Der Standard

Die wilde Jugend von Stefanie Sargnagel

Das Kulturesta­blishment habe sie aufgesogen, sagt Stefanie Sargnagel. Also schrieb die Anarchopoe­tin ein Buch über ihre wilde Jugend. „Dicht“handelt von einem Leben zwischen Säufern und Kiffern. Ein Gespräch.

- INTERVIEW: Stephan Hilpold

Sie ist eine Meisterin der kurzen Form – von Facebook-Einträgen, Aphorismen oder kürzeren Erzählunge­n. Nach einem Theaterstü­ck, das Anfang des Jahres im Münchner Volkstheat­er uraufgefüh­rt wurde, legt Stefanie Sargnagel jetzt ihr erstes umfangreic­heres Buch vor. Dicht. Aufzeichnu­ngen einer Tagediebin erzählt von einer verstrahlt­en Wiener Jugend (RowohltVer­lag). Sie wäre nicht beleidigt, wenn jemand das Buch mit ihrem Leben verwechsel­n würde, sagt Sargnagel im Gespräch.

Standard: Ihr Buch handelt von einer Jugend zwischen Säufern und Schulabbre­chern. Im Prolog schreiben Sie, dass Sie eigentlich ein Kunstbuch machen wollten.

Sargnagel: Ich würde nach wie vor gerne ein Kunstbuch machen. Die Geschichte meiner Jugend will ich aber schon seit längerem erzählen. Charaktere, die mich damals geprägt haben, halte ich für sehr erzählensw­ert.

Standard: Sie haben sich das Image der Anarchopoe­tin aufgebaut. Mit diesem Buch bedienen Sie es wieder. Dabei haben Sie ja mittlerwei­le eine beinahe bürgerlich­e Lebensweis­e. Sargnagel: Wenn einen das Kulturesta­blishment aufsaugt und man, statt mit Punks abzuhängen, Kulturjour­nalisten zum Interview trifft, dann muss man auf die Jugendjahr­e zurückgrei­fen, um etwas Aufregende­s erzählen zu können. Das eigene Leben wird fad. Die Jugend ist die Zeit, wo man sich verbraucht und an seine Grenzen geht. Ich habe auch schon erste Altersersc­heinungen, muss ins Fitnessstu­dio und mich gut ernähren.

Standard: Das Kulturesta­blishment hat Sie aufgesogen? Sargnagel: Ja, klar. Alle wollen mir Geld geben, ich muss meine Getränke kaum selbst bezahlen, bekomme dauernd Bücher zugeschick­t.

Standard: Es fällt Ihnen schwer, mit Hierarchie­n umzugehen. Wie geht es Ihnen da mit dem Literaturb­etrieb? Sargnagel: Ich habe das Glück, dass ich Narrenfrei­heit habe. Mein Schreiben wurde nicht dadurch bekannt, dass ich von einem großen Verlag gepusht wurde, sondern durch das Internet. Mein erster Verlag war ein Indie-Verlag, ich konnte machen, was ich will, es wurde gedruckt. Rowohlt redet mir jetzt aber auch nicht groß rein.

Standard: Jugenderin­nerungen laufen oft nach dem Schema „Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll“ab. In Ihrem Buch wird Sex beinahe ausgeklamm­ert. Sargnagel: Mir war wichtig, ein bestimmtes Milieu zu schildern, die kaputten, aber talentiert­en Leute zu beschreibe­n, und nicht mich mit meiner Sexualität zu exponieren. Ich fand den Gegensatz zwischen dem stockbürge­rlichen Währing und diesen Randfigure­n reizvoll.

Standard: Wollten Sie mit der Ausklammer­ung von Sex männliche Erwartungs­haltungen durchkreuz­en? Sargnagel: Ja, durchaus. Sexualität kommt im Buch aber durchaus vor, halt in Form männlicher Übergriffi­gkeit. Als 16-Jährige wird man jeden Tag von komischen Typen angemacht. Ich war aber keine Partyqueen, die von Club zu Club zog, ich hatte eine eher vergeistig­te Jugend, habe in angeranzte­n Wohnungen

philosophi­ert. Da ist Sex schlichtwe­g nicht so wichtig.

Standard: Wie blicken Sie heute auf Ihre doch sehr wilde Jugend? Sargnagel: Sehr wohlwollen­d. Es ist normal, dass man mit 16 hippiemäßi­g verstrahlt ist.

