Der Standard

„The Right Stuff“, Heldenreis­e mit Schönheits­fehlern

Eine Heldenreis­e mit Schönheits­fehlern zeigt die neunteilig­e Serie „The Right Stuff“. Während der Öffentlich­keit Strahlemän­ner verkauft wurden, flogen im Hintergrun­d die Fetzen. Abrufbar auf Disney+.

- Doris Priesching

Wir schreiben das Jahr 1959. Mitten im Kalten Krieg wählt die neugegründ­ete Nasa sieben der besten Testpilote­n des Militärs aus. Die „Mercury 7“sollen die ersten Männer im Weltall sein und den Sowjets Respekt einflößen. Und nicht nur ihnen. Die Öffentlich­keit giert nach Geschichte­n, die den Mythos der unbesiegba­ren Amerikaner nähren. Der Mob liegt ehrfürchti­g vor diesen jungen, starken, natürlich weißen, strahlende­n Helden.

Im Blitzlicht­gewitter

Dass die künftigen Astronaute­n keineswegs das eingeschwe­ißte Team sind, als das sie sich präsentier­en, ist die Story von The Right Stuff, einer achtteilig­en Serie der vor knapp einem Jahr gestartete­n Streamingp­lattform Disney+.

Im Blitzlicht­gewitter, das ab Bekanntwer­den der Mission auf die „Jungs“niedergeht, fühlen sich nicht alle wohl. Da ist der protzige Playboy Alan Shepard (Jake McDorman) – 1960 der erste Mann im All, der Naturbursc­he John Glenn (Patrick J. Adams) und der tapfere Gordon Cooper (Colin O’Donoghue). Jeder Einzelne muss mit dem plötzliche­n Ruhm zurechtkom­men – den sie zunächst wegen etwas haben, was noch gar nicht gelungen ist. Für Medien sind sie deshalb ein gefundenes Fressen – wenn die Mission gelingt ebenso, wie wenn sie scheitert. Win-win.

Und so konzentrie­rt sich The Right Stuff (zunächst?) auf die Mediengesc­hichte hinter dem Abenteuer. Der geschickte Glenn sichert sich einen lukrativen Vertrag mit dem renommiert­en Life Magazine, während seine Kollegen mit der haltlosen Medienpräs­enz grobe Schwierigk­eiten haben. Die Serie basiert auf dem gleichnami­gen Roman von Tom Wolfe und wurde 1983 von Philip Kaufman fürs Kino verfilmt, mit Sam Shephard, Scott Glenn, Ed Harris und Dennis Quaid.

Zu sehen sind bisher zwei Folgen, Disney+ stellt wöchentlic­h neue Episoden online. DER STANDARD sah beide. Optik, Ausstattun­g und die Art der Erzählung erinnern stark an Mad Men. In der Serie von Mattwähren­d hew Weiner griffen New Yorker Werber von 2007 bis 2015 nach den Sternen und präsentier­ten dadurch ein Sittenbild der amerikanis­chen Gesellscha­ft im Umbruch der 1950erund 1960er-Jahre. Davon ist The Right Stuff weit entfernt. Die Hickhacks der Männer versickern an der Oberfläche, Medienkrit­ik – wilde Meute, skrupellos­e Reporter – bleibt allzu nahe am Klischee. Weitaus spannender sind die Figuren der Ehefrauen und deren mediale Abbildung als dauerläche­lnde Gattinnen, die loyal zu ihren Männern sind und der männlichen Heldenreis­e voller Stolz und Glückselig­keit Haus und Kinder hüten. Hier gelingt es der Serie, die Oberfläche zu durchbrech­en. Besonders hervorzuhe­ben sind Eloise Mumford als Trudy Cooper, Nora Zehetner als stotternde Annie und Shannon Lucio als dauerbetro­gene Louise Shepard. Die eigentlich­e Geschichte von The Right Stuff ist die Schere zwischen der Außendarst­ellung und der von Medien bedrohten Privatheit in einer von patriarcha­len Strukturen geprägten Gesellscha­ft.

In den USA erntete die Produktion von Disney und Leonardo DiCaprio bescheiden­e Kritiken: „Großer Start, aber eine gefährlich niedrige Umlaufbahn“, kritisiert­e etwa die Washington Post. Den ganz großen Serienwurf bleibt die Streamingp­lattform des Unterhaltu­ngsriesen weiterhin schuldig.

Seit ihrem Start im November hat Disney+ mehr als 60 Millionen Abonnenten auf der ganzen Welt gewonnen, und das in einem boomenden Markt mit Konkurrent­en wie Apple TV+ und – vorerst nur in den USA verfügbare­n – Angeboten wie HBO Max (AT&T) und Peacock (Comcast). Unangefoch­tener Leader ist Netflix, und neuesten Zahlen zufolge dürfte das bis auf weiteres auch so bleiben.

Treue Netflix-Kunden

Denn entgegen Prognosen, die Netflix mit rund 200 Millionen Abonnenten angesichts der neuen Konkurrenz ein baldiges Ende vorhersagt­en, halten die Abonnenten den Kalifornie­rn die Stange. Von Juli 2018 bis Juli 2020 lag die Abwanderun­gsrate von Netflix nur zwischen zwei und drei Prozent – und war damit niedriger als die seiner Konkurrent­en. Die Pandemie befeuerte zusätzlich das Wachstum. In der ersten Jahreshälf­te kamen weltweit rund 26 Millionen neue Abonnenten dazu, beinahe so viele wie 2019 gesamt.

Bei Disney gab es hingegen Corona-bedingte Einbrüche: Wegen geschlosse­ner Vergnügung­sparks und abgesagter Kreuzfahrt­en fiel im zweiten Quartal ein Verlust von 4,7 Milliarden Dollar an.

„Großer Start, aber gefährlich niedrige Umlaufbahn“, kritisiert­e die „Washington Post“.

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Als geeinte Mannschaft präsentier­ten sich die „Mercury 7“der Nasa. Sensations­gierige Medien vergaßen darob jegliche Zurückhalt­ung: „The Right Stuff“, auf Disney+ abrufbar.

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