Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler kritisiert politisches Kalkül im Umgang mit Flüchtlingen.
Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler will Gottes Sohn weg vom Kitsch bringen. Im Umgang mit den Flüchtlingen auf Lesbos ortet der Oberhirte „politisches Kalkül“, Frauen in Weiheämtern kann er sich in Zukunft vorstellen.
An seinem Innsbrucker Amtssitz hat Bischof Hermann Glettler vor seinem eigenen Schaffen Platz genommen. Der Bildkasten trägt den Titel „displaced community“. Es sind Kunststoffkruzifixe, die von Särgen stammen. Der kunstaffine Gottesmann hat sie zu einem großen Ganzen verschweißt. Die Christus-Corpora verschränken sich zu Tanzenden, zu einem Netzwerk, das trägt.
STANDARD: Sie sprechen sich in Ihrem Buch „Die fremde Gestalt“gegen eine „Verkitschung“von Jesus aus. Fordern von den Gläubigen ein, einen „unbequemen Jesus“zu sehen. Hat es die Kirche nicht schon schwer genug? Muss es jetzt auch noch an der Spitze ungemütlich werden? Glettler: Wenn nötig, ja. Alle Gemütlichkeit in Ehren, aber es geht um das Profil des Jesus von Nazareth, die zentrale Figur unseres Glaubens. Er war nicht nur der liebe Jesus, wie dies viele aus der Volksschulzeit abgespeichert haben. Die Beschäftigung mit Jesus, mit seinem Leben und seiner Botschaft kann überraschen. Echte christliche Spiritualität vermittelt Trost und fordert heraus. Zwei ganz wichtige Pole. Und der wirkliche Trost ist eine Ermutigung zur Wahrheit.
STANDARD: Sie gehören zu den Bischöfen, die gerne unbequem sind und mitunter laut Kritik üben. Zuletzt in Zusammenhang mit dem Flüchtlingsdrama im Lager Moria auf Lesbos. Erhört hat Sie die Politik bis dato dennoch nicht. Ärgert Sie so etwas? Glettler: Ich fühle eine gewisse Ohnmacht. Natürlich kommt Österreich seiner Verpflichtung, Asylrecht zu gewähren, nach. Respektabel im europäischen Vergleich. Aber angesichts der extremen Notlage auf den griechischen Inseln braucht es ein viel stärkeres empathisches Handeln. Wollen wir warten, bis die Leute im Winter erfrieren? Neben der Hilfe vor Ort muss rasch evakuiert werden. Zu einer fairen Verteilung der anerkannten Flüchtlinge gibt es keine Alternative.
STANDARD: Aber wie erklären Sie sich den durchaus harten Kurs der Bundesregierung in dieser Frage? Glettler: Politisches Kalkül, schwer erklärlich. Die oft genannte Gewaltbereitschaft in den Lagern sollte nicht populistisch missbraucht werden. Die betroffenen Menschen sind in einer extremen Belastungssituation und der Verzweiflung nahe. Wo läge wirklich das Problem, 200 Menschen zusätzlich in Österreich aufzunehmen? Die Bevölkerung wäre längst dafür bereit.
STANDARD: Was, glauben Sie, hat Gott sich eigentlich bei der CoronaPandemie gedacht?
Glettler: Bitte ihn selbst fragen. Von einer „Strafe Gottes“zu reden ist natürlich Unsinn. Mit Sicherheit ist dieses Ereignis, das eine Generation prägen wird, eine dringliche Mahnung. Unbestritten ist, dass wir uns selbst und die Umwelt mit einem mörderischen Tempo in eine lebensbedrohliche Erschöpfung treiben.
Damit wird das Gesamtsystem Gesellschaft auch anfälliger. Ja, an unserem Lebensstil muss sich was ändern. Echter Glaube wäre eine Entlastung. Das „technokratische Paradigma“, dass wir alles machen können, ist zu hinterfragen. Leben ist ein Geschenk.
STANDARD: Vor allem auch wirtschaftlich sind die Folgen der CoronaKrise massiv. Selbst der Kirche fehlen Millionen im Klingelbeutel, weil Kirchenbeiträge ausbleiben. Wie schmerzhaft ist der finanzielle Einschnitt im Haus Gottes?
Glettler: Er ist ordentlich spürbar. Die Kirche als Arbeitgeberin und Institution ist davon stark betroffen. Aber wir sollten nicht bei der Klage über den materiellen Schaden stehen bleiben. Die entscheidende Frage lautet: Wie können wir gerade jetzt jenen beistehen, die schwer zu kämpfen haben und in vielfältiger Weise belastet sind?
Standard: Papst Franziskus hat jüngst mit der Sozialenzyklika „Fratelli tutti“sein Corona-Werk vorgelegt. Der Text wird gefeiert. Man stößt sich aber am Titel „Fratelli tutti“– „Alle Brüder“. Ist dieser nicht bezeichnend für das Frauenproblem in der Kirche? Glettler: Die Titeldiskussion war wohl eine überzogene Erstreaktion. Es geht eindeutig um eine neue Geschwisterlichkeit. Der Text vermittelt einen berührenden Herzschlag, der die ganze Welt zu einer „sozialen Freundschaft“aufruft. Papst Franziskus benennt die Schattenseiten der Globalisierung und plädiert für eine weltweite Verbundenheit.
Standard: Die ewige Diskussion – wäre die Weihe von Frauen oder bewährten Männern für Sie vorstellbar? Glettler: Es ist für mich nicht für alle Zukunft ausgeschlossen. Wichtig ist mir der Hinweis, dass in unserer Kirche viele Frauen schon längst in wichtigen Bereichen Verantwortung tragen und auch Leitungsfunktionen innehaben. Aber es gibt eine Ungleichheit in der Zulassung zu Weiheämtern, die schwer argumentierbar ist. Wir müssen im Einklang mit der Weltkirche um eine gute Lösung ringen.
Zu einer fairen Verteilung der anerkannten Flüchtlinge gibt es keine Alternative.
HERMANN GLETTLER (55) wollte schon als Kind Tischler oder Priester werden. Geworden ist er Letzteres. Nach Jahren als „Künstlerpfarrer“in Graz wurde Glettler am 2. Dezember 2017 zum neuen Bischof der Diözese Innsbruck geweiht.