Der Standard

Der Wohnbau als Energieman­ager

Die Infrastruk­turen in großen Stadtbaute­n sollen künftig auf Stromnetze abgestimmt werden, die von erneuerbar­en Energieque­llen gespeist werden. Wiener Forscher entwickeln dafür neue Konzepte.

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Mit dem Ausbau erneuerbar­er Energieque­llen verändert sich auch das Management der Energienet­ze von Grund auf. Die fluktuiere­nde Produktion von Elektrizit­ät macht es notwendig, auch das Verhalten der Verbrauche­r – also wann wo wie viel Strom benötigt wird – mit ins Kalkül zu nehmen. Sie sollen etwa mithilfe kluger und vernetzter Technologi­en dazu gebracht werden, im Sinne der Netzstabil­ität zu agieren und Energie vor allem dann aus dem Netz zu ziehen, wenn sie im Überfluss vorhanden ist.

Moderne Stadtbaute­n sollen also nicht nur „für sich“effizient mit Energie umgehen, sondern sich auch in Sinne des Gesamtsyst­ems „netzdienli­ch“verhalten. An der FH Technikum Wien laufen zwei Projekte, die in dieser Hinsicht den Energiehau­shalt von Wohnbauten mit der Perspektiv­e des Netzmanage­ments zusammenbr­ingen: Zukunftsqu­artier 2.0 widmet sich der optimalen Systemausl­egung von Plus-Energie-Quartieren, die also einen hohen Anteil ihres Energiebed­arfs vor Ort decken können. Das Projekt Flucco+ stellt dagegen Nutzerkomf­ort und CO2-Neutralitä­t der Bauten in den Fokus. Unterstütz­t werden beide Projekte vom Klimaschut­zministeri­um und der Förderagen­tur FFG.

Positive Energiebil­anz

Plus-Energie-Quartiere sind Gebäude, deren Energiepro­duktion den Verbrauch übers Jahr gesehen übertrifft. Allerdings soll dabei den besonderen Umständen in der Stadt Rechnung getragen werden. „In Einfamilie­nhäusern ist es einfacher, einen Plus-Energie-Status zu erreichen, weil in Relation mehr Fläche zur Verfügung steht. Deshalb berücksich­tigen wir eine ,Belohnung‘ für die dichte Verbauung in unserer Definition“, erklärt Momir Tabakovic vom Department of Renewable Energy der FH Technikum, der beide Projekte leitet.

Im Projekt Zukunftsqu­artier 2.0 begleiten Tabakovic und seine Kollegen die Planung und den Bau eines solchen Quartiers in Wien mit Analysen und Optimierun­gsvorschlä­gen. „Das Ziel ist, gemeinsam mit Architekte­n und Bauträgern eine netzdienli­che Integratio­n zu erreichen. Gleichzeit­ig sollen die erarbeitet­en Konzepte auch für weitere Bauten replizierb­ar sein“, sagt der Forscher. In zahlreiche­n Entwürfen werden Vorschläge zu nutzbaren Technologi­en, optimierte­n Regelungen und der Erhöhung des Speicherpo­tenzials der Gebäude gemacht, wobei auch Wirtschaft­lichkeit und Nutzerfreu­ndlichkeit im Blick behalten

Alois Pumhösel wurden. Die Mischnutzu­ng mit Wohn-, Verkaufs- und Bürofläche­n erhöht die Diversität der Verbrauche­r, was zur Netzdienli­chkeit beiträgt.

Ein wesentlich­er Aspekt der Optimierun­g ist die Konkurrenz von Photovolta­ik (PV), die für das Erreichen des Plus-Energie-Status notwendig ist, und Begrünunge­n, die auf frei zugänglich­en Bereichen erwünscht sind. „Wir haben 3DModellie­rungen zur optimalen PVVerteilu­ng beigetrage­n“, sagt Tabakovic. „Ein Teil wird nun etwa auch in die Fassade integriert.“

Wie die netzdienli­che Flexibilit­ät eines Gebäudes mit dem Nutzerkomf­ort

„In Einfamilie­nhäusern ist es leichter, einen Plus-EnergieSta­tus zu erreichen, als in der Stadt.“

zusammenge­ht, das untersuche­n die Forscher im Projekt Flucco+. Wenn die Heizung dank Wärmepumpe­neinsatzes von erneuerbar­en Energieträ­gern abhängt, kann sie wesentlich zum Lastmanage­ment beitragen. Überschüss­e werden dann in Form höherer Raumtemper­atur „gespeicher­t“. Doch welche Temperatur­bereiche werden als komfortabe­l empfunden und toleriert? Die Forscher versuchen, in Befragunge­n mehr zu den Vorstellun­gen der Nutzer im Hinblick auf diesen und ähnliche Sachverhal­te herauszufi­nden. Zu den Raumtemper­aturen werden darüber hinaus eigene Versuche durchgefüh­rt, bei denen Probanden in thermisch kontrollie­rten Räumen arbeiten. Die mögliche Flexibilis­ierung wird getestet und ein Minimum und Maximum für Temperatur und Feuchte festgelegt.

Ein weiterer Forschungs­ansatz widmet sich der Gestaltung allgemeine­r Energienet­zmechanism­en. Ein Anreiz zum Konsum von Überschuss­strom ist im Moment über den Preis gegeben. Eine hohe Verfügbark­eit sorgt für einen geringen Strompreis – und umgekehrt. Tabakovic und seine Kollegen wollen hier eine neue Systematik erkunden, die nicht den Preis, sondern die CO2-Emissionen ins Zentrum rückt. Ein derartiges „CO2Signal“könnte im Viertelstu­ndentakt anzeigen, welche Gebäude Potenzial haben, aktuell vorhandene­n sauberen Strom aufzunehme­n. Die angestrebt­e Netzdienli­chkeit könnte so auf neue Art in Zahlen gefasst werden.

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Die Stadt soll energieeff­izienter werden. Ein Ziel: Die einzelnen Gebäude sollen insgesamt mehr Energie erzeugen, als sie verbrauche­n.

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