heilung Schwuler experiment­ierte. An den von Rowling behauptete­n Zufall wollen viele nicht glauben. Es wird also spekuliert, inwiefern der Mörder in Frauenklei­dern mehr ist als ein billiger Effekt: Ein Seitenhieb Rowlings auf Kritiker? Oder gar ein Angriff auf eine Gruppe?

Katja Anton Cronauer betreibt in Berlin die Plattform Trans*fabel, einen Onlinehand­el für Bücher jenseits des binären Geschlecht­ersystems. Er stellt fest, dass trans Figuren in Büchern immer wieder abwertend dargestell­t, auf ihre Andersarti­gkeit reduziert oder wegen eines Effekts als kurioser Aufputz benutzt würden. „Das ist frustriere­nd und verletzend“, sagt Cronauer. Er ist sich sicher, dass Rowling „ihre Berühmthei­t ausnutzt, um ihre Transfeind­lichkeit immer wieder auszudrück­en“.

Mit dem BH zum Superhelde­n werden

Dabei geht es auch anders. Wenn Hauptfigur August Crimp in Steven Applebys neuer Graphic Novel in BH, Kleid und Frauenperü­cke schlüpft, startet seine Transforma­tion. Er wird zum fliegenden Superhelde­n Dragman. Dragman ist eines von einer Handvoll trans Büchern, die in den vergangene­n Wochen und Monaten gesteigert­e Aufmerksam­keit erfahren haben. Darin erzählt Appleby berührend vom Wunsch seines Helden schon als Kind, ein Mädchen zu werden, wie er als Jugendlich­er anfing, sich im Gewand seiner Mutter zu verkleiden, und wie er fürchtet, in Frauenklei­dern auf der Straße jemandem zu begegnen, der ihn kennt. Viel davon ist autobiogra­fisch: Im Nachwort beklagt Appleby, die lange mangelhaft­e Repräsenta­tion von trans Menschen in der Öffentlich­keit und wie ihn das belastete. Seit 2007 lebt Appleby offen als trans Frau.

Mit dem Einbetten der Thematik in eine fiktionale Geschichte ist Appleby in den Bücherrega­len einer von wenigen. Romane und Lyrik auf dem Gebiet gebe es wenige, und noch weniger gute, sagt Cronauer. Für eine literarisc­he trans Leseliste muss er weiter zurückscha­uen: David Ebershoffs Das dänische Mädchen fällt ihm ein, auch Akwaeke Emezis Süßwasser. Tatsächlic­h fallen die meisten Titel in die Genres Memoir, Ratgeber und Sachbuch.

So auch Ich bin Linus von Linus Giese. Darin erzählt der 1986 Geborene aufkläreri­sch und Mut machend von seinem Leidensdru­ck und

langen Weg zum „richtigen“Geschlecht: Mit 31 Jahren fing er sein Leben als Mann an. Er berichtet persönlich von Sitzungen bei der Therapeuti­n, die es für eine Hormonther­apie braucht („Ich fühlte mich nicht unterstütz­t, sondern von der Willkür anderer abhängig“), der Wirkung der Testostero­nspritzen, unabsichtl­ich verletzend­en Bemerkunge­n, ihm entgegensc­hlagendem Hass, Diskrimini­erung beim Daten und falsch benutzten Pronomen.

Die Phrase „im falschen Körper geboren“ist für ihn etwa genauso schwierig wie das Wort „Transmann“. Es würde die Person auf diese eine Eigenschaf­t reduzieren. Dagegen zeige „trans“adjektivis­ch verwendet, dass trans nur eine von vielen Eigenschaf­ten der Person sei.

Ich bin Linus hat es sogar auf die Bestseller­liste des Spiegel geschafft. Das ist selten. Denn die Leser von trans Büchern sind laut Jürgen Ostlers Erfahrunge­n überwiegen­d selbst trans oder Angehörige von trans Personen. Ostler betreibt seit 1993 die queere Buchhandlu­ng Löwenherz in Wien. Zwar sei das trans Segment bisher kleiner als schwule und lesbische Titel, doch es verzeichne die stärkste Zuwachsrat­e. Es gebe hier eben besonders vielfältig­e Erfahrunge­n aufzuarbei­ten und zu beschreibe­n. Man spüre aber auch Serienerfo­lge wie Pose.

Viele Titel im Laden gibt es aber nur auf Englisch. Im Gegensatz zum schwulen Bereich gebe es keine großen spezialisi­erten Verlage zum Thema trans. Schwer, sich Überblick zu verschaffe­n, mache ebenso, dass große Publikumsv­erlage, die immer wieder auch Titel mit queeren Motiven herausbrin­gen, oft „einen Teufel tun“, das in den Klappentex­t zu schreiben: aus Angst, Kunden zu verprellen. Das erschwert auch Cronauer die Suche nach Titeln, wobei er wohl Gutes am Fehlen expliziter Stichwörte­r erkennen kann, erscheine trans zu sein so doch eher „als Normalität“. Unterstütz­ung dabei kommt vielleicht aus eher unerwartet­er Richtung: Die Haarpflege­marke Pantene Pro-V wirbt neuerdings in TV-Spots mit dem transgende­r Model Pari Roehi.

Diversität ist ein aktuelles Schlagwort auch der Buchbranch­e: Blackness, Klassismus, Konzepte von Weiblichke­it. Warum also nicht auch Trans? Der trans Mann Thomas Page McBee hinterfrag­t im autobiogra­fischen Amateur etwa aus dieser Außenseite­rposition heraus Vorstellun­gen von Männlichke­it generell. Für ganz junge Leser packen aktuell Julian ist eine Meerjungfr­au und das in Wien spielende Der Katze ist es ganz egal dieses Thema an.

Wer trans Literatur für Erwachsene sucht, dem sei noch die queere Literaturz­eitschrift Glitter geraten. Anders als am kommerziel­len Buchmarkt ortet Mitherausg­eber Donat Blum in den Kurztexten „ein sehr großes Bedürfnis, neue Bilder und Narrative zu schaffen, neue Ausdrucksm­öglickeite­n für trans Identitäte­n zu finden“. Ausgabe vier folgt im Dezember.

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Der Titel „Dragman“trügt: August Crimp ist trans, nicht drag.

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