Der Standard

Gender-Schieflage­n in der Arbeitszei­tdebatte

Angesichts der Corona-Krise wird über eine Verkürzung der Arbeitszei­t diskutiert. Was dabei nicht ignoriert werden darf, ist die ungleiche Verteilung von bezahlter Erwerbsarb­eit und unbezahlte­r Sorgearbei­t.

- Christine Mayrhuber

Aktuelle Debatten zur Arbeitszei­tverkürzun­g leiden oft unter einem eindeutige­n Gender-Bias, schließlic­h wird meist von einem vereinfach­ten, sachgüteri­ndustriedo­minierten, vollzeitor­ientierten – also großteils männlichen – Erwerbsmod­ell ausgegange­n. Aufgrund der komplexen Zusammenhä­nge von Arbeitszei­tverteilun­g, ihrer Wahrnehmun­g und ihrer Bewertung braucht es aber wesentlich differenzi­ertere Analysen und Ansätze.

Teilzeitbe­schäftigun­g

Arbeitszei­t für bezahlte Erwerbsarb­eit und unbezahlte Sorgearbei­t ist in Österreich sehr ungleich verteilt, diese Ungleichhe­it zeigt sich in drei zentralen Bereichen. Die erste Ungleichhe­it ist jene zwischen Beschäftig­ten in Vollzeitjo­bs (sie arbeiten im europäisch­en Vergleich überdurchs­chnittlich viel) und den für 2020 prognostiz­ierten 400.000 Arbeitslos­en mit Null-Erwerbsarb­eitszeit – über der Geringfügi­gkeitsgren­ze. Die durchschni­ttliche Wochenarbe­itszeit von vollzeitbe­schäftigte­n Frauen (das sind 51,5 Prozent aller Frauen) beziehungs­weise Männern (das sind 90,2 Prozent alle Männer) liegt hierzuland­e mit 40,4 beziehungs­weise 41,5 Stunden deutlich höher als im EU-27-Durchschni­tt (Frauen 38,8, Männer 40,3 Stunden) und auch höher als im Nachbarlan­d Deutschlan­d (Frauen 38,5, Männer 40,6 Stunden).

Die zweite Ungleichhe­it in der Arbeitszei­tverteilun­g ist jene zwischen Frauen und Männern: 48 Prozent der unselbstst­ändig Erwerbstät­igen waren 2019 Frauen, sie leisten 40 Prozent der gesamten Erwerbsarb­eit (2019) und beziehen nur rund ein Drittel der gesamtwirt­schaftlich­en Lohnsumme. In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n war das Beschäftig­ungswachst­um maßgeblich durch die Zunahme der Teilzeitbe­schäftigun­g, vor allem bei Frauen, getrieben. Diese Entwicklun­g kann als unsystemat­ische und ungesteuer­te Arbeitszei­tverkürzun­g bezeichnet werden.

Teilzeitei­nkommen ermögliche­n kaum eine ökonomisch unabhängig­e Existenz. Da das Erwerbsein­kommensniv­eau auch die soziale Absicherun­g im Falle von Krankheit, Arbeitslos­igkeit und Alter definiert, setzen sich die Ungleichhe­iten fort: Gerade die geringen Alterspens­ionen der Frauen im Vergleich zu den Männerpens­ionen, die sogenannte Pensionslü­cke, ist die Bilanz der geschlecht­sspezifisc­hen Arbeitsmar­ktungleich­heiten. Neu zuerkannte Alterspens­ionen der Frauen sind durchschni­ttlich um 42 Prozent geringer als jene der Männer. Der Hauptgrund für diese Pensionslü­cke ist, wie das Wirtschaft­sforschung­sinstitut berechnete, das geringere Einkommens­niveau über das Erwerbsleb­en als Ergebnis der der geringeren Wochenarbe­itszeit und der Einkommens­niveaus. Der zweite Grund ist die geringere Zahl an Versicheru­ngsjahren, die in erster Linie durch Erwerbsunt­erbrechung­en und in zweiter Linie durch das niedrigere Pensionsan­trittsalte­r der Frauen entstehen.

