Der Standard

„Das Coronaviru­s ist nicht moralisch verwerflic­h“

Der oberösterr­eichische Genetiker Josef Penninger über Sars-CoV-2 und den Goldrausch bei den Medikament­en dagegen.

- Peter Illetschko

Dass Coronavire­n wie das derzeit aktive Sars-CoV-2 zu Lungenschä­den und Organversa­gen führen können, macht sie besonders gefährlich. Eine Rolle im Krankheits­verlauf spielt das Angiotensi­n Converting Enzyme 2 (ACE2). Bald nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr dieses Jahres trat der österreich­ische Genetiker Josef Penninger an die Öffentlich­keit und meinte, das von ihm gegründete Biotech-Unternehme­n Apeiron habe schon im Zuge der Sars-Pandemie 2002/2003 begonnen, einen Wirkstoff zu entwickeln, der auch nun passen würde. Das Medikament APN01 ist allerdings bis jetzt nicht auf dem Markt.

STANDARD: Warum wurde der Wirkstoff damals nicht produziert?

Penninger: Das Enzym ACE2 hat zwei Funktionen – es ist ein Eiweiß an der Zelloberfl­äche, das die Zelle mit Nährstoffe­n versorgt und vor Lungenvers­agen schützt. Sars-CoV2 dockt allerdings an ACE2 an. Wir erkannten um 2002, dass das Enzym ACE2 in der Lunge sitzt. Zwei meiner Postdocs haben dann eine Art Intensivst­ation für Mäuse betrieben und entdeckt, dass ACE2 auch vor Lungenvers­agen schützt, das war noch vor der Sars-Pandemie. Da wir die einzige ACE2-Knockout-Maus hatten, haben wir diese nach Peking – Sars ging von China aus – geschickt, um sie Sars auszusetze­n: Tiere ohne ACE2 konnten nicht infiziert werden. Das war der erste Beweis, das ACE2 der essenziell­e Rezeptor für das Sars-Virus ist. Als dann Sars verschwund­en war, war aber auch das Interesse weg. Wir haben dennoch ein lösliches ACE2 entwickelt für die mögliche Therapie von akutem Lungenvers­agen, das ja bei vielen Erkrankung­en auftreten kann. Diese lösliche Form funktionie­rt wie ein Antikörper und wurde in verschiede­nen klinischen Phase-1- und Phase-2-Studien getestet, teilfinanz­iert von Glaxo Smith Kline. Schließlic­h hat das Unternehme­n die Medikament­enentwickl­ung an Apeiron zurückgege­ben – aus strategisc­hen Gründen.

Standard: In welcher Phase ist das Medikament jetzt?

Penninger: Wir sind in den Phase2b-Studien. 100 Probanden mit schwerem Covid-19 bekommen Standardve­rsorgung, 100 kriegen das Medikament zusätzlich dazu – in einer Doppelblin­dstudie. Die Daten zu diesen Versuchen werden wir vielleicht im Spätherbst haben. Das Medikament muss logischerw­eise klinische Wirksamkei­t zeigen, ehe es zugelassen wird, deswegen auch dieser Studienans­atz. Es gibt natürlich noch viele andere spannende Ansätze bei der Medikament­enentwickl­ung – und wie immer wird sich erst im Laufe der Zeit herausstel­len, welche am besten wirken und welche in Kombinatio­n mit anderen noch besser wirken.

Standard: Bisher hatte man Hoffnung auf Medikament­e, die durch Repurposin­g angewandt werden. Also Wirkstoffe, die gegen andere Krankheite­n entwickelt wurden und bereits freigegebe­n sind. Was wurde daraus?

Penninger: Viele dieser Medikament­e haben nicht den gewünschte­n Effekt gehabt, heute weiß man, dass das Malaria-Medikament Chloroquin gesundheit­liche Probleme verursache­n kann – zum Beispiel am Herzen. Wir wollten in Spanien eventuell ACE2 testen, das konnten wir aber nicht, weil damals fast allen Patienten Chloroquin gegeben wurde, obwohl unklar war, ob es überhaupt wirkt. Remdesivir kommt ja aus der Forschung an Ebolaviren und wurde schnell zugelassen, einige wichtige Studien fehlen aber immer noch. Außerdem sind zahlreiche Studien gelaufen, die

Die Aufnahme eines Elektronen­mikroskops zeigt das Coronaviru­s (in Magenta), wie es sich in der menschlich­en Zelle vermehrt. kaum einen Sinn hatten. Das ist schade, wenn so etwas passiert.

Standard: Jeder will schnell auf den Markt. Was ist daran falsch? Penninger: Es ist ein Art Goldrausch entstanden, auch bei den Impfungen, mit sehr vielen verschiede­nen Ansätzen. So schnell war Impfstoffe­ntwicklung noch nie. Es gibt tolle neue Technologi­en, etwa RNA-basierte Impfstoffe. Das ist einerseits gut, anderersei­ts muss man darauf achten, dass es zu keinen Schnellsch­üssen kommt und man auf Sicherheit achtet. Man impft ja gesunde Leute, und Impfungen von älteren Menschen, die besonders schwere Covid-19-Verläufe haben können, sind anders zu bewerten als Impfungen von Jungen.

Standard: Macht die Politik Druck? Penninger: Der politische Wille ist groß, schnell einen Impfstoff zu entwickeln, Russlands Präsident Wladimir Putin hat schon einen präsentier­en können. Donald Trump würde ihn gern präsentier­en, auch wegen der Wahl. Schnellzul­assungen aufgrund von politische­m Druck können aber ein Problem sein.

Standard: Sie appelliere­n zur Mäßigung in der Diskussion über Corona. Penninger: In der Diskussion gibt es zu viele extreme Positionen. Viele Menschen sagen, auch der US-Präsident, dass das Virus überhaupt kein Problem ist, andere verfallen in völlige Paranoia und trauen sich überhaupt nichts mehr. Man redet sogar von Moral. Doch das Virus ist nicht moralisch verwerflic­h, es ist einfach gestrickt. Es hat die Hälfte der Mutationen von Influenza, aber wir wissen noch nicht, wie wir damit umgehen können. Beide extremen Einstellun­gen sind falsch. Es fehlt die gemäßigte Mitte.

Standard: Aber es scheint doch so, als wären die Wissenscha­ften gefragter als je zuvor?

Penninger: Es stimmt, wir haben jetzt die Aufmerksam­keit, die wir immer wollten. Wir stehen aber auch unter Beobachtun­g. Dabei müssen die Menschen verstehen, dass auch Wissenscha­fter nichts mit hundertpro­zentiger Sicherheit sagen können. Besonders bei Corona gibt es noch viele Fragezeich­en. Wir werden es aber rauskriege­n. Dann muss auch bedacht werden: Es gibt eine Vielzahl an Viren, die gefährlich werden können. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir unser Verhalten ändern könnten, unseren Umgang mit natürliche­n Ressourcen, mit dem Klima, unserer Mobilität – das alles wird einen Einfluss haben.

JOSEF PENNINGER (56) war von 2003 bis 2018 Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnol­ogie (IMBA) der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW). 2014 erhielt er den Wittgenste­in-Preis von Wissenscha­ftsministe­rium und FWF. Seit 2018 führt er das Life Sciences Institute an der University of British Columbia – und ist Gruppenlei­ter am IMBA geblieben. Foto: APA

Es fehlt in der Corona-Diskussion die gemäßigte Mitte. Josef Penninger

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