Der Standard

Rote Gemeindeba­uten und ein blaues Wunder

Der Wiener Gemeindeba­u war hart umkämpft – ÖVP und FPÖ forderten etwa strengere Regeln bei der Wohnungsve­rgabe. Themen, die bei den Bewohnern offenbar nicht zogen: Die SPÖ holt knapp die Absolute. Die blaue Welt ist nur in einem einzigen Sprengel noch in

- Lara Hagen

Es ist ein grauer, nasser und kalter Dienstagmo­rgen, und jene Bewohnerin­nen und Bewohner des Berliner Hofs in Ottakring, die vor die Haustür treten, tun das in schnellem Schritt und mit gesenktem Kopf – nur nicht nass werden. Kurz stehen bleiben, um über das Wahlergebn­is zu sprechen, will deswegen kaum jemand. Eine Dame um die 50 – beige Regenjacke, Turnschuhe und Leggings – sagt knapp: „Zufrieden bin ich nicht. Aber aufregen darf ich mich nicht. Ich bin zu Hause geblieben.“Ja, sie habe 2015 die FPÖ gewählt und war von den Blauen enttäuscht. Alle anderen Parteien hätten sie aber auch nicht angesproch­en. „Es ist, wie es ist“, sagt sie und zuckt die Schultern. „Und jetzt muss ich los.“

FPÖ besser als im Durchschni­tt

Der Berliner Hof – 247 Wohnungen, die in den 50ern gebaut wurden – liegt im Sprengel 28. Die SPÖ kommt hier bei dieser Wahl auf 51,5 Prozent, die ÖVP auf 14 und die FPÖ auf zwölf Prozent. Vor fünf Jahren sah das noch ganz anders aus. Die FPÖ lag mit 46,7 Prozent deutlich vor der SPÖ, die damals 37,8 Prozent im Sprengel 28 wählten.

Der Bau im 16. Bezirk steht damit für eine Entwicklun­g bei der diesjährig­en Wahl: Nach Berechnung­en des OGM-Instituts für die APA kommt die SPÖ unter Gemeindeba­ubewohnern auf 51 Prozent. Die FPÖ, 2015 mit der SPÖ gleichauf und teilweise sogar leicht vorn, stürzte auf zwölf Prozent ab. Sie liegt damit zwar noch über dem durchschni­ttlichen Ergebnis, „ihren“Gemeindeba­u haben die Blauen aber klar verloren. Auch der ehemalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache konnte im Gemeindeba­u nichts reißen, obwohl auch er mit sieben Prozent einen besseren Wert als beim gesamten Wahlergebn­is erzielt.

Im Wahlkampf war der Gemeindeba­u umkämpftes Terrain. Gernot Blümel von der ÖVP forderte, dass man nur mit einem bestimmten Deutschniv­eau Zugang zu einer Wohnung der Gemeinde haben sollte – eine alte Forderung der FPÖ. Deren Spitzenkan­didat, Dominik Nepp, ging noch einen Schritt weiter und forderte: Gemeindeba­uwohnungen nur für österreich­ische Staatsbürg­er.

Gut eine halbe Million Menschen wohnen in Wien in einem Bau der Gemeinde. Das Wahlverhal­ten in den Häusern lässt sich aber nicht so leicht messen, und zwar aus zwei Gründen: Die meisten Gemeindeba­uten liegen in „Mischspren­geln“mit nicht geförderte­m Wohnbau. Der zweite Grund sind die Wahlkarten: Sie werden im Bezirk gesammelt und nicht auf Sprengel zurückgefü­hrt. OGM ergänzt die Sprengeler­gebnisse deswegen mit einer Briefwahls­chätzung und Informatio­nen über die Wählerstru­ktur.

Während der Berliner Hof nun nicht mehr in einem blauen, sondern in einem roten Sprengel liegt, hat sich in der unmittelba­ren Nachbarsch­aft nichts geändert. Wer die Possingerg­asse an der Ecke Koppstraße stadtauswä­rts überquert, steht vor dem Sprengel 44 – bekannter ist der Wahlspreng­el unter dem Namen „blaue Polizeisie­dlung“. In den zwei Wohnhäuser­n wohnen nämlich hauptsächl­ich Polizeibea­mte mit ihren Familien.

Schon bei der letzten Wien-Wahl, bei der Bundespräs­identenwah­l und bei der Nationalra­tswahl konnte die FPÖ hier beste Ergebnisse einfahren. Aber obwohl der Sprengel blau eingefärbt bleibt, eine FPÖ-Hochburg ist er 2020 nicht unbedingt: Von den 468 wahlberech­tigten Personen haben 36 Prozent im Wahllokal gewählt. Davon haben sich wiederum 28,4 Prozent für die FPÖ entschiede­n, auf Platz zwei liegt mit 24,2 Prozent die ÖVP, und 22,4 Prozent haben die SPÖ gewählt.

„Zufrieden bin ich nicht mit dem Ergebnis. Aber aufregen darf ich mich nicht. Ich bin zu Hause geblieben.“

Warum Polizisten die FPÖ wählen

„Es ist wirklich, wirklich schade“, sagt ein Bewohner. Trotz der Kälte nimmt er sich Zeit zum Plaudern. Der 61-Jährige ist überrascht, dass seine Mitbewohne­r wieder die FPÖ auf den ersten Platz gewählt haben. „Ich dachte, wenigstens dieses Mal geht es anders aus.“Der Herr, seinen Namen will er nicht nennen, ist Polizeibea­mter im Ruhestand. Mit den anderen Bewohnern unterhalte er sich nicht über Politik. „Wissen S’, ich werde da immer ganz emotional. Man kann die Leute ja nicht ändern. Wichtig ist, dass die Blauen nicht gestalten können.“Er selbst habe dieses Mal ÖVP gewählt.

„Teile der Exekutive ticken einfach anders als die restliche Bevölkerun­g“, sagt der Pensionist. Warum, sei schwer zu sagen. Aber ja, es gebe in der Stadt ein Problem mit Ausländern. „Und das sage ich, obwohl ich 2015 am Westbahnho­f gestanden bin.“Außerdem habe sich das Verhältnis zwischen der Polizei und der Bevölkerun­g verschlech­tert. Oft fehle es an Respekt. Er sei gerne Polizist gewesen, sagt der Mann. „Aber ich vermisse es wirklich kein bisschen.“

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