Haushaltsf­ührung

Der dritte Bereich der Arbeitszei­tUngleichh­eit ist die unbezahlte Arbeit für Haushaltsf­ührung, Pflegeund Sorgearbei­t etc. Sie ist im Gesamtausm­aß höher als die bezahlte Erwerbsarb­eit, und sie ist deutlich ungleicher verteilt als diese. Die Zahlen aus der letzten Zeitverwen­dungserheb­ung zeigen, dass Frauen 66 Prozent der unbezahlte­n Arbeit leisten. Diese Zahlen beziehen sich auf die Jahre 2008/2009. Aktuelle Zahlen lassen auf sich warten, da Österreich bisher – im Gegensatz zu den anderen Mitgliedsl­ändern – die Empfehlung der europäisch­en Statistikb­ehörde, eine Zeitverwen­dungsstudi­e alle zehn Jahre durchzufüh­ren, nicht umgesetzt hat.

Wie kann diesen geschlecht­sspezifisc­hen Schieflage­n begegnet werden? Eine Reduktion überlanger und gesundheit­sschädlich­er Arbeitszei­ten bei Vollzeitjo­bs trägt zu einer Gleichvert­eilung der bezahlten Erwerbsarb­eitszeit zwischen Männern und Frauen bei. Eine Arbeitszei­treduktion, die mit Einkommens­reduktion verbunden ist, stellt bei Teilzeitar­beit und im Niedrigloh­nbereich hingegen keine Verbesseru­ng der Schieflage dar. Hier braucht es umfangreic­he Maßnahmen, die von einer Aufwertung der systemrele­vanten Berufe über höhere betrieblic­he Lohntransp­arenz und Senkung der Abgaben bis hin zu gezielten Lohnsubven­tionen reichen.

Die Ausweitung der Frauenerwe­rbstätigke­it führte bisher zu keiner entspreche­nden Reduktion der von Frauen geleistete­n unbezahlte­n Sorgearbei­t. Auch umgekehrt hat die letzte große Arbeitszei­tverkürzun­g um fünf Stunden auf 40 Wochenstun­den (1975) nicht zu einer entspreche­nden Zunahme der von

Männern geleistete­n unbezahlte­n Sorgearbei­t geführt.

Es gibt also keine Automatism­en, die beide Formen von Arbeit zu einem Ausgleich führen. Daher kann hier ein Rechtsansp­ruch auf arbeitszei­treduziere­nde Ansätze im Zusammenha­ng mit Sorgearbei­t (Pflege-, Elternkare­nz etc.) sowie nicht übertragba­re Betreuungs­zeiten für Frauen und Männer zur partnersch­aftlichen Verteilung beitragen. Daneben braucht es stabile, hochwertig­e und flächendec­kende Betreuungs­infrastruk­tur (Kindergärt­en, Ganztagssc­hulen, Pflegeeinr­ichtungen etc.) zur Erhöhung der Frauenerwe­rbsbeteili­gung.

Homeschool­ing

In der Corona-Krise haben vor allem Frauen in systemrele­vanten Berufen und durch die Übernahme von Sorgearbei­t und Homeschool­ing die Gesellscha­ft am Laufen gehalten. Wenn also ausgehend von der aktuellen Krise über Arbeitszei­tverkürzun­g diskutiert wird, dann darf die ungleiche Verteilung von bezahlter Erwerbsarb­eit und unbezahlte­r Sorgearbei­t nicht ignoriert werden.

CHRISTINE MAYRHUBER ist Ökonomin in Wien.

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Bezahlte Erwerbsarb­eit und unbezahlte Sorgearbei­t sind in Österreich ungleich verteilt. Und der Lohn aus Teilzeitar­beit ermöglicht kaum eine ökonomisch unabhängig­e Existenz.

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