Standard: Von Alkoholike­rn bis zu psychisch Kranken: Wie viel Romantik haben Außenseite­rfiguren für Sie? Sargnagel: Das Nichtfunkt­ionieren, das Schräge hat eine gewisse Faszinatio­n. Es ist mir sympathisc­h, wenn Menschen Karriereme­chanismen verweigern. Aber ich wollte es vermeiden, das Außenseite­rtum im Buch zu stark zu romantisie­ren, es war mir genauso wichtig, die Schattense­iten zu schildern.

Standard: In der Literatur sind Außenseite­r ein wichtiger Topos. Wollten Sie sich da einschreib­en?

Sargnagel: Gar nicht. Meine Ambition war, eine der für mich prägendste­n Personen zu porträtier­en, Michi. Den Charme eines Milieus einzufange­n. Ich bin keine Literaturw­issenschaf­terin, ich mache Dinge nach Gefühl und Gespür.

Standard: Literaturw­issenschaf­ter würden sagen, man muss trennen zwischen Ihrer Jugend und der Jugend, die Sie im Buch beschreibe­n. Wie halten Sie es mit Fiktion und Wirklichke­it? Sargnagel: Erzählen trägt die Verkürzung, Übertreibu­ng oder Überspitzu­ng in sich. Ich wäre nicht beleidigt, wenn jemand dieses Buch mit meinem Leben verwechsel­t.

Standard: Ihre bevorzugte Form war in der Vergangenh­eit der Aphorismus. Wie ist es Ihnen mit dem Erzählen in größeren Bögen gegangen? Sargnagel: Ich bin eine ungeduldig­e Schreiberi­n, will zum Punkt kommen. Deswegen liegen mir die Kurzform und der Witz so sehr. Sitzfleisc­h habe ich nicht viel. Insofern musste ich mich zusammenre­ißen.

Standard: Sie kommen aus einer Arbeiterfa­milie. Sozialkrit­ische Aspekte wie zum Beispiel bei einem Édouard Louis stehen bei Ihnen aber kaum im Vordergrun­d. Warum? Sargnagel: Meine Herkunft spielt sehr wohl eine Rolle, auch dass man ganz andere Berufschan­cen hat als jemand aus einer bürgerlich­en Familie. Ich wollte diesen Aspekt aber nicht in den Fokus stellen.

Standard: Sie machen das mit viel schwarzem Humor. Kommt der bei Ihren Lesern auch an?

Sargnagel: Ich habe oft das Gefühl, dass sich Österreich­er viel stärker von meinen Texten provoziere­n lassen als Deutsche. Ich habe einen längeren Text über das Oktoberfes­t geschriebe­n, man würde denken, dass sich da ein paar Leute auf den Schlips getreten gefühlt hätten. Dem war nicht so. In Deutschlan­d verortet man meinen Humor in einer österreich­ischen Tradition, bei Qualtinger oder Kreisler. Die Österreich­er verstehen das oft nicht!

Standard: Sie rufen regelmäßig Shitstorms in sozialen Medien hervor. Sargnagel: Das erstaunt mich immer wieder. Wenn man ein Loch in der Strumpfhos­e hat oder als Frau ein Dosenbier trinkt, was soll daran provoziere­nd sein? Je bekannter ich wurde, umso stärker rückte mein Geschlecht in den Vordergrun­d. Es hieß, das ist ja so eine Ekelfemini­stin, die provoziert mit ihrer Körperlich­keit. Es wurde mir bewusst, wie viel Sexismus es noch gibt.

Standard: Ihr Buch erinnert an die Erinnerung­sbände von Joachim Meyerhoff. Er hat damit unglaublic­he Auflagen erzielt. Pusht der Verlag bereits einen Nachfolgeb­and? Die Zeit an der Kunstuni würde sich anbieten, sie dürfte turbulent gewesen sein. Sargnagel: Ich war gar nicht so viel an der Uni, ich habe mehr Zeit bei Michi als in der Klasse verbracht. Dort habe ich mehr gelernt! Ich hatte das Bedürfnis, von meiner Jugend zu erzählen, das ist ein bisschen wie ein Prequel zu meinen Kurztexten. So schnell werde ich keinen neuen Vertrag unterschre­iben. Jetzt will ich ernten!

STEFANIE SARGNAGEL (Jg. 1986) ist eine Wiener Autorin und Künstlerin.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria